Heilbronner Polizeipräsident: "Die Akzeptanz der Polizei droht zu sinken"
Frank Spitzmüller ist seit einem Jahr Präsident des Polizeipräsidiums Heilbronn. Die gesellschaftliche Entwicklung sieht er kritisch – vor allem bei den Themen Raser und Gewaltbereitschaft.
Aktuelles Thema Bauernproteste. Wie verfolgen Sie den Verlauf?
Frank Spitzmüller: Ich bin vom Grundsatz her zufrieden. Für uns waren die Beteiligten ansprechbar, sie haben sich weit überwiegend an die Versammlungsauflagen gehalten. Die Kommunikation zwischen Polizei und den Versammlungsteilnehmern war gegeben. Und das ist gut so.
Vergangenes Jahr die Klimakleber, jetzt die Bauern. Gehen die Menschen schneller und öfter auf die Straße?
Spitzmüller: Ich beobachte solche Entwicklungen sehr genau und sehe, dass es sehr schnell in konfrontatives Verhalten münden kann. Auch in handfeste Auseinandersetzungen. Das beziehe ich nicht nur auf Demonstrationen, sondern auch im Umgang miteinander.
Kürzlich haben Sie gesagt, dass Sie von einem Anstieg von Körperverletzungen ausgehen.
Spitzmüller: Gewalt spielt in bestimmten Teilen der Bevölkerung als Mittel zur Konfliktlösung wohl eine bestimmende Rolle. Das zeigt sich beispielsweise bei häuslicher Gewalt deutlich. Das könnte auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen oder veränderten Bevölkerungsstrukturen zusammenhängen.
Sie sprechen von einer gesellschaftlichen Entwicklung. Was meinen Sie damit?
Spitzmüller: Ein Faktor könnte die Sozialisierung beziehungsweise das Sozialverhalten einzelner Bevölkerungsgruppen sein. Die Konfrontation mit der Faust scheint auf dem Vormarsch und die Akzeptanz der Polizei droht zu sinken.
Wo fällt das der Polizei noch auf?
Spitzmüller: Beispielsweise beim Thema Raser. Ein bestimmtes Klientel möchte sich möglicherweise damit profilieren, das Posen in den sozialen Medien baut zusätzlich Druck auf. Natürlich verhält sich der weit überwiegende Teil unserer Gesellschaft rechtstreu. In einigen Bereichen spitzten sich die Dinge aber zu.
Raser-Unfälle haben im vergangenen Jahr im Land um 19 Prozent zugenommen. Wieso schreckt der tödliche Raser-Unfall in der Wollhausstraße offensichtlich nicht ab?
Spitzmüller: Das beschäftigt mich auch. Es gibt einen gewissen Anteil von Verkehrsteilnehmern, denen ist es im Zweifel völlig egal, dass Menschen zu Tode kommen können. Das ist inakzeptabel.
Welche Sanktionen halten Sie für sinnvoll?
Spitzmüller: Entzug der Fahrerlaubnis, Beschlagnahme des Fahrzeugs, in besonders schlimmen Einzelfällen Haftstrafe. Schauen Sie mal in die Schweiz. Dort greift der Raser-Paragraf ab einer bestimmten Geschwindigkeitsüberschreitung. Das Fahrzeug wird dann im Einzelfall an Ort und Stelle entzogen.
Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass viele Polizisten noch während ihrer Ausbildung freiwillig ihren Dienst quittieren. Woran liegt das?
Spitzmüller: Als Polizist steht man mit beiden Beinen im Leben. Es gibt Bereiche, wie Sexual- oder Kapitaldelikte, Kinderpornografie oder Verkehrsunfallaufnahmen, die schon sehr belastbar sein können. Dazu gehören auch Demonstrations- oder Konfrontationslagen. Gleichwohl ist der Polizeiberuf ein sehr schöner, es geht darum Menschen zu helfen, man arbeitet im Team, kommuniziert sehr viel, regelmäßig ist kein Tag wie der andere. Das schafft auch Zufriedenheit.
Viel diskutiert wird auch das Thema Personalmangel. Die vom Innenminister angepriesene Einstellungsoffensive sehen manche in der Politik kritisch.
Spitzmüller: Wir haben in den letzten Jahren mehr als 50 Prozent des Personals nachersetzt, benötigen aber noch mehr für die neuen vielfältigeren Aufgaben. Der Innenminister hat das erkannt und setzt sich für Verbesserungen ein. Dafür bin ich sehr dankbar.
