Stimme+
Heilbronner Raserprozess
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

"Jetzt kann ich anfangen zu trauern" – Witwe des Opfers äußert sich nach Mordurteil

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Nach dem Urteil im Raserprozess von Heilbronn äußert sich erstmals die Witwe des Opfers zum Strafmaß. Ihr Leben hat sich grundlegend verändert.

Das öffentliche Interesse war groß: Am Montag hat der Richter das Urteil gegen den Raser aus der Wollhausstraße gesprochen.
Foto: Ralf Seidel
Das öffentliche Interesse war groß: Am Montag hat der Richter das Urteil gegen den Raser aus der Wollhausstraße gesprochen. Foto: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Das Urteil im Raser-Prozess ist gefallen. Der Fahrer, der auf der Heilbronner Wollhausstraße in den Mercedes einer Familie krachte, ist am Montag wegen Mordes zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Für die Witwe des Unfallopfers ist das eine große Erleichterung: "Es musste ausgesprochen werden, dass es Mord war", sagt Aniko S.. Mit einer Verurteilung nach Jugendrecht habe sie gerechnet, "aber das war kein normaler Unfall", erklärt die 43-Jährige.

Am 12. Februar vergangenen Jahres wurde ihr Mann getötet, sie und ihre beiden Kinder schwer verletzt. Bis heute leidet die Familie unter den Folgen. 24 Mal ist Aniko S. dem Täter in den vergangenen acht Monaten im Gerichtssaal begegnet. Sie war Nebenklägerin im Prozess. Das sei eine große psychische Belastung gewesen, schon am Vorabend der Gerichtstermine habe sie nicht schlafen können, erzählt sie.

Nach Raser-Prozess in Heilbronn: Witwe hätte sich frühe Entschuldigung gewünscht

Gewünscht hätte sich die Witwe, dass der Angeklagte sich früher entschuldigt hätte. Doch der 21-Jährige ergriff erst am Ende das Wort im Gerichtssaal. Ihre Familie habe den Prozess still verfolgt: "Die persönlichen Angriffe der Verteidigung haben mich getroffen", sagt Aniko S.. Es sei ihr nicht um Rache gegangen, die Unterstellung, sie wolle dem Angeklagten Böses, sei falsch. "Aber wir alle müssen für das, was wir tun, geradestehen", sagt die Witwe. Auch der Täter müsse seine Strafe absitzen.

Aniko S. ist kurz nach dem Unfall aus der Wollhausstraße weggezogen, zu schmerzhaft war der Blick aus dem Wohnzimmerfenster auf die Stelle, an der ihr Mann starb. Trotzdem fährt sie regelmäßig am Unfallort vorbei, ganz bewusst auch nach dem Urteil. Inzwischen gehe es ihr besser, sagt sie, auch wenn sie weiterhin in ärztlicher Behandlung ist und noch immer gesundheitliche Probleme hat. Sie funktioniere vor allem für ihre Kinder: "Die haben so viel durchgemacht." Die körperlichen Wunden des Fünfjährigen und der Achtjährigen sind verheilt, aber sie leben "mit einem großen Loch", das immer wieder aufreißt. "Das trifft mich manchmal ohne Vorwarnung", erzählt Aniko S..

Nach tödlichem Unfall in der Wollhausstraße: Gemeinsam Erinnerungen wachhalten

Gemeinsam sprechen sie viel über den Vater, so viel Positives haben sie gemeinsam erlebt. "Wir halten die Erinnerungen wach", sagt die Mutter. Das gelingt gemeinsam mit der ganzen Familie, die sich sehr um sie kümmere. "Ich bin dankbar für so viel Hilfe." Die Verwandtschaft ihres Mannes, ihr Bruder, ihre Eltern, Freunde und Kollegen haben Aniko S. auch zum Prozess begleitet. Von Fremden habe sie ebenfalls viel Unterstützung erfahren: "Da waren so viele menschliche Gesten, das bedeutet mir viel."

