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Ausprobiert: Mit dem Nachtzug nach Venedig

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Am Abend in Heilbronn, morgens in Venedig: Seit Kurzem ist das möglich, mit Umsteigen in Stuttgart und mit dem neuen Nachtzug. Wer nicht rechtzeitig bucht, hat oft das Nachsehen, so groß ist die Nachfrage. Von der Renaissance eines verloren geglaubten Verkehrsmittels.

 Foto: Georg Hochmuth

Vom Bahnhof Venezia Santa Lucia, einem gesichtslosen Bau aus den 1950er Jahren, sind es wenige Schritte zum Canal Grande. Nebel wabert an diesem Morgen über das Wasser, das ist im Winter häufig so. Die Palazzi schälen sich aus dem Dunst, Frachtkähne bringen ihre Waren zu den Restaurants und Märkten. Buongiorno, Venedig. Reisende, die mit dem Nachtzug aus Deutschland in die Lagunenstadt fahren, kommen in den Genuss dieser unwirklichen Szenerie.

Für Reisende aus Heilbronn ein guter Anschluss

Losgefahren ist der Zug ziemlich genau zwölf Stunden zuvor. Das gemächliche Tempo ist kein Makel, Abfahrt- und Ankunftszeit sind so sehr komfortabel. Ab Stuttgart um 20.29 Uhr. Das ist eine Zeit, die sich auch Reisende aus dem Raum Heilbronn einprägen können. An Gleis 15 wartet ein Stück Europa auf Schienen. Nightjet 237 ist zusammengekoppelt aus Schlafwagengarnituren der österreichischen, der ungarischen und der kroatischen Bahn. Ein Teil fährt nach Wien und Budapest, einer nach Zagreb, ein weiterer nach Venedig. Umrangiert werden die Züge in Salzburg, der Fahrgast bekommt davon nichts mit, sofern er einen einigermaßen festen Schlummer hat.

Schlafwagen im Nachtzug nach Venedig sind schnell ausgebucht

Hartegesottene können die Fahrt durch die Nacht im Sitzplatz absolvieren. Das ist günstig. Die Liegewagen sind nicht viel teurer – mit bis zu sechs Liegen und in Gesellschaft unbekannter Mitreisender ist das aber nicht jedermanns Sache. Schlafwagen gibt es auch als Einzel- oder Doppelzimmer, zum Teil mit eigener Dusche. Billig ist das nicht, etwa 200 Euro hin und zurück. Gerade das hochpreisige Segment ist gefragt: „Der Schlafwagen ist immer sehr früh ausgebucht“, teilt die ÖBB-Pressestelle auf Nachfrage mit. „Sehr zufriedenstellend“ sei das Geschäft mit den erst im Dezember gestarteten Verbindungen ab Stuttgart angelaufen. Die Landeshauptstadt, früher mit legendären Verbindungen wie dem Hellas-Express nach Athen gesegnet, war zuletzt Nachtzugwüste in einem ohnehin gelichteten Netz.

 


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Im Schlaf nach Venedig: So profitiert der Raum Heilbronn von neuen Nachtzügen


ÖBB haben Nachtzüge wachgeküsst 

Die Österreicher haben ein Segment wachgeküsst, das die Deutsche Bahn als angeblich unrentabel vor sieben Jahren aufgegeben hatte. Die DB hat keine Schlafwagen mehr. Das Staatsunternehmen aus dem Nachbarland will bis 2026 die Zahl der Nachtzugpassagiere gegenüber 2021 auf drei Millionen verdoppeln und investiert dafür 700 Millionen Euro.

Unter anderem gibt es ganz neue Nachtzüge, im Laufe des Jahres sollen sie auf die Gleise kommen, zum Beispiel auch auf der Verbindung von Stuttgart nach Venedig. Dann gibt es in den Schlafwagen, die für Neulinge mitunter eine klaustrophobe Erfahrung sein können, feste Betten statt der Kippkonstruktion und eine Sitzecke zum Lesen – ein herausragendes Vergnügen im Nachtzug. Die Schaffnerin („Woas hättens gern?“, Wiener Schmäh ist Bordsprache) bringt ein Glas Rotwein. Zeit für ein paar Seiten in Andrew Martins famosem Buch „Nighttrains“ über die Geschichte eines legendären Verkehrsmittels. „Venice-Simplon Orientexpress“ hieß ein Zug in der Zeit, als die Passagiere im mit Teppichen ausgelegten „Diningcar“ in Plüschsesseln oder rauchend im Barwagen dem Ziel entgegenratterten. Ein Bordrestaurant fehlt heutzutage, aber vielleicht wird das ja noch. Es ist viel Bewegung in einem Segment, das totgesagt und abgeschrieben war. Nostalgiker sind entzückt. Aber Nachtzüge sind keinesfalls museal, sondern wieder sehr modern.

 


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Ein Abteil im Schlafwagen des Nightjets.
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Neuer Nachtzug fährt: Venedig ist jetzt einen Umstieg von Heilbronn entfernt 


Nebensaison? Gibt es nicht wirklich in Venedig

Um sich als Tourist ein wenig selbst zu quälen, empfiehlt sich vor dem Einschlafen ein Blick in „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“. Autorin Petra Reski zeichnet das bekannte Bild des von Menschenmassen überfluteten Venedig, das zur Kulisse wird und dem die Einwohner entfliehen. Vielleicht heilt die Lektüre auch vom sehr deutschen Drang, überall etwas „Authentisches“ entdecken zu wollen, das kein Urlauber je zuvor gesehen hat. Gibt es nicht in Venedig. Die Stadt ist voll, ein bisschen weniger als üblich vielleicht in der Woche vor dem Karneval im Februar. Wenn es so etwas wie Nebensaison gibt, dann jetzt. Die Vorstellung, dass es ein echtes Venedig abseits des Trubels gab, ist ohnehin abwegig. Schon vor Jahrhunderten, nach dem Niedergang der Seemacht, entdeckten die Venezianer eine Einnahmequelle darin, Fremden ihre grandiose Stadt vorzuführen.

Ein paar Cicchetti vor der Rückfahrt

Grandios ist sie. Wer nicht sauer ist, weil er Venedig nicht für sich alleine hat, wird im Winter tolle Tage in der Lagunenstadt verbringen. Ein bisschen beginnt der Karneval schon in der Woche vor dem offiziellen Start. Dann laufen maskierte Touristen durch die Straßen. Gruppen aus den Stadtteilen fahren kostümiert auf Kähnen umher. Da kann es passieren, dass eine Horde als Piraten Verkleideter die Weinbar entert, in der Cicchetti serviert werden. So heißen in Venedig die leckeren Tapas-Happen. Und, tatsächlich: Es ist möglich, ganz einsam auf dem Markusplatz zu stehen. Um 6 Uhr an einem Morgen im Februar.

Die perfekte Bahnverbindung macht es möglich, bei nur einer Übernachtung zwei volle Tage in der Stadt zu verbringen. Abends um 21.05 Uhr ist Abfahrt, mit einem Umstieg reicht es zum Frühstück in Heilbronn kurz vor zehn.

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