Bombenverdacht: Wird ein Wohnviertel in Heilbronn-Böckingen evakuiert?
Im Heilbronner Stadtteil Böckingen müssen sich Verwaltung und Anwohner auf Evakuierungsmaßnahmen wegen eines möglichen Bombenfunds aus dem Zweiten Weltkrieg vorbereiten. Auf einer großen Baustelle an der Güglinger Straße gibt es einen „Blindgängerverdachtspunkt“.

Jetzt soll am Freitag der Kampfmittelbeseitigungsdienst Baggerarbeiten begleiten, um den Verdacht zu prüfen. Handelt es sich um einen chemischen Langzünder, müsste das Gebiet sofort abgesperrt und mit der Evakuierung begonnen werden – um die brisante Bombenfracht umgehend zu entschärfen.
In Schutz- und Sperrzone leben rund 3500 Menschen
Einen Absperr-Radius von 300 bis 400 Metern haben die Kampfmittelexperten als notwendige Schutzzone vorgegeben. Bei 400 Metern wären bis zu 3500 Menschen von einer Räumung betroffen, erklärt Rathaussprecherin Claudia Küpper. Die Bewohner müssten auf jeden Fall mehrere Stunden ihre Häuser verlassen. Erst wenn alle Wohnungen überprüft und leer sind, würde man mit einer Entschärfung beginnen. Die Stadt bereite Turnhallen mit entsprechenden Hygienekonzepten vor.
In der Nähe der Baustelle liegt das Seniorenwohnheim der Richard-Drautz-Stiftung. Hier laufen die Planungen für den Fall X bereits an. „Toi, toi, toi, derzeit haben wir keine bettlägerigen Bewohner“, sagt Heimleiterin Elisabeth Palinkas. 87 Bewohner leben hier stationär, zudem 55 im betreuten Wohnen. „Wir brauchen dann auch Behindertentransporte“, verweist sie auf Bewohner mit Rollstuhl. Stühle und Tische seien notwendig im Notquartier, ein Behinderten-WC, Getränke.
„Am Anfang war es ein Mordsschreck“, sagt die Heimleiterin. Jetzt sei sie überzeugt, dass man dies hinbekomme. Und: Die Bewohner hätten in ihrem Alter schon einiges erlebt. Sie seien „in der Regel ruhiger“ als die Mitarbeiter. Da sei schon eine Anspannung da.
Anwohnerin hat mulmiges Gefühl, akzeptiert aber einen Spezialeinsatz samt Evakuierung
Auch das Elly-Schulzentrum und die Heinrich-von-Kleist-Realschule liegen in der Schutzzone. Am Freitag werden Schulen und Schulgelände für alle geschlossen. „Sicherheit geht vor“, sagt Christoph Zänglein, Rektor im Elly-Gymnasium. Es findet dann Fernunterricht nach Stundenplan statt. So geht auch die Kleist-Realschule vor. „Das ist für uns machbar“, sagt Schulleiterin Melanie Haußmann.

Anwohner wussten am Mittwochmorgen noch nichts von einer möglichen Evakuierung und dem Bombenverdacht. „Man hat schon Angst und ein mulmiges Gefühl“, sagt Teresa Kern, als sie von der Nachricht erfährt. „Aber wenn da ein Blindgänger ist, dann muss er weg“, sieht sie die Maßnahme ein.
Auf der Baustelle hantiert ein Baggerfahrer der Abstatter Firma Erdbau Betz mit der Baggerschaufel. Das fragliche Gelände sei viel weiter hinten in der Nähe zweier Bäume. Dort arbeite er nicht mehr. „Ich muss vorsichtig sein.“ Auch sein Chef Daniel Betz sagt, man gehe mit Respekt an die weitere Arbeit abseits des problematischen Bereichs. Aber: „Noch ist es ein Verdachtsfall.“ Es könne auch irgend etwas anderes in tieferen Bodenschichten sein.
Die Baufirma hatte einen Fund gemeldet, als sie im Untergrund auf einen Gegenstand gestoßen war. Fünf Mehrfamilienhäuser mit 97 Wohnungen sollen auf diesem Areal auf der Schanz neu entstehen.
Zünder ist entscheidend, wie gefährlich eine alte Bombe ist
Durch Auswertung alter Luftbilder habe sich ein Verdachtspunkt auf dem Areal der Baustelle ergeben, teilt der Kampfmittelräumdienst Baden-Württemberg auf Stimme-Anfrage mit. Dienststellenleiter Ralf Vendel erläutert, dass man mit Baggerhilfe am Freitag an der Stelle vorsichtig in die Tiefe graben werde. Liege dort eine Bombe mit einem chemischen Langzeitzünder, sei die Gefahr höher als bei einem mechanischen Zünder – weil bei einem chemischen Langzeitzünder mit Säureampulle im Innern praktisch jede Bewegung eine Explosion auslösen könne.
Dann müsste man sofort entschärfen– mit Hilfe von Fernentschärfungsgeräten, mit denen der Zünder je nach Modell herausgezogen oder herausgedreht werde. Am Anfang müsse man vor Ort aus direkter Nähe genau Zustand und Aufbau eines Blindgängers bewerten – und dann die notwendige Vorgehensweise festlegen.
Die Stadtverwaltung hält auf der Baustelle auch harmloses Altmetall für denkbar und sogar „wahrscheinlicher“. Dennoch seien auch die Kindergärten in dem Areal über eine mögliche Räumung informiert worden. Falls am Freitag eine sofortige Evakuierung des Gebietes notwendig werden sollte, will die Stadt die Bürger die Bevölkerung über Durchsagen, Radio und Internet sofort informieren. Auch der Verkehr samt Bussen würden dann in dem Gebiet gesperrt.
Kampfmitteldienst-Einsätze
Nach einer Statistik auf der Homepage des Regierungspräsidiums Stuttgart hat der Kampfmittelbeseitigungsdienst Baden-Württemberg seit dem Start im Jahr 1946 bis Ende 2019 rund 24600 Bomben entschärft und vernichtet.
