Ein Plädoyer für den Verbrennungsmotor
Für den Heilbronner Maschinenbau-Professor Karsten Wittek wird der Verbrennungsmotor in der aktuellen Debatte zu Unrecht verteufelt. Was er sich für die automobile Zukunft vorstellt, hat er Stimme.de bei einem Gang durch sein Labor verraten.

In der aktuellen Diskussion um Klimaschutz und Schadstoffvermeidung wird die Elektromobilität häufig als Lösung der mannigfaltigen Probleme dargestellt. Doch der Schein trüge, warnt der Heilbronner Maschinenbau-Professor Karsten Wittek. Er sagt: "Der Verbrennungsmotor wird zu Unrecht verteufelt." Es komme vielmehr darauf an, was verbrannt wird. Denn auch Wasserstoff komme als Kraftstoff infrage. Ein Interview mit Boxenstopps.
Wer das "Labor für Kolbenmaschinen" an der Hochschule in Sontheim betritt, erlebt eine Welt zwischen Hightech und klassischem Benzingeruch. Ein roter BMW M240 steht in der Mitte des Raums. Karsten Wittek startet ihn und zeigt, wie sich je nach Drehzahl die Kompressionswerte auf dem Display ändern - programmiert haben das seine Studenten. Im Motor werkeln spezielle Pleuelstangen, die Wittek entwickelt hat, um die Effizienz des Ottomotors noch einmal spürbar zu verbessern.
Herr Wittek, wer so viel Energie in die Verbrennungsmotorentechnik steckt, der muss sich ja für sie stark machen. Glauben Sie wirklich, dass wir auch in 20 Jahren noch Verbrennungmotoren brauchen?
Karsten Wittek: Das glaube ich schon. Aber erst einmal muss ich sagen, dass mein persönliches Wohl nicht davon abhängt, ob es Verbrennungsmotoren gibt. Ich bin verbeamtet (lacht). Man hat als Ingenieur aber auch eine ethische Verantwortung. Und das Thema Klimaschutz ist das Jahrhundertthema schlechthin. Wir müssen innerhalb der nächsten Dekade den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren. Das bedeutet, dass es nicht reicht, mal hin und wieder auf eine Flugreise zu verzichten. Wir reden über absolut dramatische Maßnahmen.
Sprich: Es braucht Einsparungen. Kommt hier Ihre Pleuelstange ins Spiel?
Wittek: Nein, stopp. Die Einsparmöglichkeiten liegen dadurch bei etwa fünf Prozent, das alleine bringt keine Rettung. Aber wir müssen uns von der Verbrennung fossiler Energieträger verabschieden. Die Frage ist, wie kommen wir am effizientesten da hin. Die flächendeckende Einführung der Elektromobilität wird jedenfalls zu keiner CO2-Einsparung führen. Denn geladen wird das E-Auto mit Energie aus dem üblichen Strommix. Da wird knapp ein halbes Kilogramm CO2 pro Kilowattstunde freigesetzt, Tendenz fallend. Unterm Strich liegt der CO2-Ausstoß pro Strecke damit zwar etwas unter dem Ausstoß von modernen Benzin- und Dieselfahrzeugen, er ist aber bei weitem nicht Null. Berücksichtigt man die Batterieproduktion, ist die CO2-Bilanz der E-Autos in jedem Falle deutlich schlechter.

Das Ziel ist aber, dass mehr Strom aus regenerativen Quellen kommt.
Wittek: Richtig. Aber je mehr Solarzellen wir auf die Dächer packen, je mehr Windräder wir bauen, desto größer sind auch die Schwankungen im Stromnetz. Und das nicht nur im Tagesverlauf, sondern übers ganze Jahr gesehen. Das Ifo-Institut hat berechnet: Selbst wenn es gelänge, unseren gesamten jährlichen Strombedarf aus Wind- und Solarkraft im Mittel zu decken, bräuchten wir mehrere Tausend Pumpspeicherkraftwerke, um die Monate mit zu wenig Stromangebot zu überbrücken. Wir haben derzeit 35 und keinen Platz für ein weiteres.
Was hat das jetzt mit dem Verbrenner zu tun?
Wittek: Kommen Sie mal mit...
Der Maschinenbauer holt eine Pleuelstange aus dem Regal und legt sie auf den Tisch. Er zeigt auf die exzentrische Lagerung und erklärt, wie durch Drehen dieses Lagers der Abstand zwischen Pleuelzapfen und Kolbenbolzen reguliert werden kann. So verändere sich die Verdichtung im Zylinder.
Wir sind immer noch bei den Pumpspeicherkraftwerken?

Wittek: Naja, indirekt. Wenn wir elektrische Energie speichern wollen, dann können wir das mit Unmengen von Lithium-Ionen-Batterien oder auch Pumpspeicherkraftwerken tun. Oder wir können Energie chemisch speichern, etwa in Form von Wasserstoff oder durch Zugabe von Kohlendioxid als Methan, also Erdgas oder auch in Form von Methylalkohol. All diese Stoffe sind über Monate lagerbar, sie sind gut zu transportieren, einfach zu tanken und letztlich auch sauber in Motoren zu verbrennen.
Die Autobauer sind derzeit der Meinung, dass man Wasserstoff über eine Brennstoffzelle effizienter nutzt...
Wittek: Das ist generell richtig, aber die beiden Technologien sind vom Wirkungsgrad her nicht weit weit voneinander entfernt. Die meiste Energie verliere ich erst einmal bei der Herstellung von grünem Wasserstoff Ich zeige Ihnen etwas...
Zur Person
Karsten Wittek (46) ist Spezialist für Thermodynamik und Verbrennungsmotoren. Aufgewachsen ist er in Kaiserslautern, studiert hat er in Aachen. Nach Stationen in der Industrie ist er 2013 als Maschinenbau-Professor an die Hochschule Heilbronn gekommen.
Der 46-Jährige läuft über den Hof und öffnet einen Container. Im Innern ein durch Schutzglas abgetrennter Raum, wo demnächst ein Motorenprüfstand entsteht. Warnschilder machen auf leicht entzündliche Gase aufmerksam.
Ist hier Explosionsgefahr?
Wittek: Nun, wir werden hier Motoren mit Wasserstoff betreiben. Wir forschen daran, den Wirkungsgradunterschied zur Brennstoffzelle wettzumachen und unsere variable Pleuelstange wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Der Vorteil eines Verbrennungsmotors ist aber in jedem Fall, dass man auch Benzin oder Alkohol tanken kann, wenn der Wasserstoff einmal nicht verfügbar sein sollte. Außerdem sind keine absolut sauberen Treibstoffe notwendig. Man könnte also Abfall-Wasserstoff aus der Industrie verbrennen, oder auch Mischungen mit Erdgas. Durch die variable Kompression ist man plötzlich sehr flexibel.
Erdgas-Autos gibt es schon lange, trotzdem setzen sie sich nicht durch.
Wittek: Weil Diesel zu billig ist. Wenn es wirklich ums Klima ginge, müsste man längst Erdgas fahren. Mit Gas betriebene Fahrzeuge sparen vorneweg 20 Prozent CO2 ein.
Das Ziel ist trotzdem der grüne Treibstoff. Bleibt die Frage, woher der viele grüne Strom dafür kommt?
Wittek: Wir werden in Deutschland nicht genug produzieren können, um die gesamte Fahrzeugflotte damit zu versorgen. Es ist Zeit, die Idee der großen Sonnenkraftwerke im Nahen Osten und in der Sahara wieder aufzugreifen. Als grüner Treibstoff könnte die Energie über Pipelines nach Europa kommen.