Stimme+
Leingarten
Lesezeichen setzen Merken

Archäologen sind begeistert von Großgartacher Kultur

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Altertumswissenschaftler bergen bei Grabungen in Leingarten eine Fundgrube nach der anderen. Bereits im 19. Jahrhundert beschrieb der Heilbronner Stadtarzt Alfred Schliz den nach Großgartach benannten archäologisch interessanten Siedlungsstandort.

Dr. Martin Hees (links) und Sascha Schmidt von Fodilus sind begeistert von den Funden. Auf der anderen Hangseite ist rechts die Grabungsstelle von ArchaoTask erkennbar.
Dr. Martin Hees (links) und Sascha Schmidt von Fodilus sind begeistert von den Funden. Auf der anderen Hangseite ist rechts die Grabungsstelle von ArchaoTask erkennbar.  Foto: Seidel, Ralf

Sie buddeln im Müll, sind aber hochzufrieden mit ihrer Arbeit. Denn der Abfall, in dem die Archäologen in Leingarten erfolgreich wühlen, ist mehrere tausend Jahre alt. Besonders Scherben geben Aufschluss über steinzeitliches Leben.


Mehr zum Thema

Stimme+
Leingarten
Lesezeichen setzen

Keine Ortsumfahrung: Wofür in Leingarten gebaggert wird


Alfred Schliz prägte den Begriff Großgartacher Kultur

Wenn Alfred Schliz nicht gewesen wäre, dann wüssten die Altertumsforscher vielleicht gar nicht, welch Kulturdenkmalreichtum sie unter der Erde rund um Großgartach erwartet: "Das war ein Pionier der Siedlungsarchäologie", so beschreibt Dr. Andrea Neth den Mann, der hauptberuflich ab 1877 als Stadtarzt in Heilbronn wirkte.

Die Referentin des Landesdenkmalamts, zuständig für lineare Projekte im Stadt- und Landkreis Heilbronn, weiß, dass der Mediziner aufgrund seines anthropologischen Interesses an Schädeln bei der Archäologie landete. So entdeckte Schliz am Ende des 19. Jahrhunderts bei Grabungsarbeiten am Heuchelberg zufällig steinzeitliche Wohnstellen, und der Hobby-Archäologe erkannte, wie günstig die Gegend für Siedlungen ist. Seither ist die "Großgartacher Kultur" in der Wissenschaft ein Begriff. Es handele sich um einen eponymen Standort, erklärt Andrea Neth, also um einen archäologischen Fundort, der nach der Lokalität benannt ist.

Seit es Bauern gibt, wird in Leingarten gesiedelt

"Das ist klassisches Altsiedelland hier", sagt Neth. Das heißt: "Seit es Bauern gibt, ist es immer wieder besiedelt worden." Die Menschen brauchten eine gute Bodenqualität, Zugang zu Wasser und Infrastruktur. Und da diese Voraussetzungen für ein gutes Leben auch heute noch gegeben sind und in der Gegend viel gebaut wird, gibt es auch so viele Fundstellen. Denn die archäologischen Erkundungen des Grund und Bodens sind vor jedem Bau Pflicht.

Wenn man die Baudenkmäler schon nicht im Originalzustand erhalten könne, wolle man sie vorher zumindest dokumentieren, so Neth. Nur ist eine Baustelle selten so groß wie die der ab nächstem Jahr entstehenden Süddeutschen Erdgasleitung, die HSt berichtete.

Viele Funde von hohem wissenschaftlichen Wert

"Es gibt auf dieser Trasse immer noch Dinge, die hohen wissenschaftlichen Wert mitbringen", weiß auch Sascha Schmidt. Der Geschäftsführer der Fodilus GmbH, die nahe der L1105 im Süden Leingartens gräbt, definiert seine Aufgabe: "Wir sind Propädeutiker. Wir bereiten die wissenschaftliche Aufarbeitung vor."

Während für den südlichen Teil des von Fodilus untersuchten Bauabschnitts Dr. Markus Dürr verantwortlich zeichnet, ist Dr. Martin Hees Projektleiter für das an den Kappmannsgrund anschließende Stück. Hees ist dort in seinem Element, hat er doch bereits seine Doktorarbeit über die Besiedlung von Heilbronn und seiner Umgebung zwischen dem achten und vierten Jahrhundert vor Christus geschrieben. Nun deutet er auf die unterschiedlichen Farben in den ausgehobenen Mulden. Die schwarzen Stellen weisen auf mineralreichen Boden hin: "Der Humus war früher dunkler als heute."

Altes Geschirr findet sich in Abfallgruben

Andrea Neth vom Landesdenkmalamt hält einen 7000 Jahre alten Tontopf aus der Großgartacher Kultur in der Hand.
Fotos: Ralf Seidel
Andrea Neth vom Landesdenkmalamt hält einen 7000 Jahre alten Tontopf aus der Großgartacher Kultur in der Hand. Fotos: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Abfallgruben seien die halbkreisförmigen Vertiefungen gewesen. Hier findet man etwa altes Geschirr oder Schlachtabfälle. Im größten Loch, das die Fodilus-Archäologen ausgehoben haben, wurde Saatgut gelagert: "Die Grube ist so massiv, da passt die Ernte von mehreren Hektar rein." Hees ist begeistert: "Das ist die größte, die mir je untergekommen ist."

Fotografieren, bemessen, beschreiben

Nachdem der Bagger den Humus vom "gestörten" Boden abgetragen hat - also "alles, was modern durchwühlt ist", erklärt Schmidt - arbeiten die Forscher von Hand nach. Erst mit einem Abzieher ("im Grunde eine Rübenhacke"), schließlich, je nach Entdeckung, auch mit feinen Instrumenten und Pinseln. Ihre Funde fotografieren, bemessen und beschreiben sie. Ganze Gegenstände, wie etwa einen 7000 Jahre alten Tontopf, der offenbar nur wegen eines Risses weggeworfen wurde, werden sorgfältig verpackt und ins Labor geschickt. Dann übernimmt das Denkmalamt.

"Es kam bei den Grabungsarbeiten mehr raus, als wir erwartet haben", freut sich Hees. "Aber auch das, was wir erwartet haben." Letzteres auch dank der Vorarbeit des Heilbronner Arztes Alfred Schliz.

Stichwort: Grabungsfirmen

Die archäologische Baustelle um Leingarten ist für eine Grabungsfirma zu groß. Daher haben sich zwei Unternehmen die Strecke untereinander aufgeteilt. Beide wurden 2016 von Archäologen gegründet, die ihr Fach an der Universität Tübingen studiert haben. Nördlich der B293 in Richtung Kirchhausen untersucht die Firma ArchaeoTask aus Engen den Boden, südlich ist es die Rottenburger Firma Fodilus mit Sascha Schmidt als einem von drei Geschäftsführern. Fodilus steht für Forschung, Dienstleistung und fachliche Untersuchungen.

 
Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben