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Interview
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Auch die Schüler brauchen Erholung

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Im Stimme-Interview spricht der geschäftsführende Schulleiter der beruflichen Schulen im Landkreis Heilbronn über Lernbrücken in den Sommerferien und deren Sinnhaftigkeit. Womöglich hätte es eine bessere Möglichkeit gegeben, um Schüler mit Nachholbedarf zu fördern.

Im Meer baden oder fleißig sein? Das ist für manche Schüler bald die Frage. Foto: Sergey Novikov/stock.adobe.com
Im Meer baden oder fleißig sein? Das ist für manche Schüler bald die Frage. Foto: Sergey Novikov/stock.adobe.com  Foto: Sergey Novikov/stock.adobe.com

Lernbrücken nennt das Kultusministerium das Angebot der Schulen in den letzten zwei Sommerferienwochen. Schüler sollen in dieser Zeit einen Teil des Stoffs nachholen, den sie durch die Corona-Krise versäumt haben. Dieter Arweiler, geschäftsführender Schulleiter der beruflichen Schulen im Landkreis Heilbronn und Leiter der Andreas-Schneider-Schule, sagt, was er davon hält. 


Herr Arweiler, wie betrifft das Thema Lernbrücken Ihre Schule und die Berufsschulen der Region insgesamt?

Arweiler: Ich kann beispielhaft für meine Schule sprechen. Das Angebot ist verkündet, daran kann keine Schule vorbei. Vermutlich ist es richtig, dass die Jugendlichen Nachholbedarf haben, momentan sind wir in der Erhebungsphase. Wir müssen herausfinden, wie viele Lehrer zur Verfügung stehen und dann schauen, wie viele Schüler kommen. Wir werden das auch schulübergreifend organisieren. Dann wird es eine Beratung und Empfehlung für die Lernenden geben, die zuerst einen Platz brauchen. Zusätzlich können Schüler bei freien Kapazitäten auch freiwillig teilnehmen.

 

Von wie vielen Schülern sprechen wir bei der Andreas-Schneider-Schule?

Arweiler: Wir haben rund 2500 Schülerinnen und Schüler. Zielgruppe sind aber zirka 700, weil die Lernbrücke nicht die Berufsschule, sondern nur die Vollzeitschulen wie Berufsfachschule, Berufskolleg und Wirtschaftsgymnasium betrifft.


Manche Ihrer Kollegen zeigen sich skeptisch gegenüber der Idee der Lernbrücken. Es gibt die Kritik, das beruhige vor allem die Eltern. Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit?

Arweiler: Ich sage es mal anders herum. Alle Beteiligten haben im letzten Halbjahr nicht den optimalen Unterricht genossen. Und jede Maßnahme, die hier ein bisschen Abhilfe schafft, ist grundsätzlich nicht abzulehnen. Wir werden ein Angebot haben, und damit ist auch ein guter Lernerfolg möglich. Jetzt kann man diskutieren, was man hätte besser machen können.

 

Wären Förderstunden eine Alternative gewesen?

Arweiler: Auf jeden Fall. Förderunterricht, der nachmittags konstant über das nächste Schuljahr und verpflichtend stattfindet, wäre sicher die gelungenere Lösung gewesen. Mit Schülern, die in den Ferien richtig Luft holen konnten und mit frischem Elan wieder starten. Auch Schüler brauchen Erholung. Jetzt ist ja alles freiwillig. Aber Förderstunden sind für den Steuerzahler die teurere Variante. Ob die Zielgruppe, die wir ansprechen wollen, jetzt erscheint und motiviert ist – das wissen wir nicht. Unterricht ist aber eben nicht immer 100 Prozent optimal, das weiß ich aus meiner, das wissen Sie aus Ihrer Schulzeit.

