Gerichtsurteil zur Grundsteuer: Droht den Kommunen die Insolvenz?
Nach einem Gerichtsurteil in Rheinland-Pfalz werden auch im Raum Heilbronn die Bodenrichtwerte als Grundlage für die Bescheide angezweifelt. Bürgermeister fürchten nun ein Loch in kommunalen Kassen.

Die Grundsteuer ist anders als die schwankende Gewerbesteuer eine verlässliche Einnahmequelle: Die Stadt Neckarsulm nimmt 6,5 Millionen Euro jährlich ein, in Neudenau sind es 700.000 Euro, in der Hohenloher Gemeinde Schöntal 875.500 Euro und in Öhringen gar 4,7 Millionen Euro.
"Viele Kommunen würden faktisch insolvent gehen, wenn sie für mehrere Jahre die Grundsteuer zurückzahlen müssten", versuchte das Finanzministerium Baden-Württemberg zu möglichen Urteilen gegen die Grundsteuerreform zu beruhigen. Genau dies droht nun aber, nachdem ein Gericht in Rheinland-Pfalz ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsregeln angemeldet hatte. In weiteren Bundesländern droht die Reform nun zu kippen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor geurteilt: Die Einheitswerte sind veraltet, der aktuelle Wert der Immobilie müsse berücksichtigt werden. Nun stellt sich heraus: Das Ausweichen auf Bodenrichtwerte ist ebenfalls eine schlechte Lösung. Gleicher Tenor: Der von vielen Faktoren abhängige Wert der Immobilie muss in den Fokus. Beim Urteil in Rheinland-Pfalz ging es um ein fast 150 Jahre altes, unrenoviertes Haus, im anderen Fall um ein Einfamilienhaus, das nur über einen Privatweg erreichbar ist. Für eine nagelneue Immobilie in vergleichbarer Lage und gleich großem Grundstück müsste man nach neuer Regelung dieselbe Grundsteuer zahlen.
Dabei sollte mit der Reform die Grundsteuer gerechter verteilt werden. Die Bodenrichtwerte, die den Wert des Grundstücks darstellen, sollen in Baden-Württemberg Grundlage für die jährlich zu zahlende Steuer sein. Und die sind von der Lage abhängig: In Jagstfeld kostet ein Quadratmeter im Neubaugebiet bis zu 400 Euro, an der B27 sind es nur 290 Euro für den Quadratmeter.
Neue Werte mit Hebesätze multiplizieren: Eine Explosion der Steuereinnahmen droht
Neben den neuen Grundsteuermessbeträgen, welche die Finanzämter im Lauf des Jahres schon verschickt haben, ist der jeweilige Hebesatz entscheidend für den endgültigen Grundsteuerbescheid. Würden die neu erhobenen Werte mit den unveränderten Hebesätzen multipliziert, würde das zu einer Explosion der Steuereinnahmen führen. Die Grundsteuerreform soll aber "aufkommensneutral" sein.
Dennoch haben etliche Kommunen ihre Hebesätze erhöht, im Jahr 2022 waren es 145 von knapp über 1000 Städten und Gemeinden im Land. Aktuell liegt die Bandbreite der Hebesätze bei der Grundsteuer B im Landkreis Heilbronn zwischen 300 Punkten in Neckarwestheim und Talheim bis hin zu 480 Punkten in Löwenstein. Um auf die gleichen Einnahmen zu kommen, müssen die Kommunen ihre Hebesätze ab 2025 anpassen. "Der neue Hebesatz wird sich von dem bisherigen Hebesatz deutlich unterscheiden", verspricht Heilbronn.
Oliver John, Leiter des Gutachterausschusses der Kommunen Öhringen, Neuenstein, Zweiflingen, Pfedelbach und Bretzfeld, hält den Bodenrichtwert als alleiniges Merkmal für die Grundsteuer für unzureichend, denn es bleibe die "tatsächliche Nutzung und auch die Bebauung unberücksichtigt". Dass es zu einer "Insolvenz der Kommunen" kommen kann, sollte das Modell gekippt werden, glaubt John jedoch nicht. Denn mit der Einführung des Gesetzes hätte der Gesetzgeber mitgeteilt, dass es dadurch "keine Verschiebungen bei den Einnahmen geben dürfe".
Bürgermeister fürchten ein Loch in den Kassen der Kommunen
Schöntals Bürgermeister Joachim Scholz befürchtet, sollte die Reform für nichtig erklärt werden, dass die Kommunen keine Grundsteuer mehr festsetzen könnten "und dadurch ein Loch in die Kassen gerissen wird". Er vermutet jedoch, dass die aktuell geltenden Bescheide ihre Gültigkeit behalten, bis eine neue Bewertungsgrundlage beschlossen wird. "Auch bei dieser Reform fällt auf", so Scholz, "dass der Gesetzgeber sich schwer tut, verfassungskonforme Regelungen und Gesetze zu verabschieden."
Der Eppinger Oberbürgermeister und Gemeindetags-Vizepräsident Klaus Holaschke sieht durch das Urteil in Rheinland-Pfalz das Ländle-Modell eher gestärkt, da die Gutachterausschüsse hier wirklich unabhängig sind. Die vom Finanzministerium gewählte Formulierung „Insolvenz der Kommunen“ hält er für unglücklich gewählt, da Kommunen rechtlich gesehen nicht Insolvenz anmelden können. "Vermutlich soll die drastische Formulierung verdeutlichen, dass der Wegfall der Grundsteuereinnahmen die Finanzlage der Kommunen erheblich beeinträchtigen würde. Es ist nicht zu verleumden, dass die Grundsteuereinnahmen für die Kommunen in Baden-Württemberg eine bedeutende Einnahmequelle sind." Sollte diese entfallen, so Holaschke, benötigten die Kommunen dafür Ausgleichszahlungen vom Bund oder dem Land.
Theoretisch haben die Kommunen auch eigene Steuerquellen. "Jedoch wäre eine Kompensation der wegfallenden Grundsteuereinnahmen durch eine beispielsweise höhere Gewerbesteuer, Vergnügungssteuer oder Hundesteuer nur schwer umsetzbar." Auch Einsparungen auf der Ausgabenseite wären aufgrund der fehlenden Grundsteuereinnahmen nicht so leicht umsetzbar, da es sich um erhebliche Beträge handeln würde.
Grundsteuer in Baden-Württemberg ab 2025 nach dem Bodenwertmodell
Die neue Grundsteuer in Baden-Württemberg werde ab 2025 nach dem Bodenwertmodell erhoben, erklärt der Experte. Dabei könne es sein, dass der angesetzte Mietwert pro Quadratmeter überhöht ist. "Dies kann in unserem Modell nicht passieren, da in Baden-Württemberg für die Ermittlung der Grundsteuer nur der Bodenwert als Grundlage verwendet wird und Miethöhen keine Rolle spielen."
Die vom Gericht monierten Datenlücken gebe es durch die umfangreichen dokumentierten Verkäufe nicht. Zudem könne man in Baden-Württemberg durch ein Gutachten nachweisen, dass der tatsächliche Wert niedriger ist als vom Finanzamt festgestellt. Auch die mangelnde Unabhängigkeit der Gutachter sei hier im Ländle nicht der Fall. "Für Baden-Württemberg sehen wir bezüglich der Unabhängigkeit der Gutachterschüsse keine Probleme", stellt Holaschke fest. "Durch die Urteile in Rheinland-Pfalz kann man eher davon ausgehen, dass das baden-württembergische System der neuen Grundsteuererhebung gegenüber dem Bundesmodell deutliche Vorteile hat."