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Warum der Autoreifenabrieb von E-Autos besonders problematisch ist

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Nicht Shampooflaschen oder Joghurtbecher sind Hauptverursacher des Mikroplastiks, sondern der Abrieb von Autoreifen. Das haben Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts ergeben.

Autofahren ist die größte Mikroplastikquelle. Foto: dpa
Autofahren ist die größte Mikroplastikquelle. Foto: dpa  Foto: Felix Kästle (dpa)

Trinkhalme, Teller, Schalen, Getränkebecher und viele andere Produkte aus Plastik dürfen seit dem 3. Juli in Europa nicht mehr hergestellt werden. Die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 hat zum Ziel, die Umwelt vor Plastikmüll zu schützen. Dabei gilt ein ganz anderes Produkt als Hauptverursacher von Mikroplastik: der Abrieb von Autoreifen. Er macht nach Angaben des Fraunhofer-Instituts mehr als 50 Prozent des gesamten Mikroplastiks aus - weltweit.

Dr. Ilka Gehrke ist Verfahrenstechnikerin beim Fraunhofer-Institut Umsicht in Oberhausen. Dort forscht man seit sieben Jahren zum Thema. Nach deren Angaben landen etwa 150.000 Tonnen Reifenabrieb auf deutschen Straßen. In vier Jahren verliere ein Reifensatz eines Autos zirka sechs Kilogramm Masse.


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Für die Untersuchungen hat das Fraunhofer-Institut exemplarisch die Einzugsgebiete von zwei Flüssen betrachtet: der Wupper in Nordrhein-Westfalen und der Panke, eines Nebenflusses der Spree in Berlin. "Der Reifenabrieb ist im städtischen Bereich an viel befahrenen Straßen und Kreuzungen sowie außerorts an stark befahrenen Autobahnen am größten", erklärt Gehrke. Der Abrieb lasse sich nicht nur auf Autos zurückführen. Es betreffe alle Fahrzeuge, die mit Reifen unterwegs seien. Bei starkem Bremsen sei der Verschleiß am Reifen besonders stark, der Abrieb erhöhe sich.

Reifenabrieb lande zunächst auf der Straße, erklärt Gehrke. Durch den Wind gelangen die kleinen Plastikteilchen in der Luft und in den Boden. Der Anteil im Feinstaub betrage zwischen fünf und zehn Prozent. Regnet es, werde der Abrieb von der Straße abgeschwemmt und gelange über Regenabläufe in die Kanalisation und von dort in die Gewässer.

E-Autos mit höherem Verschleiß

Und noch eins haben die Forscher des Fraunhofer-Instituts herausgefunden. "Die E-Mobilität ist hinsichtlich des Reifenabriebs katastrophal", sagt Gehrke weiter. Das Gewicht des Autos und die kräftige Beschleunigung durch den Elektromotor verstärkten nämlich den Verschleiß.

Das Thema Abrieb sei bei der Reifenindustrie permanent präsent, erklärt Gehrke. "Sie engagieren sich. Das große Ziel ist, Reifen so zu gestalten, dass weniger Reifenabrieb entsteht und sich dieser schneller abbaut." Continental gehört zu den großen Reifenherstellern Deutschlands. Das Bestreben sei, die Auswirkungen des Reifenabriebs auf die Umwelt durch ein verbessertes Reifendesign zu minimieren, erklärt Pressesprecherin Laura Averbeck in einer E-Mail. Sie geht davon aus, dass etwa 18 Prozent der Abriebteilchen von Reifen in Flüsse gelange und sich dort größtenteils am Grund ablagere. "Nur etwa zwei Prozent erreichen die Flussmündung und haben so Zugang zum Meer."


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Dort machen gefährliche Antioxidantien Probleme. Sie sorgen dafür, dass die Reifengummimischung mit der Zeit durch Umgebungsfaktoren wie schwankende Temperaturen oder Sauerstoff porös wird. Sie sind hochtoxisch. "An der Westküste der USA haben wir ein Massensterben von Lachsen beobachtet", sagt Gehrke. Hierfür seien Antioxidantien verantwortlich.

Noch unmöglich: Autoreifen kunststofffrei herzustellen 

Welcher Anteil der Abriebspartikel am Ende in Gewässer eingetragen wird, kann das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg hingegen nicht genau bestimmen. Da sich der Reifenabrieb nicht auflöse und nach der Feinstaubphase auf Dauer mit der Luft vermische, verbleibe der Abrieb ziemlich komplett entweder im Gewässer oder an den Straßenrändern im Boden, teilt Sprecherin Mareike Schiffko schriftlich mit.

Eine Verbesserung der Situation ist derzeit aber noch nicht in Sicht. Einen Autoreifen kunststofffrei herzustellen sei nicht möglich, erklärt Gehrke. Man forsche zu Gummimischungen, die sich schneller abbauen. Das Thema ist auch bei Continental präsent. Dort untersucht man seit 2018 in einem Werk in Mecklenburg-Vorpommern, wie sich russischer Löwenzahn als Ersatz für Kautschukbaum aus den Tropen verwenden lässt.

Mikroplastik

Fasern und Partikel aus Kunststoffen, die durch Menschen in die Umwelt gelangen, werden als Mikroplastik bezeichnet. Wie viel davon in die Meere gelangen, ist laut Fraunhofer-Institut schwer abschätzbar. Wie sich das auf die Umwelt auswirke, lasse sich nicht klar definieren. 

Doch welche Optionen gibt es, damit Reifenabrieb erst gar nicht in Gewässer gelange? "Eine Möglichkeit ist, an Hotspots mit viel Feinstaub und viel Reifenabrieb Filter in Gullis einzusetzen", sagt Gehrke. Eine andere Idee sind Straßenkläranlagen. Sie befinden sich in unmittelbarer Nähe zu Straßen. In den Becken dieser Kläranlagen sinke das Mikroplastik auf den Grund.

Diskussionen um ein Tempolimit in den Innenstädten wurden in der Vergangenheit immer wieder diskutiert. Das Fraunhofer-Institut hat herausgefunden, dass bei Tempo 30 halb so viel Reifenabrieb stattfindet wie bei 50 Stundenkilometern. Neben verkehrsplanerischen Maßnahmen sei vorausschauendes Fahren eine Möglichkeit, Reifenabrieb zu vermeiden. Moderate Geschwindigkeit, sanfte Beschleunigung und Bremsung reduziere Reifenabrieb deutlich. "Oder einfach weniger Auto fahren", sagt Gehrke.

 

 

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Kommentare

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Rose Frank am 01.08.2021 17:01 Uhr

Dann fahren wir mit unserem E-Auto einfach ein bisschen sanfter an, und schon ist das Beschleunigungs-Argument entkräftet. Und über Gewicht gibt es nichts zu sagen, solange da draußen tonnenschwere SUVs rumfahren, die außer Reifenabrieb und Bremsenstaub auch noch ihre stinkenden Abgase raushauen. Aber dieser Glaubenskrieg pro/contra E-Auto wird wohl noch Jahre dauern.

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