Kuriosum der Verkehrsgeschichte: Der Bahnhof, an dem niemals ein Zug hielt
Eine Bahnverbindung zwischen dem Zabergäu und dem Kraichgau: Vor 100 Jahren wurde das ehrgeizige Projekt beerdigt, Relikte überdauern bis heute. Und es gibt neue Verfechter der alten Idee.

Die stillgelegte Zabergäubahn soll wieder in Betrieb gehen. Einst war sogar geplant, die Strecke über Zaberfeld hinaus bis nach Bretten zu verlängern. Einige Relikte zeugen bis heute vom Schienenprojekt im württembergisch-badischen Grenzgebiet, das vor 100 Jahren endgültig beerdigt wurde. Die damaligen Überlegungen zu einer XL-Variante mit Anschluss nach Westen sind plötzlich wieder aktuell. Die Hindernisse aber sind dieselben geblieben.
Zabergäubahn 2.0: Das Projekt hat an Fahrt gewonnen, seit eine Untersuchung des Landes dem Stich zwischen Lauffen am Neckar und Zaberfeld ein ausreichendes Passagierpotenzial bescheinigte. Mittlerweile haben alle Gemeinden an der Strecke einer möglichen Reaktivierung zugestimmt, jetzt sollen die Planungen vorangetrieben werden. Ganz wie die vor 30 Jahren endgültig eingestellte historische Strecke wäre eine neue Zabergäubahn eine Sackgasse: Sie soll in Zaberfeld enden, von dort fahren die Stadtbahnzüge zurück über Lauffen und Heilbronn nach Neckarsulm.
Auch die neue Zabergäubahn wäre eine Sackgasse

Diesen Makel hatte auch schon die historische Zabergäubahn. Sie endete in Leonbronn, heute Ortsteil von Zaberfeld. Schon vor mehr als 150 Jahren untersuchten die Königlich Württembergischen Staatsbahnen, ob ein Anschluss nach Westen über Kürnbach und Knittlingen ins badische Bretten Sinn ergäbe. "Der Kosten-Nutzen-Faktor", weiß Wolfram Berner, "war schon damals das entscheidende Kriterium" Der Ludwigsburger Kreisarchivar und Bahnexperte hat sich intensiv mit der Geschichte beschäftigt, gemeinsam mit Hans-Joachim Knupfer hat er in der Zeitschrift des Zabergäuvereins einen Aufsatz über die knifflige Suche nach West-Anschluss verfasst, der sogar heute noch im Zuge der Reaktivierungspläne diskutiert wird.
Damals, Ende des 19. Jahrhunderts, senkte die württembergische Staatsbahn den Daumen. Teuer, defizitär. Die Strecke rechne sich nicht, so das Fazit. Nachdem aber die Kraichgaugemeinden im grenzübergreifenden Schulterschluss mit Bretten Druck machten, ging die Bahnstrecke Bretten-Kürnbach, die später bis Leonbronn hätte verlängert werden können, doch in Bau. Der Erste Weltkrieg brachte zaghafte Arbeiten zum Erliegen. Weiter ging es 1919 - stückweise. Brücken bei Bretten wurden gebaut, das Bahnhofsgebäude in Knittlingen, die Trasse bis Oberderdingen war weitgehend fertig. Dann: Hyperinflation, Insolvenz eines Bauunternehmens und: 1924 wurde die Deutsche Reichsbahn eine Gesellschaft, sie wurde von den Bauverpflichtungen für die Länderbahnen befreit. Das Projekt Bretten-Knittlingen-Leonbronn war tot.
Kein Anschluss: Knittlingens Bahnhof ohne Bahn

Fremder, kommst du nach Knittlingen. Man sollte sich nicht von der Bahnhofstraße zur Annahme verleiten lassen, hier führen Züge. Es fuhren nie welche. Den Bahnhof gibt es sehr wohl, er ist heute ein schmuck hergerichtetes Wohnhaus. "Es war ein vergleichsweise repräsentativer Bau", sagt Archivar Berner. Die Knittlinger waren stolz auf ihre Bahn, die nie kam. Heute ist das Stationsgebäude eines von einer Handvoll mit demselben Schicksal in ganz Deutschland. Bei Oberderdingen-Großvillars zeugt noch ein Schild am Ortsrand von der nie realisierten Geisterbahn, eine fertige Bahnbrücke bei Knittlingen wurde 1958 gesprengt.
Neuerdings findet die alte Idee einer durchgehenden Verbindung durch das Zabergäu nach Bretten nwieder Unterstützer. Der FDP-Landtagsabgeordnete Christian Jung brachte den Ringschluss zur Kraichgaubahn 2022 mit einer Anfrage an die Landesregierung ins Spiel. "Skurril und bedauerlich", nannte es der FDP-Politiker, dass die XL-Variante nicht untersucht wird. Die Landesregierung wies darauf hin, dass die Strecke bis Zaberfeld als Bahntrasse gewidmet, eine Reaktivierung mithin deutlich einfacher ist als weiter im Westen. Experten sind sich weitgehend einig, dass die große Lösung keine Chance hat. Sie fürchteten sogar, dass die Debatte dem zarten Pflänzchen Zabergäubahn-Reaktivierung schaden könnte.

Archivar und Autor Berner weist darauf hin, dass sich die topographischen Verhältnisse nicht geändert haben. "Viele Kunstbauten", also Tunnel oder Serpentinen, wären nötig, um das Zabergäu hinter Leonbronn zu verlassen. Auf wenigen Kilometern sind 70 Meter Steigung zu überwinden. Schon eine Fortführung bis Leonbronn, das hatte die Machbarkeitsstudie gezeigt, würde die Reaktivierung der Zabergäubahn wirtschaftlich erledigen. Alles deutet darauf hin: Die Zabergäu-Kraichgau-Bahn bleibt ein Kapitel in den Geschichtsbüchern.