Stimme+
Region
Lesezeichen setzen Merken

Als Sinsheim zum Vorort von Heilbronn wurde

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Vor 50 Jahren gab der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber die Autobahn "Neckarlinie" Richtung Mannheim frei. Damals wurde manch weitsichtige Entscheidung getroffen.

Von Christian Gleichauf

 

Neckarlinie hieß vor 50 Jahren jene Autobahn, die am 10. Dezember 1968 nigelnagelneu an die Autofahrer übergeben wurde. Die Menschen standen zuhauf am Fahrbahnrand und winkten Bundesverkehrsminister Georg Leber in seinem Daimler zu, wie er langsam Richtung Sinsheim rollte.

Zuvor hatte Leber versucht, feierlich ein weißes Band zu durchschneiden. Das war ihm nicht vergönnt. So groß war das bundesweite Interesse an der neuen Autobahn, dass es am Ende keinem der Fotografen und Kameraleute gelang, ein gutes Bild davon einzufangen. Sie standen sich nur gegenseitig im Weg, wie der damalige Redakteur Uwe Mundt in der Heilbronner Stimme vom 11. Dezember beschreibt.

Mit einer gewissen Hochnäsigkeit werden die Nachbarn begrüßt

Ebenso schreibt Mundt: "Die Freude der Sinsheimer über den Anschluss an die große weite Welt war groß." Nachdem Heilbronn schon seit 1940 seine Autobahn Richtung Stuttgart hatte, konnte man mit einem gewissen Dünkel die nordbadischen Nachbarn im Kreis der Kosmopoliten begrüßen.

Erfreut war man somit auch über den Scherz von Innenminister Walter Krause aus Stuttgart. Der erklärte an dem Tag: Sinsheim sei im Jahr zuvor mit der Fertigstellung der Neckarlinie Richtung Walldorf bereits zum Vorort Heidelbergs geworden. Jetzt werde die Kreisstadt auch noch ein Vorort Heilbronns. Doch auch solche Frotzeleien konnten die Freude über die neue Autobahn wohl nicht trüben.

Große Pläne für das Neckartal

Verkehrsminister Leber von der SPD durfte bei der Eröffnung übrigens vollenden, was sein Vorgänger Hans-Christoph Seebohm von der CDU in teils beeindruckend selbstbewusster Manier begonnen und vorangetrieben hatte. Über viele Jahre hinweg hatte die Region auf die Umsetzung der Autobahnpläne gewartet. Als sie Anfang der 60er Jahre in greifbare Nähe rückten, keimte rund um Heilbronn Hoffnung, hier noch schnell etwas in die Wege zu leiten, bevor der Bund sein Großprojekt startet.

Im Bereich der heutigen Autobahnbrücke sollte der Neckar nach Westen verlegt werden, um Platz für ein großes Gewerbegebiet zu schaffen. Über mehrere Jahre zogen sich Verhandlungen zwischen den Kommunen hin, die am Ende in den sogenannten Plan E1 mündeten. Darauf warten wollte Seebohm allerdings nicht, das machte er schon 1963 deutlich. Und die Neckarverlegung wurde dann auch nicht verwirklicht.

Lange Vorlandbrücke statt aufgeschütteter Damm

Immerhin schaffte er Fakten, mit denen alles möglich blieb. Man verzichtete darauf, die Autobahn über einen Erdwall an den Neckar heranzuführen, und baute stattdessen eine lange Vorlandbrücke. Hätte es je einen neuen Neckarkanal gegeben, wäre kein Brückenneubau notwendig geworden.

Heute, da die Neckarlinie nur noch A 6 genannt wird, warten wieder viele Menschen sehnsüchtig auf freie Fahrt auf dieser Autobahn, die derzeit eine einzige Baustelle ist. Seit April 2017 wird saniert und ausgebaut. Nun wird zum zweiten Mal eine 1,3 Kilometer lange Brücke aus mehreren Bauwerken übers Neckartal gebaut, nachdem die alte nach nur 50 Jahren marode ist. Wiederum wurde auf den Bau eines Damms verzichtet.

Zwei Gründe standen dem heute wie damals entgegen: "Man wollte an erster Stelle das Überschwemmungsgebiet offen halten, der Neckar soll sich ausbreiten können", erklärt Michael Endres, Sprecher des Baukonsortiums ViA6West, das die A6 jetzt ausbaut. Zudem sei schon in den 60er Jahren bekannt gewesen, dass so ein Damm eine Windbarriere im Neckartal darstellen würde. Um das zu verhindern, war man schon damals bereit, mehr Geld auszugeben.

Mehr zum Thema: In den 1960er Jahren wollten Heilbronn und seine Nachbarn den Neckar umleiten und so Platz für mehr Industrie schaffen

 

Die Baukosten im Vergleich

390 Millionen Mark hatte der Neubau der Autobahn von 1964 bis 1968 zwischen Mannheim und Heilbronn gekostet. Der Neckartalübergang schlug mit 30 Millionen DM zu Buche. Rund 160 Millionen Euro kostet nun der Ersatzneubau der Brücke. Insgesamt investiert das Baukonsortium ViA6West, das als privater Betreiber den Ausbau bis Wiesloch/Rauenberg übernimmt, 650 Millionen Euro. Das zumindest sind die Planzahlen des Regierungspräsidiums Stuttgart. Die Behörde hat das Projekt vor zwei Jahren als öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) vergeben.

 

Kommentar: Mobilität muss man wieder groß denken

Von Christian Gleichauf

 Foto: Mugler, Dennis

War diese Autobahn 6 im Jahr 1960 notwendig? Was damals in den 1960er und 1970er Jahren auf der Ost-West-Achse unterwegs war, passt heute locker auf eine ganz normale Bundesstraße. Die Notwendigkeit ist in diesem Fall relativ. Sinnvoll war die Investition in die Zukunft aber auf jeden Fall. Das von vielen Zeitgenossen inzwischen verhasste Autobahnkreuz aus A81 und A6 hat entscheidend zur wirtschaftlichen Entwicklung beigetragen.

Wer das im Hinterkopf behält, denkt vielleicht anders über die heutigen Ausbaupläne auf der B27 nach Norden und die Schienenprojekte in Richtung Süden. Nur wer glaubt, dass mehr Arbeitsplätze die Region ruinieren, darf den Ausbau der Infrastruktur grundsätzlich ablehnen. Wer aber will, dass es mit dem Raum Heilbronn vorangeht, der muss sich darüber im Klaren sein, dass in Zukunft noch mehr Menschen als in der Vergangenheit mobil sein müssen − ob sie es wollen oder nicht.

Statt sich im Klein-Klein zu verheddern, sollte man deshalb wieder groß denken. Dazu braucht man nicht von neuen Autobahnen träumen. Aber für die Mobilität von morgen − auch für den ÖPNV − braucht es neben ein paar Apps auch ganz reale neue Wege, die Orte miteinander verbinden. Eine asphaltierte Strecke ist nicht per se schlecht, eine Schiene nicht per se gut. Neue Trassen für leise Shuttlebusse und Fahrräder beispielsweise sind überfällig. Sie wären ein Pluspunkt für Wirtschaft, Mensch und Umwelt.

Ihre Meinung

christian.gleichauf@stimme.de

 
 
Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben