Sommerferien-Halbzeit: Gewerkschaft sorgt sich vor nächstem Schuljahr
Lehrerversorgung, Quereinsteiger und Unterricht mit Geflüchteten: Harald Schröder von der Lehrergewerkschaft GEW spricht über drängende Themen und darüber, ob sich Lehrer und Schüler schon wieder auf den Schulbeginn freuen.

Das Bildungssystem in Baden-Württemberg steht unter Druck. Es fehlen Lehrer, das Land hat einen 18-Punkte-Plan verabschiedet, um den Unterricht zu sichern. Dass es Handlungsbedarf gibt, zeigen wiederholt Leistungsanalysen. Die Kompetenzen von Schülern werden schlechter. Erst kürzlich offenbarte der Bildungsbericht eine Mängelliste. Die Situation erläutert Harald Schröder, Sprecher der Lehrergewerkschaft GEW.
Halbzeit der Sommerferien: Warum sollten sich Schüler freuen, dass bald das Schuljahr beginnt?
Harald Schröder: Weil sie dann wieder viele Freunde treffen, weil sie im Normalfall auf Lehrer treffen, die ein großes Interesse daran haben, dass die Kinder schlauer aus dem Schuljahr rausgehen, als sie reingegangen sind. Schule bedeutet für viele Kinder zudem, dass sie einen strukturierten Tagesablauf haben.
Freuen sich Lehrer aufs neue Schuljahr?
Schröder: Viele Kolleginnen und Kollegen sind immer noch dabei, sich vom alten Schuljahr gedanklich zu verabschieden und sich zu erholen. Es war für viele sehr anstrengend.
Warum?
Schröder: Das Schuljahr war sehr herausfordernd, weil sich die Rahmenbedingungen verschlechtert haben. Ein Beispiel ist die Zuwanderung vieler Geflüchteter. Es mussten viele Vorbereitungsklassen aufgemacht werden. Viele Lehrkräfte sind ausgefallen, zum Beispiel, weil sie in Mutterschutz oder Elternzeit gegangen sind und nicht ersetzt werden konnten. Das alles führte dazu, dass Klassen voller wurden und sich Stundenpläne änderten. Viele Kollegen mussten dann immer wieder neu Familie und Beruf in Einklang bringen, das hat zu Stress, zum Teil auch zu Konflikten geführt.
Wird es nach den Ferien besser?
Schröder: Definitiv nicht. Ich erwarte eine gleichbleibende, unbefriedigende Situation. Ich habe die Sorge, dass es schlimmer wird.
Warum?
Schröder: Nehmen Sie nur die Zuwanderung nicht nur aus der Ukraine: Wenn sie anhält, werden in manchen Schulen die Räume nicht mehr ausreichen. Das führt im Extremfall zu Wanderklassen ohne eigenes Klassenzimmer. Das ist pädagogisch fürchterlich.
Betrifft es alle Schularten gleichermaßen?
Schröder: Die Gymnasien weniger, weil neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler in der Mehrzahl in Grund-, Werkreal-, Gemeinschafts- oder Realschulen gehen. In gewisser Weise sind auch die beruflichen Schulen betroffen.
Kein Bock auf deinen Job? Werde Lehrer: Das Kultusministerium hat mit umstrittenen Plakaten um Quereinsteiger geworben. Wie viele Lehrer sehen die Werbung und wollen raus aus dem Job?
Schröder: Nicht viele. Die überwiegende Mehrheit der Lehrer ist zufrieden. Viele fühlen sich in ihrem Kollegium sehr wohl. Der Beruf hat aber an Attraktivität eingebüßt bei den jungen Menschen. Außerdem nehmen sich zunehmend Junglehrer nach ihrem Referendariat eine Auszeit, gehen für ein halbes Jahr auf Reisen oder wollen eine Zeit lang an eine Auslandsschule kommen. Sie wissen: Wenn sie danach in Baden-Württemberg den Finger heben, bekommen sie sofort eine Stelle.
Funktioniert die Werbekampagne?
Schröder: Das Kultusministerium spricht von 8000 Anfragen. Wenn sich tatsächlich so viele dafür interessieren, ist das begrüßenswert. Der Lehrerberuf an sich muss attraktiver werden.
Was fehlt?
Schröder: Vieles. Es fängt schon mit der gesellschaftlichen Wertschätzung des Berufs an. Da muss politisch mehr gemacht werden, damit klar ist, welche Bedeutung dieser Beruf hat, dass er anspruchsvoll ist und welche Herausforderungen er darstellt.

Sprachprobleme, sinkende Kompetenzen, Schulabbrecher ohne Schulabschluss: Wie bewerten Sie die Mängelliste aus dem Bildungsbericht?
Schröder: Es wird sich hoffentlich verbessern, aber nicht kurzfristig. Wir brauchen einen langen Atem, denn Bildungspolitik ist ein schwerfälliger Tanker. Die Politik dreht an vielen Rädchen.
Haben Sie dafür Beispiele?
Schröder: Bei der Digitalisierung ist die Finanzierung nicht geklärt, aber man muss wissen, wie man Lehrer fit für die neuen Herausforderungen macht. Auch beim Umgang mit Geflüchteten oder beim sprachsensiblen Unterricht brauchen wir Schulungen. Lehrer benötigen Unterstützung, um mit der großen Heterogenität zurechtzukommen. Ich vermisse Qualifizierungskampagnen. Viele Lehrer verzichten auf Fortbildungen. Ein Hauptgrund dafür ist: Wenn sie weggehen zur Fortbildung, müssen andere ihre Arbeit machen, oder der Unterricht fällt aus.
Alles steht und fällt mit der nötigen Anzahl an Lehrern. Das Kultusministerium stellte einen 18-Punkte-Plan vor, um Lehrer zu gewinnen und den Unterricht zu sichern.
Schröder: Vieles darin ist nicht neu. Wir haben schon lange versucht, Quereinsteiger zu gewinnen oder dass Kollegen länger arbeiten oder weniger in Teilzeit unterrichten.
Was halten Sie vom dualen Lehramtsstudium?
Schröder: Die GEW fordert seit Jahren, dass die Lehramtsausbildung grundlegend verändert wird. Diese Verzahnung zwischen dem akademischen Lernen in der ersten Phase der Lehrerausbildung und dem Berufseinstieg ist noch immer nicht optimal. Vielleicht kann es durch das duale Lehramtsstudium verbessert werden. Bedauerlich ist, dass es nur als Modellversuch läuft. Das heißt: Wenn er endet, wird das Ganze bewertet. Es dauert zu lange, um zusätzliche junge Kolleginnen und Kollegen an die Schulen bekommen.
Sichern Quereinsteiger das System?
Schröder: Sie brauchen eine gute Qualifizierung und möglichst nicht erst dann, wenn sie schon zwei, drei Monate in der Schule sind.
Wie schnell kommen Quereinsteiger in die Klassen?
Schröder: Wenn alles passt, sind sie zum Schuljahresstart da.
Inklusive Fortbildung?
Schröder: Nein. Als neuer Kollege stehen sie von Anfang an allein vor einer Klasse. Es mangelt an Schulungen, die sowohl die Didaktik, die Methodik und die Pädagogik umfassen. Die Qualifizierung der Quereinsteiger bleibt an den Kollegien vor Ort hängen.