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Für und wider den Piks: Fakten und Mythen rund um die Corona-Impfung

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Welcher Impfstoff steht für Kinder und Jugendliche zur Verfügung? Ärzte setzen auf individuelle Beratung statt genereller Empfehlung.

Zugelassen ab 12 Jahre: der Impfstoff von Biontech/Pfizer.
Foto: dpa
Zugelassen ab 12 Jahre: der Impfstoff von Biontech/Pfizer. Foto: dpa  Foto: David Young

Soll ich mein Kind gegen das Corona-Virus impfen lassen? Welchen Nutzen bringt ihm das? Und kann ihm die Impfung vielleicht sogar schaden? Viele Eltern zerbrechen sich den Kopf über diese Entscheidung, und auch junge Menschen fragen sich, ob sie mit einer Impfung alles richtig machen. Diese Frage muss individuell beantwortet werden, sagt Dr. Hans Stechele, Sprecher der Kinder- und Jugendärzte in der Region.

 

Welcher Impfstoff steht für Kinder und Jugendliche zur Verfügung?

Die europäische Arzneimittelagentur EMA hat Ende Mai den Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer auch für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 15 Jahren zugelassen, für Jugendliche ab 16 Jahren besteht die Zulassung bereits seit Dezember 2020. Diese Entscheidung wurde in Deutschland vom Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel bestätigt. Das ist keine Notzulassung, sondern entspricht dem üblichen Vorgehen: "Diese Behörden prüfen nach sehr strengen Kriterien, ob ein Medikament eingesetzt werden darf", sagt der Impfexperte und ehemalige Kinder- und Jugendarzt Dr. Ulrich Enzel aus Schwaigern. Im Fokus stehen Wirksamkeit und Verträglichkeit. Grundlage sind belastbare Daten aus verschiedenen Studien. Diese gibt es bei sämtlichen Corona-Impfstoffen für Kinder unter zwölf Jahren noch nicht. Mit einer Zulassung für Jüngere sei deshalb frühestens ab Herbst 2021 zu rechnen, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ).

 

Was ist der Unterschied zwischen einem zugelassenen und einem empfohlenen Impfstoff?

Ein Impfstoff muss zugelassen sein, ehe die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut überhaupt eine Empfehlung prüfen kann. Dabei geht es um die Bewertung des individuellen Nutzens. Er muss für den einzelnen Menschen höher sein als sein persönliches Risiko. Im Falle von Corona hat die Kommission keine generelle Empfehlung für Kinder und Jugendliche von zwölf bis 17 Jahren ausgesprochen, sondern nur für solche mit bestimmten schweren Vorerkrankungen oder hohem Risiko im persönlichen Umfeld. "Der Nutzen für gesunde Kinder ist nicht zu erkennen, weil sie sehr selten schwer an Covid-19 erkranken", fasst Enzel zusammen. Die Empfehlung wird stets mit neuen Erkenntnissen abgeglichen und gegebenenfalls angepasst. Unabhängig von der Stiko-Empfehlung ist eine Impfung im Rahmen der Zulassung möglich.

 


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Wie ist das in den USA? Dort sind bereits Millionen Kinder ab zwölf Jahren geimpft.

"Das ist eine politische Entscheidung", sagt Enzel. "Das System in den USA ist mit unserem nicht vergleichbar." Die Kommissionen in den einzelnen Staaten dort agierten oft nicht unabhängig von der Politik. Das sei hierzulande anders: "Wir haben höchste Wissenschaftlichkeit."

 

Mit welchen Impfeffekten muss bei Kindern und Jugendlichen gerechnet werden?

Die Impfreaktionen bei Kindern unterscheiden sich nicht wesentlich von denen bei Erwachsenen. Sie können, so Hans Stechele, um so ausgeprägter ausfallen, je jünger der Impfling ist. Mit ein bis zwei Tagen mit grippeähnlichen Symptomen muss gerechnet werden.

 

Kann man ausschließen, dass sich der mRNA-Impfstoff in das Erbgut einschleust?

"Diese Bedenken sind wissenschaftlich eindeutig widerlegt", sagt Enzel, "das ist einfach richtiger Unfug." Der Impfstoff enthält einen kleinen Teil mRNA des Corona-Virus Sars-CoV-2. mRNA ist keine DNA und damit auch kein Erbgut. Sie stellt den Körperzellen lediglich kurzzeitig eine Art Bauplan zur Verfügung, damit diese einen sehr kleinen Teil der Virushülle nachbilden können. Die Zellen des menschlichen Immunsystems erkennen diesen Teil als fremd und machen dann ihre Arbeit. "Die infizierte Zelle wird sofort zerlegt und gefressen", schildert Enzel. "Es läuft dasselbe ab wie bei einer Wildvirusinfektion." Wäre es möglich, fremdes Erbgut auf diesem Weg in das menschliche Genom einzugliedern, "dann würde ja jede DNA-Virusinfektion unsere Gene verändern". DNA-Viren sind weit verbreitet, zu ihnen zählen etwa die Herpes- und die Adeno-Viren.

 

 

Inwiefern sind Kinder denn überhaupt von Covid-19 betroffen?

Die Datenlage ist noch dünn. "Wirklich schwerwiegende Verläufe gab es in Heilbronn nicht", sagt Kinder- und Jugendarzt Hans Stechele. Meldungen zu Covid-19, dem schweren Entzündungssyndrom PIMS sowie neuerdings auch zu Long Covid bei Kindern werden von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektologie (DGPI) zentral erfasst.

 

Was ist mit den sozialen und psychischen Folgen der Pandemie? Spielen die keine Rolle für die Impfempfehlung?

Kinder brauchen Freunde, feste Gruppen von Gleichaltrigen, sie brauchen Sport-, Bildungs- und Förderungsinstitutionen sowie ein lebendiges soziales Leben, um seelisch gesund zu bleiben, betont der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Auch das wird bei der Neubewertung durch die Stiko eine Rolle spielen.

 

Die hochansteckende Delta-Variante breitet sich aus. Können wir überhaupt Herdenimmunität erreichen, wenn nicht Kinder und Jugendliche in großer Zahl mitgeimpft werden?

"Anhand der bisherigen, noch unsicheren Daten bräuchte man wohl rund 85 Prozent immune Menschen in der Bevölkerung, um die Ungeimpften indirekt mit zu schützen", sagte Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. "Wir kommen also in Bereiche, die schwer zu erreichen sind, solange es für Kinder unter zwölf Jahren keinen zugelassenen Impfstoff und für alle unter 18 Jahren keine allgemeine Impfempfehlung gibt."

 

Was rät der Kinder- und Jugendarzt?

Kinder sollten auch im Hinblick auf die Herdenimmunität nicht die Haupt-Impflast tragen, "da gibt es noch viel Luft in anderen Altersgruppen", sagt Stechele. "Ich empfehle die Impfung nicht generell." Besonderen Wert legt er auf die individuelle Beratung nicht nur der Eltern, sondern auch der jungen Patienten. Das Alter sei ein wichtiger Faktor: "Bei einem 16-Jährigen, der eine Ausbildung macht, fällt es mir schwer, ihn anders zu behandeln als einen 18-Jährigen. Je älter die Jugendlichen sind, desto mehr glaube ich, dass sie von der Impfung profitieren."

 
 
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