Immer wieder kehren die Gedanken zu jenem Tag im Februar 2023 zurück, als sie mit ihrem Mann und den Kindern zu einem Sonntagsausflug aufbrach: "Ich arbeite den Tag immer wieder durch." Sie frage sich, was sie hätte anders machen müssen, um die Katastrophe zu verhindern. "Aber es lag nicht in unserer Hand", weiß Aniko S.. Sie sei erleichtert, dass der Prozess abgeschlossen ist, das sei ein wichtiges Kapitel: "Jetzt kann ich anfangen zu trauern."

Urteil im Raser-Prozess von Heilbronn: Eine Unsicherheit bleibt

Die Verteidigung hat unmittelbar nach dem Urteilsspruch Revision angekündigt. Bis darüber eine Entscheidung gefallen ist, werden vermutlich Monate vergehen. "Eine Unsicherheit bleibt", sagt Elisabeth Unger-Schnell, Anwältin der Familie, auch wenn sie nicht davon ausgehe, dass das Urteil anfechtbar sei.

Aniko S. sagt, ihr graue vor allem davor, dass alles von vorne anfangen könnte, würde der Prozess neu aufgerollt. "Man muss ja irgendwie sein Leben weiterleben." Die Einsamkeit ist seit dem Tod ihres Mannes ihr ständiger Begleiter, "das ist schwer". Auch wenn Freunde und Familie immer wieder dafür sorgen, dass sie aus dem Haus kommt und mit ihren Kindern auch schöne Dinge erlebt, "am Ende des Tages ist man wieder allein", sagt Aniko S..

So habe sie das Leben nicht gewollt, und damit kämpfe sie jeden Tag. "Ich bin nicht mehr die, die ich war", sagt sie. Eigentlich war die vierköpfige Familie zwei Jahre vor dem Unfall aus Niedersachsen nach Heilbronn in die Nähe ihrer Verwandtschaft gezogen, "damit alles besser wird". Jetzt müsse sie Schritt für Schritt das Leben neu sortieren.

Ein Signal zum Nachdenken: Urteil im Heilbronner Raser-Prozess sorgt für Schlagzeilen

Das Urteil hat am Montag bundesweit Schlagzeilen ausgelöst. Die Witwe des Opfers hofft, dass davon ein Signal ausgeht, das andere zum Nachdenken anregt. "Wir müssen alle daraus lernen", sagt auch Anwalt Christoph Troßbach. "Die Raser müssen lernen, dass es kein Computerspiel ist, wenn man das Gaspedal durchdrückt, sondern dass man andere Menschen damit vorsätzlich gefährdet." Der Unfallort in der Wollhausstraße sei ein Tatort.

Aniko S. besucht die Stelle regelmäßig, am ersten Todestag ihres Mannes hat sie eine Kerze und Blumen mitgebracht. Auch wenn beides nicht lange dort liegenblieb, war es ihr wichtig, ein Zeichen der Erinnerung zu setzen.

Der Unfall habe alles verändert: "Mein Mann kommt nicht wieder nach Hause."

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung

Wolf-Dieter Veigel am 23.04.2024 18:16 Uhr

Sieht man das Urteil meint man 9Jahre. Sind es aber nicht. Abzüglich der U-Haft haben wir bereits weniger. Sieht man die Stragvollstreckung an, Jugendstrafe , besteht bei positivem Vollzugsvrlauf sogar die Möglichkeit der Halbstrafe, dies würde auch den Zeitplan des Führerscheinentzugs auf 4 Jahre erklären. Somit hätten wir ein Strafmas von 4 1/2 Jahren bei positivem Vollzugsverlauf und den Rest auf Bewährung. Ich selbst bezweifle jedoch anhand der Darstellungsweise des Täters das er eine erforderliche Einsicht zeigt. Man kann es nur hoffen und er die Zeit nutzt innerhalb des Vollzugs eine Berufausbildung aufzunehmen. Es ist zuerwarten, das seine Eltern die nicht unerheblichen Kosten tragen werden. Zum Vergleich, dem Bäcker in Siegelsbach war der finanzielle Bankrott sicher. Die RA-Kosten waren schon erheblich.

Antworten
lädt ... Gefällt Nutzern Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
Nach oben  Nach oben