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Diesel und Fahrverbote - Sieben Dinge, die man wissen sollte

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Der Ruf des Diesels leidet seit Jahren - und nun drohen Dieselfahrern auch noch Einschränkungen in deutschen Innenstädten. Ein Urteil in Leipzig bestätigt: Fahrverbote sind erlaubt, wenn die Luft sonst nicht sauber wird. Und nun?

Von dpa und unserer Redaktion
Bundesrichter erlauben Diesel-Fahrverbote. Was das für die Autofahrer - wie hier in Heilbronn - bedeutet, ist noch unklar. Foto: Matthias Heibel
Bundesrichter erlauben Diesel-Fahrverbote. Was das für die Autofahrer - wie hier in Heilbronn - bedeutet, ist noch unklar. Foto: Matthias Heibel

 

Vor drei Jahren waren Stickoxide noch etwas für Experten. Aber seit im Abgas-Skandal herauskam, dass viele Diesel mehr davon ausstoßen, als sie sollten, beschäftigt das gesundheitsschädliche Gas Autofahrer, Autobauer, Gerichte und Politiker. Mit dem Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts, dass Diesel-Fahrverbote als letzter Ausweg möglich sind, könnten bald die ersten neuen Verbotsschilder in den Städten auftauchen. Das Wichtigste im Überblick:

 

1. Es trifft nicht alle Diesel.

Klar ist, dass Benziner mit Stickoxiden keine Probleme haben. Eng könnte es zunächst für ältere Diesel werden, die zum Beispiel den EU- Abgasnormen Euro 3 und 4 entsprechen. Stuttgart darf Euro-5-Diesel frühestens ab September 2019 aussperren, wenn sie mindestens vier Jahre alt sind. Noch dazu muss es Ausnahmen geben, etwa für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen, wie die Richter entschieden.

 

2. Wo es Fahrverbote geben würde, ist offen.

In den ersten Städten wird es schon konkret - Hamburg etwa will ältere Diesel aus zwei Straßen aussperren. In den meisten Städten ist aber noch offen, ob überhaupt - und erst recht, wo - Fahrverbote kommen sollen. Umweltschützer befürchten, dass vor allem um die Messstellen herum die Luft sauberer werden soll - dann hätte Deutschland vielleicht kein Problem mehr mit der EU, den Stadtbewohnern wäre aber nicht geholfen. Andererseits sind die Messstellen nicht willkürlich verteilt, sondern nach festen, ziemlich komplizierten Regeln, damit sie repräsentative Ergebnisse liefern.

 

3. Dutzende Städte kommen in Frage.

Messstellen in München, Stuttgart und Köln wiesen die schlechtesten Werte 2017 aus. Aber auch Heilbronn nimmt einen vorderen Platz ein. Zu den 37 Städten, deren Grenzwert-Überschreitung für das vergangene Jahr schon jetzt sicher ist, gehören aber auch andere, etwa Reutlingen, Darmstadt, Limburg an der Lahn oder Tübingen. Die Werte hat das Umweltbundesamt veröffentlicht (siehe Liste am Ende des Artikels).

 

4. Die rechtliche Grundlage ist kompliziert.

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, das Kommunen schon jetzt Fahrverbote eigenmächtig erlassen dürfen. Aber nicht auf Basis des deutschen Gesetzes - sondern auf Basis des EU-Rechts, wenn die Stadtluft anders nicht schnell sauber zu kriegen ist. Kommunen und Umweltschützer dagegen wollen trotzdem eine „blaue Plakette“ als bundesweite Kennzeichnung relativ sauberer Autos. Das lehnt die Bundesregierung bisher allerdings ab.

 

5. Die Luft ist sauberer geworden.

Die neueste Diesel-Generation ist sauberer, die Städte tun schon einiges für ihre Luft, Software-Updates verbessern die Abgasreinigung von Millionen Autos, und der Diesel-Anteil bei Neuwagen-Käufen ist deutlich zurückgegangen. All das zeigt Wirkung. An vielen Messstationen sind die Stickoxid-Werte 2017 deutlich niedriger ausgefallen als 2016, wie das Umweltbundesamt auflistet. Nur: Es reicht eben noch nicht. Schätzungen zufolge dürften 70 Kommunen weiterhin zu hohe Werte haben, noch liegen nicht alle Daten vor.

 

6. Die Gesundheitsgefahr ist real.

Experten des Umweltbundesamts haben viele Studien zur Gefahr von Stickoxiden ausgewertet. Trotz einer nach eigenen Angaben sehr vorsichtigen Rechnung kam heraus: Mindestens 6000 Menschen im Jahr sterben in Deutschland vorzeitig alleine an Herz-Kreislauf-Krankheiten, die von Stickoxid ausgelöst werden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch Schlaganfälle, Lungenerkrankungen wie Asthma oder COPD sowie Diabetes durch Stickoxide ausgelöst oder verschlimmert werden können. Die EU, die anders rechnet, geht von 10 400 vorzeitigen Todesfällen aus.

 

7. Hardware-Nachrüstungen sind nicht vom Tisch.

Bisher lassen die Autobauer nur neue Software aufspielen, um die Abgasreinigung zu verbessern - neue Bauteile lehnen sie als ineffizient ab. Spannend ist, was in einem Gutachten für eine Expertengruppe unter Leitung des Verkehrsministeriums dazu steht. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD Hardware-Nachrüstungen an zwei Bedingungen gekoppelt: Sie müssten „technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar“ sein. Ersteres dürfte klar zu beantworten sein - das zweite ist wohl eher eine Ermessensfrage.

