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Bäuerliche Direktvermarkter geraten unter die Räder der Inflation

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Verbraucher halten sich wegen der Inflation beim Kauf teurer regionaler Lebensmittel zurück. Zu Corona-Zeiten war das noch ganz anders, viele haben damals kräftig in Hofläden und Co. investiert. Was Landwirte, Verbände und Kunden von der Marktumkehr halten.

Trotz Inflation kaufen Waltraut und Meinolf Brauer weiter regionales Obst und Gemüse am Stand von Benjamin Schmelzle auf dem Öhringer Wochenmarkt.
Trotz Inflation kaufen Waltraut und Meinolf Brauer weiter regionales Obst und Gemüse am Stand von Benjamin Schmelzle auf dem Öhringer Wochenmarkt.  Foto: Reichert, Ralf

Direktvermarkter geraten zunehmend unter den Druck der Inflation. Der Landesbauernverband Baden-Württemberg (LBV) rechnet nach Rückmeldungen von Landwirten mit einem Minus von 15 bis 20 Prozent gegenüber der Vor-Corona-Zeit. Als Hintergrund vermutet der Verband eine gestiegene Preissensibilität der Kunden gegenüber höherpreisigen regionalen Produkten.

Aufgrund der gestiegenen Nachfrage 2020 und 2021 hätten viele Direktvermarkter investiert, berichtet der LBV. "Das ist dann bitter, da die Verkaufszahlen das nicht mehr abbilden und die Betriebe beispielsweise mit Eiern auf der Ware sitzen bleiben", benennt LBV-Sprecherin Ariane Amstutz eine Facette des Problems.

Wie stark der Umsatzeinbruch gegenüber den umsatzstarken Corona-Zeiten ausfällt

Einen Rückgang der Umsätze im Bereich der Direktvermarktung meldet auch der Kreisbauernverband (KBV) Heilbronn-Ludwigsburg, der gerade die Bezirksversammlungen hinter sich hat. Die steigenden Preise würden zu einer Kaufzurückhaltung führen, berichtet der KBV-Vorsitzende Stefan Kerner. Davon seien besonders höherwertige Produkte und solche aus regionaler Produktion betroffen. "Die Leute sparen am ehesten an sich selbst, also beim Essen."

Wie der KBV-Vorsitzende Kerner von seinen Mitgliedsunternehmen erfahren hat, liegt der Umsatz der Direktvermarkter im Durchschnitt zehn Prozent unter dem Vor-Corona-Jahr 2019. Verglichen mit den erfolgreichen Verkaufszahlen während der Pandemie 2020/21 liege der Einbruch bei 30 bis 40 Prozent.


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Welche Waren besonders stark von de Kaufzurückhaltung betroffen sind

Auch Marion Föll vom Biohof in Ilsfeld-Wüstenhausen bemerkt aktuell Einbußen bei Frequenz und Umsatz. Etwa 20 Prozent betrage der Rückgang gegenüber den beiden umsatzstarken Vorjahren.

Marion Föll vom gleichnamigen Bio-Hofladen in Ilsfeld-Wüstenhausen, im Verkaufsgespräch mit Susanne Keskin.
Marion Föll vom gleichnamigen Bio-Hofladen in Ilsfeld-Wüstenhausen, im Verkaufsgespräch mit Susanne Keskin.  Foto: Seidel, Ralf

Besonders bei Waren des "Trockensortiments", wozu Öle und Kosmetikartikel zählen, würden die Kunden eher zu den großen Lebensmitteleinzelhändlern wechseln. "Bei manchen Warengruppen holt uns das Mindesthaltbarkeitsdatum ein." Weniger drastisch sei die Kaufzurückhaltung beim Kernsortiment wie Obst und Gemüse.

Bei Obstbau Schmelzle in Öhringen stiegen die Umsätze in den Corona-Jahren um bis zu 30 Prozent. Der Corona-Boom ist wegen der Inflation merklich abgeflaut, "wir liegen gerade auf dem Niveau von 2019", sagt Benjamin Schmelzle an seinem Verkaufsstand auf dem Öhringer Wochenmarkt. Klar ist: Der Betrieb wird 2022 weniger Gewinn machen. Höhere Dieselpreise, höhere Personalkosten, und bald auch höhere Einkaufspreise. Wie wird das ausgeglichen? "Indem wir sparen und geplante Investitionen komplett zurückgeschraubt haben." Eines kommt für Schmelzle aber auf keinen Fall in Frage: "Unsere Verkaufspreise bleiben gleich, denn wir wollen keine Kunden verlieren."


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Die Erzeuger regionaler Produkte sind in einer verzwickten Lage


Stehen Kunden trotz der allgemeinen Preissteigerungen zu ihrem angestammten Hofladen?

Waltraut und Meinolf Brauer sind den Schmelzles bis heute treu geblieben: "Wir haben unser Kaufverhalten nicht geändert: weder während Corona noch seit der Inflation." Frisches und regionales Obst und Gemüse vom Direktvermarkter: Darauf wollen sie nicht verzichten.

Für Helmut Bleher repräsentiert das Öhringer Rentner-Ehepaar freilich eine Minderheit. Nur rund 15 Prozent der Verbraucher würden bewusst mehr Geld für hochwertige regionale Produkte ausgeben, sagt der Geschäftsführer des Bauernverbands Schwäbisch Hall-Hohenlohe-Rems. "Der Rest kauft seine Lebensmittel dort, wo sie billig sind."

Doch selbst qualitätsbewusste Kunden seien "preissensibler" geworden und kauften Biolebensmittel lieber im Einzelhandel oder Discounter statt auf dem Wochenmarkt, im Naturkosthandel oder in Hofläden. "Insofern bin ich nicht sehr optimistisch gestimmt, dass sich in Zeiten der Inflation der Anteil der Verbraucher deutlich steigern wird, die gerne mehr Geld für Lebensmittel ausgeben möchten", meint Bleher.

Woran Direktvermarkter unbedingt festhalten

Gerade diesen Bewusstseinwandel langfristig herbeizuführen und trotz Rückschlägen nicht aufzugeben, ist das Credo etlicher Direktvermarkter, die dafür zwar hart arbeiten und kämpfen müssen, dies aber weiter mit großer Leidenschaft und Überzeugung tun wollen. "Den Kopf in den Stand zu stecken, ist für uns keine Option", sagt Ulrike Lösch, Gesellschafterin der Heinrich & Lösch Direktvermarktungs GbR in Öhringen. Sie hat die nächste Ernte längst im Blick. 2022 sei der Umsatz um bis zu 25 Prozent gesunken. "Damit müssen wir klarkommen und den Gürtel halt etwas enger schnallen."

Die höheren Kosten bekämen auch sie zu spüren. Noch würden die Preise nicht angehoben, "doch wenn man das konsequent weiterdenkt, kann es eigentlich nicht so bleiben". Bei Produkten wie Erdbeeren gebe es eine "psychologische Grenze im Kopf". Diese nach oben zu verschieben, sei schwierig. "Wir dachten, die Leute haben während Corona gelernt, dass es gut ist, für regionale Lebensmittel zu kämpfen", erklärt Lösch. "Am Ende entscheidet aber doch der Geldbeutel, sonst wären die Umsätze seit der Inflation nicht eingebrochen."

Wie das das Handy hilft, regionale Angebote in direkter Nachbarschaft aufzuspüren

Mit der Handy-App "Natürlich. von Daheim" können sich Verbraucher schnell und unkompliziert über regionale Angebote landwirtschaftlicher Direktvermarkter und Gastronomen informieren. Die App belegt nur wenig Speicher und ist binnen weniger Minuten installiert. Aktiviert der Nutzer die Handyortungsfunktion, zeigt die App die am nahesten gelegenen Direktvermarkter auf den Bildschirm an. Dabei können Nutzer unter den Rubriken Einkaufen, Essen und Erleben auswählen.

Es gibt ferner die Möglichkeit, noch genauer auszuwählen: Hofläden, Bäcker, Metzger, Winzer, Raiffeisenmärkte sowie regionale Angebote mit bestimmten Qualitäts- und Biolabeln. Rechtliche Trägerin der App ist das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg. Wer sich für regionales Wildbret interessiert, hat die Möglichkeit, entweder die Handy-App "Waldfleisch" zu installieren oder am PC die Website "Wild auf Wild" anzusteuern. Die Webseite funktioniert per PLZ-Eingabe, die Handy-App per Handyortung. 

 
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