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Ausbruch aus Psychiatrie: Flüchtige nutzten wohl Mobiltelefon

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Den drei noch gesuchten Männern drohte im Maßregelvollzug Weinsberg ein Abbruch der Therapie - wegen Aussichtslosigkeit, wie Sozialminister Lucha am Mittwoch im Landtagsausschuss sagte.

Sozialminister Manne Lucha (Grüne). Foto dpa
Sozialminister Manne Lucha (Grüne). Foto dpa  Foto: Lucha

Es gibt Hinweise darauf, dass die aus dem Maßregelvollzug des Klinikums am Weissenhof ausgebrochenen Männer ihre Flucht mit einem Mobiltelefon geplant haben. Polizei und Klinikum machen dazu mit Verweis auf laufende Ermittlungen allerdings keine Angaben. Ein Mobiltelefon dürfen Insassen des geschlossenen Maßregelvollzugs grundsätzlich nicht besitzen.

Mobiltelefon macht auf der Flucht handlungsfähig

Der Kriminologe Christian Pfeiffer sagt im Gespräch mit unserer Zeitung, solche Schwachstellen gebe es leider in jedem Vollzug. "Menschen sind verführbar", erklärt er. Für Bedienstete sei es einfach, ein Handy in eine Einrichtung hineinzuschmuggeln - insbesondere in einen Maßregelvollzug, wo weniger kontrolliert werde als im Gefängnis. "Das ist eine Gefahr, die realistisch ist", so Pfeiffer.

Mit einem Mobiltelefon könnten sich Strafgefangene auf einer Flucht Hilfe herbei telefonieren und Bekannte bitten, sie abzuholen, sagt Pfeiffer. "Es macht sie handlungsfähig." Für die Polizei sei das schwer zu ermitteln, denn sie kenne die Telefonnummer nicht.

 


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Klinikum: Dienstliche Übergaben zwingend erforderlich

Bei der Flucht vergangenen Mittwoch nutzten die Männer wohl eine zeitliche Lücke, in der sich Pfleger besprachen. "Dienstliche Übergaben sind zwingend erforderlich und tägliche Routine", teilt Claudia Kellermann, Pressesprecherin des Klinikums, dazu mit. "Wir versuchen diese sehr kurz zu halten." Momente, in denen Patienten unbeobachtet seien, könnten sie nicht gänzlich ausschließen.

Dass den flüchtigen Männern ein Abbruch der Therapie und ein Wechsel in eine Justizvollzugsanstalt drohte, verwundert den Kriminologen Christian Pfeiffer nicht. "Dann mussten sie vielleicht die letzte Chance nutzen", sagt er. Von der Ferne aus könne er das nicht beurteilen, aber "das wäre ein Alarmsignal".

 

Kriminologe Pfeiffer sieht bundesweite Problematik

Einer der vier Männer ist gefunden und festgenommen worden. Die anderen drei sind weiter auf der Flucht. Pfeiffer, der von 2000 bis 2003 Justizminister von Niedersachsen war, wirbt eindringlich für eine gemeinsame Forschung, um Sicherheitslücken im Maßregelvollzug bundesweit benennen zu können. "Die Sozialminister sollten sich nicht vereinzeln lassen." Der Ausbruch sei zwar in Weinsberg geschehen, es handle sich aber um eine bundesweite Problematik.

Das baden-württembergische Sozialministerium teilte mit, dass bei einem Ausbruch immer geprüft werde, "ob und welche Verbesserungen noch ergriffen werden können". In jedem Maßregelvollzug gebe es Sicherheitsbeauftragte, mit denen die Ursachen und deren Beseitigung nach einer Flucht geklärt würden.

Minister Lucha: "Maßregelvollzug ist eine wirkliche Chance"

Station M 34 ist überwiegend umzäunt, es gibt vergitterte Fenster und Videoüberwachung. Die Männer flüchteten durch ein nicht vergittertes Flurfenster. Foto: Archiv/Berger
Station M 34 ist überwiegend umzäunt, es gibt vergitterte Fenster und Videoüberwachung. Die Männer flüchteten durch ein nicht vergittertes Flurfenster. Foto: Archiv/Berger  Foto: Berger

Immer mehr Strafgefangene im Maßregelvollzug sind nicht vermindert schuldfähig, sondern voll. 1995 lag nach Angaben des Sozialministeriums in Bezug auf den 64er-Paragrafen der Anteil der voll Schuldfähigen bei 20 Prozent, 2017 bei 60 und 2019 bei 72 Prozent. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) ist der Ansicht: "Maßregelvollzug ist eine wirkliche Chance für die Menschen, wieder ein geordnetes Leben ohne Sucht und psychische Beeinträchtigungen zu erlernen - das wollen wir ihnen ermöglichen."

In einer Mitteilung des Klinikums am Mittwoch heißt es, dass sich Politik und Wissenschaft einig seien, dass der Maßregelvollzug seinem gesellschaftlichen Auftrag insgesamt gerecht werde. Jedoch sei auch der Maßregelvollzug in Weinsberg von einem zunehmenden Belegungsdruck betroffen. Man befürworte daher Lösungen, die einer mitunter angespannten räumlichen Situation und personellen Belastungen entgegenwirken könnten.

 


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Baulich wird nachgerüstet

Im Jahr 2017 hat das baden-württembergische Sozialministerium die Plätze des Maßregelvollzugs in den Zentren für Psychiatrie eigenen Angaben zufolge um rund 20 Prozent erhöht, von 1049 auf 1273 Plätze. Man unternehme weitere "erhebliche Anstrengungen", um den Maßregelvollzug auszubauen, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums. Die Klinikverantwortlichen in Weinsberg haben unterdessen das Ziel, zukünftige Ausbrüche zu verhindern. Man habe die Möglichkeiten zur Erweiterung der Sicherheitsmaßnahmen eruiert und bereits geeignete Maßnahmen zur baulichen Nachrüstung veranlasst, teilte das Klinikum am Weissenhof am Dienstag mit.

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