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Kritik am achtjährigen Gymnasium: So reagiert die Region auf die Diskussion

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Das allgemeinbildende Gymnasium steht zurzeit in der Diskussion. Kritiker fordern, dass überall erst nach neun Jahren das Abitur gemacht werden soll.

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Das Gymnasium steht in der Diskussion. Eine Elterninitiative fordert, dass Jugendliche landesweit an allgemeinbildenden Gymnasien wieder nach neun Schuljahren das Abitur machen können. Bis auf die Modellschulen stehen nach acht Jahren am Gymnasium die Abschlussprüfungen an. Die Reaktionen aus der Region fallen gemischt aus.

So sieht es in Öhringen aus

Die Zahlen sprechen Bände: Von den 202 neuen Fünftklässlern am Hohenlohe-Gymnasium Öhringen haben nur drei explizit nach G8 gefragt. "Die haben auch gleich gesagt, dass sie auch mit G9 an die Schule kommen", erinnert sich Frank Schuhmacher. An seinem HGÖ ist theoretisch der Weg zum Abitur in acht wie auch in neun Jahren möglich. In der Praxis aber wählen die Schüler überwiegend den längeren Weg. Zum frühest möglichen Zeitpunkt hatte das HGÖ beantragt, Modellschule zu werden und damit wieder zurückkehren zu können zu G9. "Wir werden wieder beantragen, ab dem Schuljahr 2024/25 weitere fünf Jahre diese beiden Geschwindigkeiten zum Abitur anbieten zu können", sagt Schuhmacher. In der Region ist zudem das Herzog-Christoph-Gymnasium (HCG) in Beilstein ein G9-Gymnasium.

Auch wenn Frank Schuhmacher in Öhringen wieder beide Wege beantragen will, so ist er bei diesem Thema "indifferent", wie er es selbst nennt. Denn einerseits begrüße er es, wenn die Schüler mehr Zeit zum Lernen und Reifen haben. "Andererseits reden wir hier von 115 Prozent mehr Lehrern, die wir bräuchten. Und ich weiß nicht, wo die herkommen sollen."

Das Abitur nach neun Jahren ist bereits möglich

Selbst wenn Modellschulen wie das HGÖ zurückkehren würden zu G8, gäbe es das Abitur in neun Jahren, betont Schuhmacher mit Blick auf die Schüler, die nach Klasse zehn an eines der beruflichen Gymnasien wechseln. Dort treffen die ehemaligen Gymnasiasten zusammen mit Realschülern und Gemeinschaftsschülern, die über die drei Jahre an den beruflichen Gymnasien ein allgemeines Abitur erreichen. "Auch auf diesem Weg kann man zum Medizinstudium kommen."

So sieht es an den beruflichen Gymnasien aus

Fürchten die beruflichen Gymnasien einen Aderlass bei der kompletten Rückkehr zu G9? "Wir haben in der Tat einen Rückgang der Schülerzahlen am Technischen Gymnasium Öhringen", stellt dessen Schulleiter Wolfgang Roll fest. Der Rückgang passe zeitlich gut zur Umstellung auf G9 am HGÖ. Doch er habe damals nachgeforscht, wie sich 2017 die Eingangsklasse verändert hatte und musste die Erklärung woanders suchen. Der Großteil der Schüler komme schon immer mit dem mittleren Bildungsabschluss aus Realschule, Werkrealrealschule und zweijähriger Berufsfachschule. Und von überall waren Rückgänge in derselben Größenordnung zu verzeichnen. Der Rückblick in Zahlen: Anfang der 2010er-Jahre hatte beispielsweise die Gewerbliche Schule Öhringen um die 100 neue Schüler in vier Eingangsklassen. Zuletzt waren es 2016 noch deutlich über 100. In diesem Jahr haben nun nur noch 62 Schüler in Klasse elf begonnen.