Mehr zum Thema: Der Umgang der Politik mit Gesundheitsgefahren ist fahrlässig. Jetzt gibt es dafür die Quittung. Einen Lerneffekt gibt es aber wohl nicht, kommentiert Stimme-Redakteur Christian Gleichauf

 

 

Feinstaub-Messungen in Heilbronn

In einer verkehrsreichen und industriell starken Stadt wie Heilbronn ist die Luft nicht alpenrein sauber – besonders jetzt, zur Feinstaubsaison zwischen Oktober und April. In einem Projekt misst die Heilbronner Stimme an ausgewählten Standorten mit rund 20 selbstgebauten Geräten, wie dreckig es vor Heilbronner Haustüren ist.

Hier weiterlesen: Wie viel Feinstaub belastet die Luft in Heilbronn?

 

 

Umweltbundesamt: Diese Städte überschreiten die NO2-Grenzwerte

Sichere Überschreitung 2017: 37 Städte

  Jahresmittelwert 2016 Jahresmittelwert 2017
München 80 78
Stuttgart 82 73
Köln 63 62
Reutlingen 66 60
Hamburg 62 58
Düsseldorf 58 56
Kiel 65 56
Heilbronn 57 55
Darmstadt 55 52
Ludwigsburg 53 51
Dortmund 51 50
Wiesbaden 53 50
Berlin 52 49
Freiburg im Breisgau 41 49
Oberhausen 48 49
Oldenburg (Oldb) 50 49
Wuppertal 49 49
Hagen 51 48
Mainz 53 48
Tübingen 48 48
Frankfurt am Main 52 47
Solingen (2017 neu) - 47
Aachen 49 46
Gelsenkirchen 48 46
Leverkusen 45 46
Limburg a.d. Lahn 60 45
Mannheim 46 45
Augsburg 46 44
Hannover 55 44
Ludwigshafen am Rhein 46 44
Osnabrück 48 44
Halle (Saale) 46 43
Leonberg 47 43
Nürnberg 46 43
Gießen 44 42
Essen 51 41
Regensburg 42 41

 

 

Wahrscheinliche Überschreitung 2017: 29 Städte

  Jahresmittelwert 2016 Jahresmittelwert 2017
Düren 60 -
Backnang 56 -
Marbach am Neckar 55 -
Esslingen am Neckar 54 -
Offenbach am Main 51 -
Bochum 50 -
Paderborn 50 -
Bielefeld 49 -
Bonn 49 -
Herrenberg 49 -
Mühlacker 49 -
Ravensburg 49 -
Siegen 48 -
Hürth 47 -
Leinfelden-Echterdingen 47 -
Pleidelsheim 47 -
Herne 45 -
Mülheim an der Ruhr 45 -
Neuss 45 -
Witten 45 -
Heidenheim an der Brenz 44 -
Hildesheim 44 -
Kuchen 44 -
Mönchengladbach 44 -
Schwerte 44 -
Bensheim 43 -
Dinslaken 43 -
Hameln 43 -
Schwäbisch Gmünd 43 -

 

 

Sichere Unterschreitung 2017: 10 Städte

- Jahresmittelwert 2016 Jahresmittelwert 2017
Dresden 45 40
Koblenz 43 40
Leipzig 42 40
Bremen 41 39
Fulda 41 39
Kassel 43 39
Norderstedt 44 39
Würzburg 42 38
Marburg 47 36
Potsdam 43 34

 

 

Wahrscheinliche Unterschreitung 2017: 15 Städte

- Jahresmittelwert 2016 Jahresmittelwert 2017
Eschweiler 42 -
Gladbeck 42 -
Heidelberg 42 -
Remscheid 42 -
Walzbachtal 42 -
Freiberg am Neckar 41 -
Halle (Westf.) 41 -
Ilsfeld 41 -
Krefeld 41 -
Langenfeld (Rhld.) 41 -
Markgröningen 41 -
Mettmann 41 -
Mögglingen 41 -
Overath 41 -
Rüsselsheim am Main 41 -

 

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Kommentare

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am 28.02.2018 10:13 Uhr

Der Staat fordert, kontrolliert aber nicht richtig! Die Industrie liefert, betrügt aber und ausbaden dürfen es die Kunden. Vornweg die deutschen Kunden, denn die Amis wurden ja fürstlich entschädigt! Der größte Witz ist aber der, das Fahrzeuge mit der Euro 5 Norm noch bis zum Jahr 2015 verkauft wurden! Das heißt, ich habe ein knapp drei Jahre altes Auto und schaue jetzt in die Röhre! Das ist, wie Herr Lindner von der FDP nicht treffender sagen konnte, eine staatsverordnete kalte Enteignung!

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Peter Henschel am 27.02.2018 19:17 Uhr

Die hier wähnten und angeblich nachweislich 6000 Tote sind nach meinem
Kenntnisstand bis heute nicht und absolut eindeutig, auschliesslich auf die
betreffenden Autoabgasese Der menschliche Organismus ist hierzu viel
zu komplex!. Es ist und bleibt daher eine reine Spekulation

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