Kokain-Rekordfund: Heilbronner koordinierte Ermittlungen – "An Rand der Belastbarkeit gebracht"
Fahnder finden eine Rekordmenge an Kokain. Organisierte Kriminalität, Spezialeinheiten, Lieferungen: Ein Heilbronner LKA-Direktor gibt Einblicke in die monatelange Ermittlungsarbeit.
Im Hamburger Hafen entdecken Fahnder eine Rekordmenge an Kokain. Es soll sich um mehr als 35 Tonnen handeln. Ermittler haben nun weitere Details verraten. Andreas Mayer vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg (LKA) koordinierte die polizeilichen Ermittlungen. Der 60-jährige Heilbronner ist Chef des Bereichs Organisierte Kriminalität. Seit Mai 2023 ist die Polizei gemeinsam mit dem Zoll der Drogenbande auf der Spur.
Container voller Kokain in Hamburg, die Täter aus Nordrhein-Westfalen. Wieso ermittelte das LKA Baden-Württemberg?
Andreas Mayer: Wir wurden 2023 über zwei Container aus Südamerika mit Ziel zu einer Firma in Mannheim informiert, deren Inhalt ökonomisch keinen Sinn machte. Eine erste Abklärung ergab, dass es sich um eine reine Briefkastenfirma handelte: keine eigenen Räume und keine Lagermöglichkeit. Man könnte auch sagen: Wir haben das Ermittlungsverfahren nicht gesucht, das Ermittlungsverfahren hat uns gefunden.
Was war denn drin?
Mayer: Kernseife. Wir hatten die Vermutung: Da stimmt was nicht. Allerdings war die Prüfung der Container erfolglos. Doch uns hat diese kuriose Lieferung nicht losgelassen.
Wie gingen die Ermittlungen weiter?
Mayer: Wir haben die Adressdaten des Empfängers ermittelt und uns gefragt, ob er neben der Firma in Mannheim noch weitere Firmen unterhält. Das war tatsächlich der Fall. Dabei stellten wir fest, Briefkastenfirmen auf Vorrat zu gründen und an Kunden zu verkaufen scheint ein Geschäftsmodell zu sein.
War das die einzige Lieferung?
Mayer: Für einige seiner Firmen kamen in der Vergangenheit Lieferungen aus rauschgiftsensiblen Staaten Südamerikas an. Bei den weiteren Ermittlungen stellten wir fest, dass es bereits drei größere Lieferungen gab, die über den Hamburger Hafen an seine Firmen hätten versandt werden sollen.
Woher kam denn der erste Hinweis?
Mayer: Ein Container war bereits in Guayaquil in Ecuador geöffnet worden. Darin befanden sich drei Tonnen Kokain. Die kolumbianischen Behörden informierten uns daraufhin. In zwei weiteren Lieferungen, die im Hamburger Hafen sichergestellt wurden, befanden sich 2,5 Tonnen Kokain. Wir vermuteten von Anfang an, dass da ein Zusammenhang bestehen könnte.
Wurden die Vermutungen des LKA bestätigt?
Mayer: Ja. Kurze Zeit später haben die Ermittlungen an Fahrt aufgenommen. Wir haben verdeckt und offen ermittelt und peu à peu ein Netzwerk erkannt. Gemeinsam mit vielen Beamten des LKA Hamburg, dem Zoll und Spezialeinheiten aus Hamburg haben wir in der Folge eine Vielzahl an Containern untersucht, aber zunächst nichts gefunden.
Sie ließen nicht locker.
Mayer: Wir haben weiter Container für die in Verdacht geratenen Firmen überprüft. Im Hamburger Hafen hat der Zoll 2,5 Tonnen Kokain sichergestellt. Anfang Juli kam dann eine Großlieferung mit 12,5 Tonnen an. Die Lieferung war als Sesam aus Paraguay deklariert.
Wohin schafft die Polizei eine solche Menge an Drogen?
Mayer: Die Drogen haben wir sofort in Begleitung von Spezialeinheiten nach Stuttgart transportieren lassen. Um es gerichtsfest zu machen, musste das Kokain von unserem kriminaltechnischen Institut toxikologisch und auf den Wirkstoffgehalt überprüft werden. Danach wurden die 15 Tonnen in einem Müllheizkraftwerk verbrannt. Das ist eine Menge, da stoßen wir an Grenzen.
Wer unterstützte die Ermittlungen?
Mayer: Bei so einer Menge brauchen wir sehr viele Beamtinnen und Beamte. In der Hochphase waren es Beamte im dreistelligen Bereich. Polizei, Zoll, sogar die Feuerwehr hat mitgeholfen, da das Kokain in den Containern ausgaste und wir jemanden mit Atemschutzgeräten brauchten.
Wie sehr geht ein solcher Einsatz an die Substanz?
Mayer: Das zehrt an den Kräften und hat uns an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Wir haben über die lange Ermittlungsdauer versucht, für unsere Mitarbeiter Erholungsphasen zu schaffen. Ich bin stolz, dass ich so eine tolle Truppe habe.
Von wann bis wann haben Sie ermittelt?
Mayer: Der erste Hinweis kam im April 2023, die Sicherstellungen fanden bis September 2023 statt. Wir hatten Drahtzieher, Lkw-Fahrer, Bergungstrupps ausgemacht. Das war eine richtige Organisation, die in Hamburg bereitstand, um das Kokain zu entladen.
Waren die Drogen ausschließlich für den deutschen Markt bestimmt?
Mayer: Es gibt Spuren beziehungsweise Hinweise auf mögliche Abnehmer auch in anderen europäischen Staaten und es gibt Spuren in die Türkei.
Was ist über die Struktur der Täter bekannt?
Mayer: Die Organisation ist türkisch geführt. Der Personenkreis hat zum Teil Bezüge zu bekannten Strukturen der Organisierten Kriminalität. Einer der Hauptbeschuldigten wurde während unserer Ermittlungen von einer anderen Dienststelle wegen einer schweren räuberischen Erpressung festgenommen. Das hat unsere Ermittlungen aber nicht beeinträchtigt.
Das Kokain hat eine Straßenverkaufswert von 2,6 Milliarden Euro. Wie gefährlich war der Einsatz für Ihre Kollegen?
Mayer: Die Kollegen ermitteln sehr umsichtig. Für verdeckte, operative Maßnahmen ziehen wir regelmäßig Spezialeinsatzkräfte hinzu, wie das Mobile Einsatzkommando, das Spezialeinsatzkommando oder Observationsteams des Zolls.
Können Sie die Menge noch einmal einordnen?
Mayer: Der Drogenfund floss in die Kriminalstatistik 2023 ein. Vergangenes Jahr wurden 43 Tonnen Kokain sichergestellt. Allein in Deutschland. Unsere knapp 25 Tonnen sind somit mehr als die Hälfte. Dazu kommen drei Tonnen Kokain, die bereits in Guayaquil in Ecuador und acht Tonnen, die in Rotterdam sichergestellt wurden. Die werden diesem Verfahren zugeordnet.
Zur Person: Andreas Mayer ist Leitender Kriminaldirektor beim LKA und für den Bereich Organisierte Kriminalität zuständig. Der 60-Jährige ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Bei der Gemeinderatswahl trat er für die CDU an und verpasste um einen Listenplatz den Einzug ins Heilbronner Gremium.


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