Stimme+
Region
Lesezeichen setzen Merken

150 Jahre Männervollzug in der JVA Heilbronn

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Krieg, Schweinezucht, Überbelegung und Ausbrüche: Die JVA Heilbronn, die eigentlich als Frauengefängnis gedacht war, hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich.

Der Bau der JVA Heilbronn hat vier Flügel, die nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet sind. Das Gelände heute umfasst 3,5 Hektar.
Der Bau der JVA Heilbronn hat vier Flügel, die nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet sind. Das Gelände heute umfasst 3,5 Hektar.  Foto: Kuhnle, Werner

Das Gefängnis in der Heilbronner Steinstraße hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Ursprünglich war es als Frauengefängnis geplant. Noch während der Bauarbeiten wurde aber umentschieden. Das geht aus Unterlagen der Justizvollzugsanstalt Heilbronn (JVA) hervor. Neben der Turnhalle und dem Spital der Stadt Heilbronn diente es in den Jahren 1870 und 1871 zunächst als Lazarett für Verwundete des Deutsch-Französischen Krieges. Von 1937 bis Kriegsende saßen dort auch Jugendliche ein.


Mehr zum Thema

Thomas Kappl, Leiter der Krankenabteilung in der JVA Heilbronn, vor dem Bildschirm für Telemedizin.
Stimme+
Heilbronn
Lesezeichen setzen

JVA Heilbronn arbeitet mit Drogenscanner und Telemedizin


Seit 150 Jahren Männervollzug in Heilbronn

Nach einem Dachstuhlbrand am 22. Dezember 1923 lagen große Teile der JVA in Trümmern.
Foto: JVA Heilbronn
Nach einem Dachstuhlbrand am 22. Dezember 1923 lagen große Teile der JVA in Trümmern. Foto: JVA Heilbronn  Foto: privat

Die britische Royal Air Force (RAF) zerstörte am 4. Dezember 1944 bei einem Luftangriff auf Heilbronn einen Großteil der Stadt, auch die Anstalt lag daraufhin nahezu völlig in Trümmern. "Wie "durch ein Wunder", heißt es in den Unterlagen der JVA, sei niemand ernsthaft verletzt worden. Der Wiederaufbau erfolgte ab 1946 in verschiedenen Bauabschnitten. Seit 1873 wird das Gefängnis für männliche Gefangene genutzt.

Nachdem der Bau fertiggestellt war, wurde die Anstalt im April 1873 sogar von König Karl besichtigt. "Das war aus damaliger Sicht eine große Ehre und ist heutzutage mit dem Besuch des Ministerpräsidenten vergleichbar", sagt Andreas Vesenmaier, der die JVA leitet. Wenige Monate später, am 11. Juli, ging sie in Betrieb - 150 Jahre Männervollzug in Heilbronn also.

JVA liegt nicht am Stadtrand, sondern mitten in Heilbronn

"Es ist schön, dass die JVA nicht irgendwo am Stadtrand liegt, wie es heutzutage üblich ist, sondern inmitten der Gesellschaft", sagt Andreas Vesenmaier. