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Hält Heilbronn etwa einen ungeahnten Weltrekord?

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Auf dem Heilbronner Wartbergturm hing einst eine große Kugel - und zwar lange vor der offiziellen Erfindung solcher Signalbälle in England. Womöglich muss die Geschichte umgeschrieben werden.

Das Foto zeigt den Wartberg um 1900. Die Signalkugel auf der Turmspitze hing bis in die 1940er Jahre.
Foto: Stadtarchiv Heilbronn
Das Foto zeigt den Wartberg um 1900. Die Signalkugel auf der Turmspitze hing bis in die 1940er Jahre. Foto: Stadtarchiv Heilbronn  Foto: nicht bekannt

Zeitbälle, Zeitballons, Signalkugeln? Für moderne Zeitgenossen klingt das nach böhmischen Dörfern, sie können nichts damit anfangen, wenngleich uns die Begriffe selbst ein bisschen auf die Spur bringen. Die großen runden Dinger zeigten in früheren Tagen, meist weit oben auf einem Turm oder Stab montiert, die Zeit an, sie gaben optische Orientierungshilfen oder auch Warnsignale. Vor allem in der Meeresschifffahrt zeigten sie Steuermännern und Kapitänen, wo's langgeht.

Heute hängt dort ein Leuchtstab

Was kaum einer weiß: Auch auf dem Heilbronner Wartbergturm befand sich einst eine solche Signalkugel. Eben da, wo seit 2002 der 15 Meter lange Lichtstrahl des holländischen Künstlers Jan van Munster rot-weiß-blau in den Nachthimmel strahlt. Ob der Niederländer bewusst aufs historische Vorbild anspielen wollte, ist nicht bekannt. Fest steht, dass auch Künstler überdimensionale Kugeln als Installationen wiederentdeckt haben, zum Beispiel Ulrike Mohr in Berlin.

Portsmouth hatte offiziell die erste Kugel

Wer's erfunden hat? Die Schweizer möchte man meinen, schließlich gelten sie als Weltmeister der Uhrmacher. Doch in Schifffahrtsmuseen, bei Vorträgen, in wissenschaftlichen Abhandlungen und nicht zuletzt im Internet: Wer sich über sogenannte Zeitbälle oder Signalkugeln erkundigen will, stößt immer wieder auf den Namen Robert Wauchope (1788-1862). Der Admiral der englischen Marine gilt als ihr Erfinder, weil er im Jahre 1829 im Hafen der südenglischen Stadt Portsmouth angeblich den ersten Ball dieser Art installiert hat. 1833 folgte demnach der zweite im Greenwich-Observatorium in London. Bald verbreitete sich die Erfindung über die Häfen Englands, Europas und der Neuen Welt, bis die laut Wikipedia weltweit 160 Zeitbälle schließlich Anfang des 20. Jahrhunderts von Funkstationen und vom Radio abgelöst worden seien.

 


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Schon Goethe erwähnte die Heilbronner Kugel

Doch womöglich muss die Geschichte dieser Zeitbälle umgeschrieben werden. Nicht etwa, weil die Geschichtsschreiber die historischen Vorbilder aus der antiken Welt übersehen hätten, als auf manchen Marktplätzen hängende Bälle mit dem Sonnenstand die Zeit anzeigten. Nein. Der Fellbacher Kunsthistoriker Karl Halbauer ist bei Recherchen über den Heilbronner Kiliansturm darauf gestoßen, dass die Heilbronner Signalkugel schon lange vor denen in Portsmouth und Greenwich auf dem Wartberg gehangen hat. Zahlreiche Abbildungen zeugen davon, aber auch Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe hat die Kugel als "Glocke" 1797 im Tagebuch erwähnt, als er am 28. August auf dem Wartberg den 48. Geburtstag feierte.

Walter Hirschmann vom Stadtarchiv kann uns noch weiter helfen. Er zaubert Heinrich Titots Buch "Beschreibung des Wartberges" von 1838 hervor, das als Jahr der Installation 1498 nennt. Auf dem Wartbergturm sei damals eine Kugel oder ein großer "Knopf" als optisches Signal angebracht worden, der sogenannte Wartbergknopf, der an einer Stange hochgezogen werden konnte. Ein Wächter zeigte damit Bauern und Weingärtnern die Ruhepausen an. Womöglich warnte er auch vor feindlichen Truppen.

Der Ur-Knopf bestand aus Eisenblech, 1611 folgte ein kupferner. 1868, dies steht in einem Aufsatz von 1937, wurde das Teil abgenommen und vor dem Turm in Szene gesetzt. 1881 kam eine Kugel aus Weiden, die auch der Wettervorhersage diente: oben hieß schönes Wetter, Mitte veränderlich, unten mies. Dieser Weidenkorb wurde mit Unterbrechungen angeblich bis in die 1940er Jahre benutzt.

So funktioniert die Signalkugel

Ein Zeitball, auch Signalkugel oder Zeitballon genannt, bestand oft aus Blech, Kupfer oder wie ein Korbgeflecht aus Weiden. Der Durchmesser betrug mitunter um die zwei Meter. Dieser überdimensionale Ball wurde an einer weithin sichtbaren Stelle - meist an Seehäfen oder auf Bergen - an einem Mast oder Turm aufgezogen und oben von einem Sperrhaken festgehalten. Wenn die Kugel tiefer gehängt wurde, waren damit bestimmte Signale verbunden: Zeitangaben, aber auch Warnhinweise oder sogar der Wetterbericht. Eine moderne Form dieser Kugel kommt seit dem 31. Dezember 1907 am Times Square in New York zum Einsatz, als Teil der Silvesterfeiern. Um 23.59 Uhr wird ein beleuchteter Ball an eine Stange langsam nach unten gelassen - nach ganz genau 60 Sekunden erreicht er den Boden: um Mitternacht. Neujahr!

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