 

Dieter Arweiler ist 55 Jahre alt und leitet die Andreas Schneider-Schule in Heilbronn. Zudem ist er geschäftsführender Schulleiter der beruflichen Schulen im Landkreis Heilbronn. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und eine Enkeltochter. Foto: privat  Foto: privat

Es gibt Zweifel, ob sich bei der Bezahlung von 40 Euro die Stunde und entsprechenden Abzügen genug Lehrer zur Verfügung stellen. Haben Sie da Bedenken?

Arweiler: Für Referendare ist das sicher attraktiver als für ältere Kollegen. Referendare können jetzt vor dem eigentlichen Start am 14. September voll durchstarten, und zwar sozusagen nicht als Assistenzärzte, sondern gleich als Ärzte. Nach ihrem Abschluss sind sie sonst fünf Wochen arbeitslos und werden erst wieder eingestellt. Von den etablierten Kollegen werden sich weniger darauf einlassen. Sie haben die Corona-Zeit im Kreuz und brauchen Zeit, durchzuatmen.

 

Sind nicht Kollegen, die Nebenfächer unterrichten, in der Corona-Zeit weniger belastet gewesen?

Arweiler: Das ist sicher nicht an allen Schulen gleich. Wir haben, wo möglich, die normale Stundentafel im Fernunterricht abgebildet, auch die Nebenfächer. Wir wollten eine einseitige Belastung der Hauptfach-Lehrer vermeiden. Der Online-Unterricht war anstrengender als normaler Unterricht, einfach weil der direkte Kontakt fehlt. Und mit dem rollierenden System des Präsenzunterrichts aktuell geht es gerade so weiter. Die Lehrer arbeiten ihr volles Pensum, die wenigen Ausfälle gibt es etwa im Sportunterricht, der aktuell vom Kultusministerium aus nicht stattfinden darf. Hier wird Sporttheorie vermittelt.

 

Haben Sie mit Lehrer-Klischees zu kämpfen?

Arweiler: Auch in normalen Zeiten gibt es wenige, die den Lehrern auf die Schulter klopfen. Klischee ist eher, dass das Wohnmobil zum Ferienstart schon abfahrbereit auf dem Schulhof steht. Als Insider muss ich aber sagen, dass die Lehrer richtig gute Arbeit leisten. Sie sind vor den Sommerferien mit Recht erholungsbedürftig, mit Corona on top besonders. Ich will mich nicht beschweren, Lehrer sind nicht von Insolvenzen in ihrer Existenz bedroht. Sie sind trotzdem grenzwertig belastet, weil an den Schulen gerade viel hängt. Deshalb bin ich die letzten zwei Ferienwochen zur Entlastung meines Schulleiterteams vor Ort und organisiere die Lernbrücken.

 

Wenn die Lernbrücken schulübergreifend organisiert werden, unterrichten Lehrer, die die Jugendlichen nicht kennen. Ist das nicht schwierig?

Arweiler: Stimmt, die Lehrer kennen die Schüler dann nicht. Aber das ist ja das Handwerkszeug des Lehrers, das trotzdem hinzukriegen, auch wenn es kein maßgeschneidertes Angebot ist. Alle Beteiligten haben die Ausbildung, das zu bewerkstelligen. Das ist wie im OP. Der Professor setzt den Schnitt routinierter, aber der junge Arzt kriegt das auch hin. Ideal ist natürlich ein Angebot an der eigenen Schule. Wir sind sieben große berufliche Schulen im Umkreis, drei von der Stadt, vier vom Landkreis. Bei uns wird es auf jeden Fall ein gutes Angebot geben.

 

Ist es aufwendig, die Schulhäuser in dieser Zeit herzurichten?

Arweiler: Berufliche Schulen sind ja ein riesiges Konstrukt. Allein dass Räume benutzbar sind, die Großreinigung so organisiert ist, dass Platz für den Lernbrücken-Unterricht bleibt, das Wasser angestellt wird, öffentliche Verkehrsmittel für die Schüler eingetaktet sind – das ist ein Kraftakt. Aber wir kriegen das hin. 

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