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Jugendkulturforscher: "Die Jungen brauchen einfach den Kontakt"

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Feiern ja, aber bitte nur am Wochenende! Im Interview mit dem Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier geht es darum, wie sich die Clubkultur entwickelt hat. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie suchen sich junge Menschen auch immer häufiger alternative Orte zum Feiern.

von Milva-Katharina Klöppel
Das Ausgehverhalten hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier glaubt aber nicht an ein Ende der Clubkultur. Themenfoto: dpa
Das Ausgehverhalten hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier glaubt aber nicht an ein Ende der Clubkultur. Themenfoto: dpa  Foto: picture alliance / dpa / Archiv

Die fetten Jahre sind vorbei, zumindest für große Discos. Während es in den 1990er Jahren noch reichte, einen DJ zu organisieren und eine Lagerhalle mit fetten Boxen auszurüsten, müssen sich Großclubbetreiber heute ganz schön ins Zeug legen, um noch Publikum zu bekommen. Bernhard Heinzlmaier vom Jugendkulturinstitut in Wien und Hamburg erklärt, welche Gründe dies hat.

 

Stirbt die Disco?

Bernhard Heinzlmaier: (lacht) Nein, es deutet nichts darauf hin. Sie wird wieder aufblühen.

 

Aber auch vor der Pandemie klagten Diskotheken bereits über einen Rückgang der Besucher. Woran könnte das liegen?

Heinzlmaier: Das ist ein Schichtenproblem. Es kommt klar auf die Formate an - die Großraumdiskothek ist eher ein Unter- und Mittelschichten-Phänomen. Sie sind auch musikkulturell eher so programmiert, dass sie nicht auf die oberen 30 Prozent der Gesellschaft zugeschnitten sind. Die, die unten sind und besonders im Zuge von Corona von Arbeitslosigkeit betroffen sind, können sich die Disco heute einfach nicht mehr leisten.

 


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Warum wird in den Clubs immer häufiger alte Musik gespielt - die besten Hits der 90er, 2000er Jahre zum Beispiel?

Heinzlmaier: Das hängt mit Strategien der Musikindustrie zusammen. Die macht seit 20 Jahren sehr stark diesen Retro-Trend - viele alte Sachen werden mit neuen Elementen versehen und günstig neu produziert. Man sagt immer, dass es ein kultureller Trend ist, in meinen Augen ist es aber viel mehr ökonomisch getrieben.

 

Häufig sind es sogar Lieder, die die jungen Disco-Besucher nicht einmal aus ihrer Kindheit kennen. Wie geht das zusammen?

Heinzlmaier: Es ist auch die Strategie der Diskothekenbetreiber, dass sie nicht nur die Jungen haben wollen. Stattdessen möchten sie die Gruppe der Gäste erweitern und machen deshalb die Retro-Formate, damit die 30-, 40-, und 50-Jährigen auch kommen.

 

Die Gruppe ab 25 Jahren scheint bei den Betreibern besonders beliebt zu sein ...

Heinzlmaier: Das ist eine sehr kaufkraftstarke Gruppe. Die haben wirklich Geld und mit denen kann man gutes Geld verdienen. Zudem hat man mit ihnen weniger Probleme - sie sind nicht so ungestüm. Das ist allgemein in ganz Europa so, dass man versucht, an die ranzukommen. Aktuell ist eine große Diversifizierung in Gange. Einige werden sich auf die Jüngeren, andere auf die Älteren spezifizieren.

 

Aber auch die jungen Erwachsenen mit 18, 19 Jahren werden ruhiger, oder?

Heinzlmaier: Man verwendet dafür das Schlagwort "Jugend unter Druck". Für die Jugendlichen heute gilt: Man braucht eine spitzenmäßige Ausbildung, kommt schwer in den Beruf rein, die Konkurrenz ist groß. In der Arbeitswelt spricht man deshalb vom Aufstieg durch Anpassung. Und das ergreift das ganze Leben. Es wird zu einer Grundhaltung, und so wird man auch in seiner Freizeit gesitteter. Der Alkoholkonsum geht zurück, die Leute können es sich gar nicht mehr leisten. Dadurch wird die ganze Szenerie eher anständiger, gefasster, ruhiger. Außer es gibt bestimmte Problemgruppen in den Randzonen, so wie wir es in Stuttgart gesehen haben.

 

Gerade in den vergangenen Wochen und Monaten konnte man beobachten, wie sich die Partyszene in öffentliche Parks, ins Grüne verlagerte. Wird das auch nach Corona noch Bestand haben?

Heinzlmaier: Wenn man den Leuten die Feier nimmt oder sie verbietet, verlagert sie sich nach draußen. Das war ein erwartbarer Effekt. Jugendkultur muss weiter gehen - die Jungen brauchen einfach den Kontakt zur gleichaltrigen Gruppe. Es geht nicht nur ums Feiern. Es wird besprochen, wie der Alltag im Leben ist, es werden Taktiken ausgetauscht, wie man damit zurechtkommt.

 

Aber man kehrt zurück in die Clubs?

Heinzlmaier: Sicherlich, und man wird die Gruppen junger Menschen nach der Pandemie auch im öffentlichen Raum wieder mit anderen Augen sehen. Jetzt ist alles so auf Skandal getrimmt. Der Blick wird sich wieder ändern und keiner wird sich mehr aufregen. Ich glaube, die Treffen im öffentlichen Raum sind gar nicht so viel mehr geworden, sie wurden nur anders gesehen und kommentiert.

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