Das Land ist verglichen mit anderen Bundesländern personell am schlechtesten ausgestattet.
Spitzmüller: An dem Thema wird gearbeitet. Die Neueinstellungen müssen erst über den polizeiinternen Bildungsträger geschleust werden. Das heißt, ich kann jetzt natürlich Neustellen bekommen, aber die neue Stelle ist wie ein leerer Stuhl. Da sitzt ja noch keiner drauf und arbeitet. Wir können auf dem freien Arbeitsmarkt keine fertig ausgebildeten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten rekrutieren.
Das Problem ist nicht neu und haben ihre beiden Vorgänger auch schon so beschrieben.
Spitzmüller: Die interne Personalentwicklung kann ich als Polizeipräsident bedingt vorausplanen. Aber über die Anzahl der Neueinstellungen beziehungsweise über zusätzliche Personalstellen, entscheidet der Souverän. Und das ist nun mal der Haushaltsgeber, also das Parlament. Tatsächlich ist die Frage, was ist uns Innere Sicherheit wert?
Eine Frage der Finanzierung?
Spitzmüller: Die strukturelle Unterfinanzierung der Polizei im Land und im Präsidium Heilbronn treiben mich als Polizeipräsidenten schon um. Ich habe in vier Landkreisen und einem Stadtkreis die Sicherheit von mehr als 860.000 Menschen zu verantworten. Und ich muss schauen, dass die Polizei überall gut funktioniert.
Vergangenes Jahr haben Stadt Heilbronn und die Polizei das Konzept Sicheres Heilbronn ins Leben gerufen. Wie geht es in diesem Jahr weiter?
Spitzmüller: Das Thema ist nicht abgeschlossen und wir haben es nach wie vor fest im Blick. Aktuell sind zu bestimmten Zeiten Unterstützungskräfte im Einsatz. Wir haben anhand der Sicherheitslage Themenbereiche identifiziert, wo wir prüfen, was man noch forcieren kann.
Besucher der Innenstadt sagen dennoch, sie fühlen sich unwohl.
Spitzmüller: Diese Wahrnehmung ist abhängig von vielen Faktoren. So kann die Polizei beispielsweise Bevölkerungsstrukturen nun mal nicht verändern. Polizeipräsenz und Kontrollen sind ein Bestandteil, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu stärken. Einfluss darauf, welche Menschen sich aus unterschiedlichen Gründen in der Innenstadt aufhalten, haben diese Maßnahmen jedoch nur bedingt.
Das angekündigte Palm-Ende schürt nicht gerade Hoffnung.
Spitzmüller: Dass Innenstädte unter Druck stehen, ist ja nicht spezifisch für Heilbronn. Da muss sich jeder an die eigene Nase fassen. Wenn ich beispielsweise Schuhe im Einzelhandel anprobiere, aber im Onlinehandel bestelle, dann passt das nicht zusammen.
Haben sich Strategien der Polizei aus 2023 bewährt?
Spitzmüller: Das prüfen wir regelmäßig. In Kürze werden wir die Kriminalitätszahlen des vergangenen Jahres auswerten. Daraus werden wir unsere Schlüsse ziehen und die Maßnahmen für dieses Jahr ableiten. Ein Thema ist sicherlich die Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum.
In diesem Zusammenhang wünschen sich Bürger mehr Fußstreifen.
Spitzmüller: Wir sind bereits mit Fußstreifen präsent. In gewissem Maße muss ich den Wunsch dämpfen. Wenn andere Aufgaben der Polizei in der Abarbeitung notwendig sind, sei es im Streifendienst, bei Verkehrsunfällen, die ganzen Themenbereiche im Bereich Kriminalität, wird das nicht immer so möglich sein. Wir fordern deshalb auch Unterstützungskräfte beim Polizeipräsidium Einsatz an.
Statistik ist ein gutes Thema. Denken Sie, nach den vielen Kontrollen bleibt Heilbronn der sicherste Stadtkreis im Land? Das wird ja gebetsmühlenartig wiederholt.
Spitzmüller: Heilbronn bleibt sicher. Ob es der sicherste Stadtkreis bleibt, das ist sehr ambitioniert. Das hat statistisch nicht unbedingt nur etwas mit dem Konzept Sicheres Heilbronn zu tun, sondern mit Straftaten, die sich in anderen Bereichen beispielsweise bei der Internet- oder Gewaltkriminalität abspielen.