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AOK-Ärztin warnt: „Unter 15 Grad ist für Viren ein Freudenfest“

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Dr. Sabine Hawighorst-Knapstein von der AOK erklärt im Interview den Zusammenhang zwischen Temperatur und Gesundheit. Sie sagt: "Frieren an sich ist nicht schlimm".

Wer wegen steigender Energiekosten zu Hause friert, läuft Gefahr, krank zu werden.
Wer wegen steigender Energiekosten zu Hause friert, läuft Gefahr, krank zu werden.  Foto: Stock Adobe

Weil Energiekosten stark steigen, bleiben in vielen Wohnungen die Heizungen aus. Was den Geldbeutel schont, ist für die Gesundheit aber nicht unbedingt das beste. Dr. Sabine Hawighorst-Knapstein von der AOK Baden-Württemberg erforscht den aktuellen medizinischen Kenntnisstands mit anderen Experten und weiß: „Die Temperatur korreliert direkt mit der Gesundheit.“ Einige Erkenntnisse aus der Studie, die erst noch publiziert wird, erläutert sie im Interview.

 

Frau Hawighorst-Knapstein, als Kind wurde uns schon gesagt: Zieh dich warm an, sonst wirst du krank. Stimmt das überhaupt?

Sabine Hawighorst-Knapstein: Das Problem ist, dass wir Mitteleuropäer auf niedrigere Temperaturen nicht eingerichtet sind. Das ist ein Freudenfest für Viren und Bakterien. Unter 15 Grad haben sie die optimalen Bedingungen, sich zu verbreiten. Hinzu kommt, dass wir im Herbst und Winter näher zusammenrücken und die Heizungsluft warm und trocken ist. Deshalb ist es wichtig, die Temperatur in unserer Wohnung über 15 Grad zu halten. Wir müssen außerdem darauf achten, dass unser Körper nicht auskühlt. Wir sind von Natur aus auf etwas über 20 Grad eingestellt. Da fühlen wir uns am besten. Temperaturen darüber und darunter sind belastend für den Körper

 

Dann hatten unsere Eltern Recht?

Hawighorst-Knapstein: Ja, warm anziehen hilft. Der dreilagige Zwiebellook ist am besten. Zum Beispiel: Unterhemd, Pulli und Jacke.

 

Im Winter komplett aufs Heizen zu verzichten, macht also krank?

Hawighorst-Knapstein: In den Räumen, in denen man sich länger aufhält, sollte es möglichst nicht kälter als 15 Grad sein. Im Schlafzimmer kann es auch notwendig werden, mal eine Mütze aufzusetzen. Der Kopf hat eine große Oberfläche, über die Wärme verloren geht. Auf die Temperatur zu achten, ist besonders relevant für Menschen, die Atemwegserkrankungen, starkes Übergewicht oder Herz-Kreislauferkrankungen haben, um sich keinen Infekt zuzuziehen.


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Wie ist es bei jungen, gesunden Menschen?

Hawighorst-Knapstein: Auch die sollten die Auswirkungen von Kälte nicht unterschätzen. Vor allem wenn wir noch Corona haben und Grippeviren dazukommen, kann das auch für junge Menschen bedrohlich werden. Der Appell, sich zum Beispiel gegen Grippe zu impfen, ist also sinnvoll. Wenn man weitere Vorteile haben will, rate ich auch zu einer Impfung gegen eine bakterielle Infektion mit Pneumokokken. Das sollte jeder für sich abwägen.

 

Haben Sie weitere Tipps, um sich warm zu halten?

Hawighorst-Knapstein: Wichtig ist, rauszugehen und sich zu bewegen. Das ist auch wichtig für den Rücken. Durch die Betätigung der Muskeln erzeugen wir Energie und uns wird warm. Warme Getränke, möglichst ohne Alkohol, warme Eintöpfe und Suppen wärmen zusätzlich von innen. Das tut alles gut.

 

Wer bisher seine Räume auf 20 Grad geheizt hat, der friert sicher, wenn die Temperatur auf bis zu 15 Grad sinkt. Gewöhnt sich der Körper daran?

Hawighorst-Knapstein: Frieren an sich ist nicht schlimm. Es zeigt uns, dass der Körper Bedarf hat, Energie zu erzeugen, die kleinen Muskeln zu bewegen. Wenn wir uns dann bewegen, auch zu Hause, dann hilft das schon. Ob Menschen sich an Kälte gewöhnen können, ist unterschiedlich. Deshalb ist es wirklich wichtig, sich durch Kleidung zu schützen. Wir neigen auch zu Erfrierungen, wenn es auf den Nullpunkt zugeht. Damit ist nicht zu spaßen.

 

Kann man sich abhärten?

Hawighorst-Knapstein: Saunagänge führen zu einer guten Erweiterung der Gefäße und Durchblutung. Man muss aber aufpassen, wenn man Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Probleme oder starkes Übergewicht hat.

 

Bringt es etwas, öfter kalt zu duschen?

Hawighorst-Knapstein: Das sollte man mit großer Vorsicht machen, wenn man darin nicht geübt ist. Wenn ein Virus im Körper ist und wir uns zu stark abkühlen, kann das problematisch sein. Im Sommer ist Gefäßtraining durch kaltes Abduschen hingegen gut.

 

Warum frieren Frauen oft schneller als Männer?

Hawighorst-Knapstein: Frauen sind erwiesenermaßen empfindlicher, was Gefäßverengungen bei niedrigeren Temperaturen zum Beispiel unter 18 Grad angeht. Frauen haben zudem ein bisschen mehr Fettanteil und Männer mehr Muskulatur, die ihnen hilft, die Gefäße zu bewegen. So wird Energie erzeugt. Für Frauen ist es deshalb besonders wichtig, das zu kompensieren. Sie müssen sich mehr bewegen und durch Kleidung schützen.

 

Kann man auch zu viel heizen?

Hawighorst-Knapstein: Wenn es zu warm ist, merkt der Körper das schnell. Wir schwitzen und werfen Kleidung ab. Übermäßiges Heizen ist nicht sinnvoll, weil die Luft dann verstärkt zirkuliert und Staubpartikel aufgeworfen werden. Wenn die Schleimhäute trocken werden, haben es Viren leichter, einzudringen. Ein Luftbefeuchter kann Sinn machen.


Zur Person: Sabine Hawighorst-Knapstein ist Fachärztin und Psychotherapeutin mit Zusatz-Weiterbildungen in Qualitätsmanagement, Ernährungs- und Sportmedizin. Seit 2004 arbeitet sie bei der AOK Baden-Württemberg in Stuttgart und ist zuständig für die ambulante Versorgungsgestaltung. Zuvor war sie klinisch und wissenschaftlich an der Universitätsklinik Mainz tätig. Sie wurde unter anderem für ihre Lebensqualitätsforschung ausgezeichnet.

 

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