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Autismusspektrumsstörung: Fragen über Fragen drehen sich im Kopf

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Einer, der sich nicht darauf reduzieren lässt, Autist zu sein: Simon Mohan aus Ellhofen macht Mittlere Reife und ist künstlerisch aktiv. Unterstützung braucht er beim Wohnen.

Simon Mohan spielt auf dem Handy einen selbst getexteten Rap ab: Er jongliert gern mit Worten.
 Fotos: Andreas Veigel
Simon Mohan spielt auf dem Handy einen selbst getexteten Rap ab: Er jongliert gern mit Worten. Fotos: Andreas Veigel  Foto: Veigel, Andreas

Simon Mohan ist direkt nach der Schule in die Autista in der Austraße 56 nach Heilbronn gesaust, er ist etwas außer Atem, hungrig, aber bester Dinge. Klar, zuerst ein Foto für den Stimme-Fotografen, der zum nächsten Termin muss, kein Problem. "Lass uns erst zum Foto gehn, denn du bist so fotogen", witzelt er und platziert sich vor farbenfrohen Bildern.

Simon Mohan denkt an andere, hat Freunde

Dann bestellt er schnell telefonisch etwas vom indischen Lokal zu essen. Auch der Redakteurin wird er später einen Mango Lassi in die Hand drücken, eine aufmerksame willkommene Geste. Simon Mohan denkt an seine Mitmenschen, er spricht gern, auch über Gefühle, er hat Freunde. "Ich bin sehr gut im Kontakte pflegen." Das sagt er nicht ohne Stolz.

 


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Er will frei sein

Und so käme auf den ersten Blick wohl niemand auf die Idee, dass der junge Mann unter einer so genannten Autismusspektrumsstörung leidet, bei der Betroffene sich häufig mit sozialen Kontakten schwertun. Auch ADHS wurde bei ihm diagnostiziert. "Ich denke aber nicht über mich, dass ich Autist bin", sagt er. "Ich will das abgeben, mein Potenzial sehen, nur dann kann ich frei sein."

In der Schule litt er unter Mobbing

Trotzdem geschehen Kleinigkeiten, die ihm den Alltag erschweren. Etwa, dass er dem Lieferdienst im Eifer des Gefechts versehentlich eine falsche Adresse nennt. Aber das kann schließlich jedem mal passieren, oder? "Manchmal hab ich eine Denkblockade. Dann weiß ich nicht, soll ich links oder rechts gehen. Und dann mache ich Fehler."

Schon als Kind fragt sich Simon Mohan, "warum bei mir so vieles anders ist". In der Schule wird er gemobbt, macht den Hauptschulabschluss, beginnt eine Lehre im Dreischicht-Betrieb in einer Konditorei und wirkt mit 25 Jahren noch so jung, dass man kaum widerstehen kann, ihn zu duzen.

Der 25-Jährige stellt sich jede Menge Fragen

Sieht er einen See, denkt er an die Oberflächenspannung statt an Wasser. "Ich versuch mir alles zu erklären, das brennt in meinem Kopf." Zusätzlich dröhnen die teils widersprüchlichen Ratschläge der Umgebung in seinen Ohren. "Du musst leichter denken", etwa.

Aber eben auch: "Streng dich mehr an." Sind wir denn immer nur liebenswert, wenn wir leisten? Solche Dinge fragt er sich. Aber wie soll das gehen, einfach zu denken? Mohan grübelt: "Was wäre, wenn meine Logik die richtige wäre? Wie komm ich rüber, wer bin ich?"

"Ich stell mir Fragen über Fragen" heißt eine Zeile in einem seiner selbst getexteten Raps. Sie sind Simon Mohans Ventil, ein bisschen Druck aus dem Kessel zu lassen. Auch die Medikamente, die er nimmt, helfen. Trotzdem bleibt die Anspannung. Drei Klassenarbeiten hat er in dieser Woche an der Schule für Gestaltung in Heilbronn vor der Brust, und um die Mittlere Reife zu schaffen, braucht er einen bestimmten Notendurchschnitt. Das ist kein Selbstläufer.

Auf dem Handy ruft er seinen Tagesplan ab

Die Struktur eines jeden Tages ruft er auf dem Handy ab. "Ich öffne mal den Stundenplan, der erklärt viel", sagt er. Montag Schulstart um 8.15, Weckerklingeln um 6.30, Schule bis 16.20 Uhr, dann beginnt das Lernen. "Aber ich kann manchmal einfach nicht mehr," sagt er. "Entspann dich mal", sagt sein Umfeld.

Sein Zimmer sei sehr ordentlich, alles an seinen Platz. Trotzdem ist er immer wieder auf der Suche nach seinem Hausschlüssel, der jetzt einen Piepser bekommen hat.

Mitarbeiter der Autista helfen, damit er seinen Haushalt im Griff behält

Simon Mohan kam als Adoptivkind mit seinen Eltern nach Deutschland. Der Vater hatte als Chirurg in Indien Entwicklungshilfe geleistet. In seiner Wohngemeinschaft in Ellhofen hat der 25-Jährige zwei Untermieter, und damit er den Haushalt im Griff behält, bekommt er regelmäßig Besuch von Mitarbeitern der Autista, die beim Organisieren und Strukturieren helfen.

Er wünscht sich eine Zukunft als Mediengestalter

Trotz seiner Sozialkompetenz will er noch besser darin werden, seine Mitmenschen zu lesen. Zu erkennen, wann jemand, der traurig ist, keine Ansprache will. Ein Bedürfnis, das Mohan selbst kennt. Wenn er in der Bahn nicht mehr verschiedene Gespräche gleichzeitig mitbekommen möchte und sich zum Abschotten die Kapuze seines Pullis über den Kopf zieht. Sich seinen Gedichten widmet und den kunstvollen Raps, die er auf Spotify hochlädt. Das ist der introvertierte Simon Mohan. Der extrovertierte Teil von ihm wünscht sich eine Zukunft als Mediengestalter. Als Schauspieler oder Moderator.

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