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"Schwachköpfe mit Umsturzfantasien" – werden die Bauernproteste unterwandert?

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Landwirte aus der Region befürchten, dass Extremisten die Bauernproteste ausnutzen. In den sozialen Netzwerken rufen radikale Kräfte zum Umsturz auf. Das geht den Bauern zu weit.

Berlin setzt bei den Agrarsubventionen den Rotstift an. Dagegen protestieren Landwirte in Deutschland wie hier vor einigen Tagen bei Lehrensteinsfeld.
Foto: Adrian Hoffmann
Berlin setzt bei den Agrarsubventionen den Rotstift an. Dagegen protestieren Landwirte in Deutschland wie hier vor einigen Tagen bei Lehrensteinsfeld. Foto: Adrian Hoffmann  Foto: Hoffmann, Adrian

Mit öffentlichkeitswirksamen Schlepper-Demos und Kundgebungen gehen Landwirte in ganz Deutschland auf die Straße. Sie nehmen die Ankündigung der Ampel-Regierung, Agrarsubventionen zu streichen, nicht klaglos hin. Jetzt finden sich in sozialen Netzwerken und Whatsapp-Gruppen Aufrufe zum politischen Umsturz.

Fahnen von Rechtsextremisten bei Bauernkundgebung in Stuttgart zu sehen

"Ich finde, es ist zurzeit eine ganz blöde und vergiftete Stimmung in unserem Land", sagt Georg Heitlinger, Landwirt in Eppingen-Rohrbach, kurz vor Weihnachten in einer Rede als FDP-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag. Was er bei der vorangegangenen Bauernkundgebung in Stuttgart erlebt, habe ihn schockiert. Fahnen der rechtsextremen Landvolkbewegung seien zu sehen gewesen, berichtet der 53-Jährige.

Heitlinger steht hinter den erbosten Landwirten und ihren Forderungen. "Die Bauern sind zu Recht stinkig." Der Eppinger sieht die Gefahr, dass die "berechtigten Proteste" unterwandert werden. Vom Putsch sei in den sozialen Netzwerken die Rede sowie vom Staatsstreich. Heitlinger appelliert, sich von solchen Parolen abzugrenzen.

Deutscher Bauernverband distanziert sich von "Spinnern und Schwachköpfen"

Um Abgrenzung bemüht sich der Deutsche Bauernverband (DBV). Bei einer Großkundgebung vor einigen Tagen in Berlin wettert Joachim Rukwied, Präsident des DBV und Landwirt aus Eberstadt, gegen die Sparpläne der Koalition. Er wertet sie als Provokation. "Diese Kampfansage nehmen wir auf", ruft er den Demonstrierenden zu. Der Protest an jenem Tag sei erst der Anfang. Am kommenden Montag, 8. Januar, wollen Bauern bundesweit eine Aktionswoche starten.

Nun sieht sich der DBV zur Klarstellung veranlasst. "Der Deutsche Bauernverband distanziert sich aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen und Spinnern, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen." Ob das was nützt, ist fraglich. Auf Instagram beispielsweise schreibt ein Nutzer: "Der Zug ist am Rollen und den könnt ihr nicht aufhalten." Ein weiterer kommentiert: "Der DBV ist nicht der Bauernstand und jeder gute Bauer schließt sich eher dem Volksprotest an als eurem Politbüttel."

In den sozialen Medien überschlagen sich die Beiträge

Andere Beiträge in den sozialen Medien zeigen etwa, wie ein Traktor in Nordrhein-Westfalen versucht, eine Polizeisperre zu durchbrechen. In Whatsapp-Gruppen wird zum "Generalstreik in Deutschland" aufgerufen. In dem Beitrag heißt es, keine Partei oder Organisation stünde hinter der Aktion, sondern "jeder aufrichtige Bürger tut, was er kann". In einem weiteren Video, überschrieben mit dem Titel "Wir sind das Volk", heißt es unter anderem: Es gehe nicht mehr nur um die Landwirtschaft. Die Regierung habe den Bezug zur Realität verloren. Jeder Bürger müsse am 8. Januar auf die Straße.


Landwirt aus Fürfeld kritisiert Ende der Diesel-Subvention

"Mittlerweile haben sich viele Gruppen gebildet, die auf unseren Zug aufspringen", stellt Marko Feeser fest, Landwirt in Bad Rappenau-Fürfeld und Vorstandsmitglied des Vereins "Land schafft Verbindung" in Baden-Württemberg. Er differenziert. "Wir stehen zu unseren Sachen, wir haben aber nicht den Plan, die Regierung zu stürzen." Das Ende des Steuervorteils für Agrardiesel bezeichnet der 40-Jährige als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Bauern würden sofort auf staatliche Unterstützung verzichten, wenn die Preise am Markt es zuließen. Beim Protest gehe es außerdem um weitere Streitthemen wie die Herkunftskennzeichnung für landwirtschaftliche Produkte.

Alle bevorstehenden Demos sollen laut Bauernverband ordnungsgemäß bei den Behörden angemeldet werden. Wie weit der Protest geht? "Die Bevölkerung wird darunter leiden, weil der Verkehr blockiert wird", sagt Feeser. In Eppingen wollen die Bauern morgens mit ihren Traktoren eine Schlepper-Demo rund um die Stadt organisieren, kündigt Georg Heitlinger an. Eine Autobahnauffahrt zu blockieren, wie es jüngst in Sinsheim vorgekommen sei, lehnt er ab.

Erinnerungen an Umsturzpläne unter US-Präsident Trump kommen hoch

Marko Feeser erfährt Rückhalt. Rentner riefen an und fragten, ob sie mit dem Auto am Aktionstag teilnehmen könnten. Speditionen wollten mitmachen. "Es sind nicht alles Spinner." Die Stimmung im Land sei allgemein nicht die beste und die Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen groß.

Georg Heitlinger kritisiert die zunehmende Vermischung unterschiedlicher Interessen und Gruppierungen. Dem Ruf, das komplette Land stillzulegen, erteilt er eine klare Absage. Ihn erinnere die Situation an die Hetze und den Sturm aufs Kapitol, den Kongress der Vereinigten Staaten, unter der Präsidentschaft von Donald Trump. "Das können wir Demokraten uns nicht bieten lassen. Das geht nicht."

Die Polizei ermittelt wegen auf den Kopf gestellten Ortsschildern

Im Zusammenhang mit den Protesten tauchen auf den Kopf gestellte Ortsschilder auf. In Talheim wurden die Tafeln an Weihnachten aus ihren Verankerungen gelöst und falsch herum aufgehängt. Die Polizei prüft, ob die Handlung strafbar ist, sagt Präsidiumssprecher Daniel Fessler. Im Raum steht der Vorwurf eines Eingriffs in den Straßenverkehr. Sechs derartige Fälle beschäftigen das Präsidium Reutlingen. Es ermittelt gegen drei Verdächtige wegen Sachbeschädigung. Die Stuttgarter Polizei prüft mögliche Straftaten, die während der Großkundgebung Ende Dezember passiert sein könnten.

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