Der Rückgang der Schülerzahlen wurde genau analysiert

Wolfgang Roll sieht mehrere Gründe für den Rückgang der Schülerzahlen: Der Anteil der Werkrealschüler, die eine realistische Chance auf ein erfolgreiches Abitur hätten, sei weniger geworden. Die abgeschaffte Grundschulempfehlung sorge dafür, dass zu viele Schüler nach Klasse vier die falsche, zu anspruchsvolle Schulart wählen und früh verbrannt werden. Industrie und Handwerk suchen händeringend Nachwuchs. Damit ist die Not oder der Ansporn, Abitur zu machen für einen guten Ausbildungsplatz, nicht mehr gegeben, sagt Roll.

Das G9 (bis zum Abijahrgang 2012 ausschließlich möglich) sei für die Schullandschaft allerdings die kleinste Herausforderung. Er hält es für eine Ressourcenverschwendung, wenn es beispielsweise eine gymnasiale Oberstufe an Gemeinschaftsschulen gäbe. Wolfgang Roll wäre es stattdessen wichtig, dass Schüler gut informiert die richtige Wahl träfen. "Wer vom Gymnasium schon früh weiß, dass er sich in irgendeiner Weise in sozialpädagogischer, betriebswirtschaftlicher, agrarwissenschaftlicher oder technisch-naturwissenschaftlicher Richtung spezialisieren möchte oder gar dort schon sein Studien- oder Berufswunsch liegt, sollte auf dem entsprechenden beruflichen Gymnasium seine allgemeine Hochschulreife ablegen", findet Roll.

Gemeinschaftsschulen sind gegen die Rückkehr zum G9

Der Verein für Gemeinschaftsschule fordert beste Schule für alle Kinder - im Gymnasium und in allen anderen Schularten der überkomplexen baden-württembergischen Schullandschaft. Der bloßen "Rückkehr zu G9" erteilt der Verein der Gemeinschaftsschulen im Land eine klare Absage: "Es kann doch niemand glauben, dass wir mit einer Retro-Vorstellung von Schule Kinder für ihre mehr denn je unwägbare Zukunft vorbereiten könnten", mahnt Vereinsvorsitzender Matthias Wagner-Uhl, der als Rektor die Gemeinschaftsschule in Neuenstein leitet."Wir begrüßen es ausdrücklich, dass es eine Bewegung zur Weiterentwicklung des baden-württembergischen Gymnasiums gibt - dieser Schritt ist seit Dekaden überfällig", sagt Wagner- Uhl.

Schon heute gebe es im Südwesten über die G9-Modellgymnasien hinaus flächendeckende G9-Angebote. An den über 300 Gemeinschaftsschulen könne qua Schulkonzept ab Klasse fünf durchgehend gymnasial gelernt werden, dazu kämen die umfassenden Angebote der Beruflichen Gymnasien. "Allen, die die Frage der Schuljahre bis zum Abitur diskutieren, sollte klar sein, dass von den rund 1,5 Millionen Schülerinnen und Schülern im Land nur knapp 300 000 ein allgemeinbildendes Gymnasium besuchen - der Fokus unserer Bemühungen sollte sich nicht auf diese Gruppe beschränken."

Heilbronner Elternsprecherin ist für G9

Viviane Kalisch setzt sich für G9 ein. Viele Jugendliche wüssten nach einem G8-Abitur nicht, was sie beruflich machen wollen und engagieren sich erst einmal in einem sozialen Projekt, sagt die Vorsitzende des Heilbronner Gesamtelternbeirats. Ein Jahr mehr Schule sei nur ein Bruchteil, wenn man aufs ganze Leben schaue.


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Es geht auch ums Geld

In die Diskussion über die Gymnasien mischt sich auch die Geldfrage. Schließlich gehe es darum, allen Kindern und Jugendlichen im Land die bestmögliche schulische Bildung zu bieten, sagt Matthias Wagner-Uhl vom Verein der Gemeinschaftsschulen: "Da ist ja klar, dass jeder Euro, der in ein zusätzliches Schuljahr am Gymnasium gesteckt wird, die Not an anderer Stelle noch größer macht, denn gerade an den Grundschulen, in der Inklusion und an den SBBZ, aber auch für unsere Gemeinschaftsschulen sind die Mittel schon jetzt viel zu knapp bemessen."

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