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Anteil der älteren Obdachlosen steigt stark an in der Region

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Zahl der Über-70-Jährigen auf der Straße hat sich in Stadt- und Landkreis Heilbronn in den vergangenen Jahren verdreifacht: Manche werden aus der Klinik in die Wohnungslosigkeit entlassen.

Alt, allein und auf der Straße: Wer Glück hat, bekommt einen Platz bei der Aufbaugilde, aber auch hier gibt es eine Warteliste.
Alt, allein und auf der Straße: Wer Glück hat, bekommt einen Platz bei der Aufbaugilde, aber auch hier gibt es eine Warteliste.  Foto: bigmikephoto/stock.adobe.com

Sie schlafen unter der Brücke oder im Pfühlpark, im Gartenhaus, im alten Mercedes oder im Keller: Obdachlose in Heilbronn. Der Anteil der über 70-Jährigen hat sich in den vergangenen Jahren in der Region verdreifacht, sagt Hannes Finkbeiner, Geschäftsführer der Aufbaugilde, bei den 60- bis 70-Jährigen verdoppelt. "66 Menschen in dem Alter laufen uns im Gildetreff an, der Älteste ist 74." Ein Drittel sind Frauen.

Manche kommen aus dem Krankenhaus und wissen nicht wohin

Mehr gesundheitliche Probleme machen die Lage der Älteren besonders prekär, ihr soziales Netzwerk bricht mit fortschreitenden Jahren komplett weg. Manche kommen auch direkt aus dem Krankenhaus - und wissen nicht, wohin.


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"Teekanne, Matratze, Schlafsack. Kein Campingkocher vorhanden. Kein Warmwasser. Kein Ofen." So beantwortet ein Mann Fragen dazu, wie er sich durchschlägt. Seit anderthalb Jahren lebt er in einem Gartenhäuschen, "das Gelände ist wild überwuchert". Er fühlt sich hier geschützter als auf der Straße. Zum Duschen, Essen und Wäsche waschen kommt er zum Gildetreff in die Heilbronner Wilhelmstraße. Was er sich wünscht: "einen Raum bei der Aufbaugilde".

Wenn Ulli Lützow (61), Johannes Ebel (60) und Roland Rupp (59) dort nicht aufgenommen worden wären, säßen auch sie auf der Straße. Sie stehen zu ihrer Geschichte, nennen offen ihre Namen.

Viele Vermieter wollen eine Schufa-Auskunft

Lützow, gelernter CNC-Fräser, verliert 2013 wegen Alkohol seine Arbeit, muss seine Wohnung aufgeben. Seit 2017 ist er nach einer Entgiftung trocken, lebt in der Obdachlosenunterkunft Salzgrund, schlägt sich bei Bekannten durch. Auf dem Wohnungsmarkt rechnet er sich kaum Chancen aus. "Viele wollen eine Schufa-Auskunft. Auch wenn meine Privatinsolvenz vorbei ist, schreckt das Vermieter ab." Also lebt er in einer Zweier-WG in Neckargartach im ambulant betreuten Wohnen. Für ihn ist das "ein großes Gefühl von Freiheit".

Auch Johannes Ebel, der 2018 aus Kasachstan nach Möckmühl zur Mutter zog, war nach ihrem Tod neun Monate obdachlos. Nun hat er ein Zimmer in der Kennedystraße. Bei Gewo und Stadtsiedlung ist er auf der Warteliste, aber ob das was wird? Er zuckt die Schultern.


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Eine Wohnung zu finden, ist für die Klientel der Aufbaugilde sehr schwer

Eine Wohnung zu finden, ist für seine Klientel fast nicht machbar, weiß Hans-Martin Klenk, Leiter des Unterstützungszentrums der Aufbaugilde. Auch Roland Rupp ist einer von denen, die nach dem Krankenhausaufenthalt vor dem Nichts standen. Er war LKW-Fahrer, dann Lagerist und brach sich bei der Schicht die Hüfte. Nach Wochen in der Klinik hatte der Arbeitgeber seine Betriebswohnung aufgelöst, so erzählt er es.

Die Situation, dass gerade ältere Patienten quasi vom OP-Tisch in die Obdachlosigkeit entlassen werden, erlebt Klenk immer öfter. Der Sozialdienst versucht dann mit der Aufbaugilde das Schlimmste abzuwenden. Bei Rupp hat das geklappt: Er kam in einem Zimmer unter.

Aufbaugilde hat ein spendenfinanziertes Krankenzimmer eingerichtet

Wegen solcher Fälle hat die Aufbaugilde nun ein spendenfinanziertes Krankenzimmer in ihrem neuen Haus in der Franz-Renner-Straße. Denn die Mitarbeiter treffen immer wieder auf Wohnungslose, "mit offenen Wunden oder Gehirnerschütterungen, die nach Eingriffen teils noch Kanülen oder Katheder tragen", heißt es in einem Flyer. "Sie können hier unterkommen, und wir schauen, ob wir sie in eine Reha, ein Zimmer oder Pflegeheim vermitteln können", sagt Klenk.

Immer mehr Menschen haben weder Krankenversicherung noch Rente

Nicht immer seien die Heime begeistert davon, die Klientel der Aufbaugilde aufzunehmen. Ein weiteres Problem: Immer mehr Menschen haben weder Krankenversicherung noch Rente.

Eine neues Geschäftsmodell beobachtet Hannes Finkbeiner mit gemischten Gefühlen. In 16 Häusern in Heilbronn werden inzwischen 150 Zimmer angeboten. "Das sind im Prinzip Abbruchhäuser, aber es ist manchmal die einzige Möglichkeit, die Leute unterzubringen," sagt er. Einen Anteil zahlt das Sozialamt, den Rest der 550 Euro teuren Miete zwacken Betroffene dann vom Satz ab, der zum Leben bleiben sollte.

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