Gebeuteltes Braunsbach erfindet sich nach dem Hochwasser von 2016 neu
Wer die Wassermassen und Trümmerberge miterlebt hat, vergisst sie nie mehr: Fünf Jahre nach der historischen Sturzflut herrscht statt Zerstörung große Zuversicht in Braunsbach. Auch andere Orte entlang des Kochers waren damals massiv betroffen.

Braunsbach vor fünf Jahren: Das war ein einziges Trümmerfeld. Die selbsternannte "Perle des Kochertals" durfte nicht mehr strahlen, sondern versank in Schutt und Schlamm. Die Nacht vom 29. auf 30. Mai 2016 vergisst keiner, der dabei war. Regen, Regen, nichts als Regen.
Je länger der Abend dauerte, umso dramatischer wurde die Lage in der 2500-Einwohner-Gemeinde zwischen Künzelsau und Schwäbisch Hall. Das Wasser schoss in Strömen ins steile Tal, es peitschte durch die wilden Klingen und riss alles mit sich.
So wie in der Orlacher Straße, wo der gleichnamige Bach zu einer monströsen Gerölllawine anschwoll. Bis zu vier Meter hoch türmten sich die Gesteinsbrocken. Häuser und Grundstücke, Autos und Straßen, Kanäle und Leitungen: alles kaputt.
Heute erinnert nichts mehr an dieses Chaos. Alles ist neu und wohl geordnet. Hugo (74) und Ida Lehner (68) waren mittendrin, als die Sturzflut über Braunsbach hereinbrach. Fünf Jahre später stehen sie vor ihrem Haus in der Orlacher Straße, in dem sie stundenlang gefangen waren, ehe sie die Feuerwehr um 23 Uhr aus dem obersten Stock rettete: samt ihrem Sohn, der Schwiegertochter und den drei Enkeln. Der bauliche Schaden von 200.000 Euro ist längst behoben, der finanzielle Verlust gering, weil das Gebäude gut versichert war. Aber in ihren Köpfen bleibt diese Katastrophe für immer haften.
Ehepaar bangt um die Nachbarn
"Wir dachten, sie haben uns vergessen", erinnert sich Ida Lehner. "Wir hatten Angst, ob unser Haus dieser Gewalt standhält", sagt Hugo Lehner. "Geröll lag zwei Meter im Hof, im Wohnzimmer steckte ein Baumstamm, das Wasser kam immer höher." Natürlich bangten sie um das Leben der Familie, "aber fast noch mehr um das der Nachbarn", so Ehefrau Ida.
Dass es im ganzen Ort keine Toten und Verletzten gab, grenzt für sie heute noch an ein Wunder. Was hat sich seitdem verändert? "Ich habe das Gefühl, dass der Zusammenhalt in Braunsbach noch größer geworden ist. Nach der Flut hat jeder jedem geholfen: Das war überwältigend." Was geht in ihnen vor, wenn es stark regnet? "Ich glaube nicht, dass der Bach noch mal so rauskommt", vertraut Hugo Lehner den neuen Schutzwällen im Tal.
Die Gemeinde investiert in die Sicherheit
Die Gemeinde hat alle denkbaren Vorkehrungen getroffen: Massive Sperren wurden errichtet, die Klingen stabilisiert, die Bachläufe mit dicken Mauern ummantelt. Einige Arbeiten stehen noch an, so auch der Bau des "größten Geröllfangs in der Region, ja in ganz Baden-Württemberg", wie Bürgermeister Frank Harsch (49) sagt: eben an diesem Orlacher Bach. Er blickt aber nicht nur dahin, sondern auf die landwirtschaftlichen Flächen über dem Tal. Dort, wo das Unheil seinen Lauf nahm.
"Wir müssen visionär denken und fragen: Was können wir tun, dass das Wasser auf der Höhe besser versickert? Was können wir tun, dass seine Kraft gedrosselt wird, bevor es in die Klingen läuft?" Erst dann habe man "alle Probleme gelöst". Ohne die Landwirte geht also nichts. "Ich kann ihnen aber nicht vorschreiben, dass sie dort keinen Mais mehr anbauen sollen." Doch womöglich bleibe der Gemeinde keine andere Wahl, "als den Bauern Flächen aufzukaufen oder Flächen zu tauschen und sie dafür zu entschädigen".
Denn eines weiß Harsch ganz genau: Auch wenn vor fünf Jahren in Braunsbach sehr viele unglückliche Faktoren zusammenkamen, ist die Welt auch künftig nicht gefeit vor "Starkregenereignissen" wie diesen, die "nicht flächig, sondern oft sehr lokal" auftreten. Gegen die klimatischen Folgen der Erderwärmung sei so schnell kein Kraut gewachsen. Schon gar nicht auf kommunaler Ebene.
"29. Mai 2016 veränderte alles" steht am Eingang des Infopavillons im frisch gerichteten Ortskern. Nicht nur die zerstörten Häuser, Straßen und Plätze wurden erneuert - samt Rathaus, Gemeindehalle und Feuerwehrmagazin. Auch die komplette Infrastruktur wurde in diesem Zug modernisiert: Kanäle für Wasser und Abwasser, Leitungen für schnelles Internet und Strom. Braunsbach sei dabei, sich "neu zu erfinden". Bis Ende 2022 soll alles fertig sein. Was hundert Jahre dauern würde, passiert in fünf Jahren. Für 80 bis 100 Millionen Euro. Ein historischer Kraftakt, gefördert vom Land mit Sonderzahlungen für die Abriss- und Aufräumarbeiten (10,6 Millionen) und zwölf Millionen für die Eigenanteile der 40 Aufbauprojekte, denen 40 Förderprogramme zugrunde liegen.
"Momentan sieht es finanziell ganz gut aus", so Harsch. Auch die meisten Privatschäden (zehn Millionen Euro) seien über Versicherungen beglichen worden. Hinzu kamen 2,5 Millionen Euro an Spenden. Wie geht es weiter? "Irgendwann müssen wir die Sturzflut abhaken und Braunsbach noch einmal ganz neu entwickeln." Neuerfindung, die zweite, sozusagen. "In den nächsten drei Jahren wird diese Stunde kommen."





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