Die altkatholische Kirche ist erfrischend modern
Bernd Panizzi und die altkatholische Kirche haben mit dem Papst nichts mehr am Hut und sind erfrischend modern. Im Stimme-Interview weiß der verheiratete Priester Spannendes zu berichten: von sich und seiner Kirche.

Ostern, Weihnachten, Pfingsten: Sie feiern dieselben Festtage, haben dieselbe Liturgie, singen dieselben Lieder. Und dennoch unterscheidet sich die altkatholische Kirche in wesentlichen Punkten von der römisch-katholischen. Manches mutet - im Vergleich zu dieser - revolutionär an: vom Frauenpriestertum über verheiratete Pfarrer bis hin zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Wir sprachen darüber mit Pfarrer Bernd Panizzi, der einst von Rom verstoßen wurde, weil er die Liebe zu seiner Frau nicht verheimlichen wollte.
Katholisch ist für manche ein Synonym für konservativ. Ist etwa altkatholisch die Steigerungsform?
Bernd Panizzi: Nein, das Alt mag zwar nach altmodisch klingen, aber die Gründer wollten 1873 damit signalisieren, dass sie sich auf die alte Kirche berufen, die Ur-Kirche. Hätten sie gewusst, was sie im 21. Jahrhundert damit assoziieren, hätten sie sich das dreimal überlegt. Manche meinen neu- oder reformkatholisch wäre besser.
Wie kam es eigentlich zur Gründung?
Panizzi: 1870 gab es das erste vatikanische Konzil in Rom. Unter Papst Pius IX. wurden zwei umstrittene Dogmen erlassen. Erstens: Der Papst ist der oberste Richter über das Gewissen aller Christen. Zweitens ist er in Fragen des Glaubens und der Sitte unfehlbar. Moderne Theologen sind dagegen Sturm gelaufen. Wer die Dogmen anzweifelte, wurde ausgeschlossen. Ein Kreis jener Exkommunizierter hat sich bald regelmäßig getroffen und gesagt: Um die Seelsorge für uns alle sicherzustellen, müssen wir Gemeinden bilden können und auch staatskirchenrechtlich anerkannt werden. Das Großherzogtum Baden war da recht liberal: Wenn ein Siebtel der Männer einer Gemeinde dafür war, durften sie eine eigene altkatholische Gemeinde aus der Taufe heben. Deshalb gibt es in Baden so viele von uns.
Wie waren und sind die Gemeinden organisiert?
Panizzi: Gleich am Anfang wurden Reformen veranlasst, die bis heute gelten. Alles ist basisdemokratisch. Es gibt keine Kluft zwischen Geistlichen und Laien, alle sind über Synoden in wichtige Entscheidungen eingebunden. Oberstes Organ jeder Gemeinde ist die Gemeindeversammlung, die unter anderem auch ihren Pfarrer wählt. Priestern ist es freigestellt, ob sie zölibatär leben oder heiraten wollen. Die Liturgie wurde schon damals in der Landessprache gefeiert, nicht nur auf Lateinisch wie das bei der katholischen Kirche bis Mitte der 1960er Jahre war. Später hat man auch das Diakonat, Priesteramt und sogar das Bischofsamt für Frauen geöffnet.
Wie sieht es mit anderen strittigen Themen aus, etwa Geschiedene oder Homosexualität?
Panizzi: Dass wiederverheiratete Geschiedene bei uns, anders als in der römisch-katholischen Kirche, zur Kommunion dürfen, ist selbstverständlich. Sie können auch nochmals kirchlich heiraten. Die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare gibt es bei uns schon lange. Wir haben ein Ritual dafür: die Partnerschaftssegnung. Bei der letzten deutschen Bistumssynode wurde sie dem Sakrament der Ehe gleichgestellt.
Damit müssten Sie sich eigentlich über großen Zulauf freuen, auch vor dem Hintergrund der jüngsten Missbrauchsskandale?
Panizzi: Bei uns in Heidelberg eher nicht, aber in Köln gab und gibt es relativ viele Beitritte.
Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauchsfällen?
Panizzi: Auf jeden Fall. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es in Priesterseminaren Männer gibt, die mit ihrer Sexualität nicht klarkommen. Wenn solche Menschen dann allein sind und die - sagen wir mal - Naturmacht Sexualität durchschlägt, kann es zu Missbräuchen kommen.
Sie waren selber Priester in der römisch-katholischen Kirche. Wie kamen Sie zur altkatholischen?
Panizzi: Dem ging ein schmerzhafter Prozess voraus. Ich muss sagen: Priester sein ist meine Berufung. Punkt. Ich habe aber schnell gemerkt, dass mir das Zusammenleben mit einer Frau fehlt, nicht wegen der Sexualität, sondern wegen der Lebensgestaltung, weil ich nicht allein leben kann. Dann hatte ich als Vikar eine Freundin, und wir versuchten das im Rahmen des Möglichen zu leben, aber es ging nicht. Wir wollten das nicht dauernd verheimlichen. Als ich dann Pfarrer in Mannheim wurde, in einer tollen Gemeinde, war das nicht einfach für uns. Ich bin irgendwann 14 Tage in Schweigeexerzitien gegangen und habe mich letztlich für die Partnerschaft entschieden, beim Personalreferenten der Diözese gemeldet und gesagt wie es ist. Da hat man mir signalisiert, das sei nicht unbedingt ein Grund, aus dem Amt auszusteigen. Wir wollten aber nicht diesen verlogenen Status Pfarrer und Haushälterin. Wir wollten unsere Partnerschaft öffentlich leben und auch Kinder haben. Ich bin dann nach einem Gespräch mit dem Bischof, der übrigens für mich beten wollte, suspendiert worden. Als ich zwei Monate später meine Frau geheiratet habe, wurden wir exkommuniziert. Danach habe ich fünf Jahre in der Industrie gearbeitet. In dieser Zeit bin ich dann altkatholisch geworden und schließlich Pfarrer von Heidelberg.
Zu Ihrem Gemeindegebiet gehört auch Mosbach.
Panizzi: Ja, da es einige Mitglieder und Sympathisanten aus diesem Raum gibt, bin ich bis Corona kam regelmäßig zu Gottesdiensten dorthin gefahren, wir sind da zu Gast im Pfalzgrafenstift. Zuvor habe ich auch Gottesdienste in Buchen, Tauberbischofsheim oder Bad Mergentheim gehalten. Irgendwann sind die Gläubigen aus Rappenau, Osterburken, Aglasterhausen, Neuenstein, Möckmühl oder Heilbronn dann nach Mosbach gekommen. Manche fahren auch zu besonderen Anlässen nach Heidelberg.
Im Leintal gibt es inzwischen einen kleinen Ableger, wie sieht es sonst im Raum Heilbronn aus?
Panizzi: Heilbronn ist zwischen den Gemeindegebieten Stuttgart, Karlsruhe, Heidelberg für uns eine Art weißer Fleck. Vor Jahren wurde ich mal angesprochen, und ich sagte: Wenn ihr ein paar Familien seid, dann fahre ich gerne nach Heilbronn zum Gottesdienst, aber es ist nie so weit gekommen. Aber wir haben Mitglieder und Sympathisanten aus dem Raum. Da sind sogar römisch-katholische Religionslehrer dabei, die das natürlich nicht an die große Glocken hängen.
Ich habe gehört, Sie haben auch auf dem Michaelsberg bei Gundelsheim gefeiert.
Panizzi: Über eine Familie aus der Nähe haben wir in der wunderbaren Kirche auf dem Michaelsberg gefeiert und sind anschließend in dem Landgasthof der Familie Schäfer eingekehrt, das gehört bei uns dazu, etwa 2019 zur Erstkommunion oder zuletzt 2021 bei meinem Abschiedsgottesdienst. Der Pfarrer von Gundelsheim war übrigens sehr aufgeschlossen: kein Problem.
Bernd Panizzi (66) ist in Offenburg aufgewachsen. Er studierte römisch-katholische Theologie in Freiburg und Paris und wurde 1982 zum Priester geweiht. Dem Vikariat in Breisach folgte ein Jahr in der Jugendarbeit in der Diözese Freiburg. 1985 wurde er katholischer Pfarrer in Mannheim-Waldhof, wegen der Liebe zu seiner späteren Frau Franziska aber 1992 suspendiert und exkommuniziert. Zwischenzeitlich fand er eine Anstellung bei dem Mannheimer Energieversorger MVV. 1998 wählte ihn die altkatholische Gemeinde Heidelberg, wo er oft ausgeholfen hatte, zu ihrem Pfarrer. Der zweifache Vater war 17 Jahre lang Dozent für Pastoraltheologie am altkatholischen Seminar in Bonn und zehn Jahre Rundfunkbeauftragter. Ab 2015 war er Dekan in Nordbaden, ehe er 2021 in den Ruhestand wechselte.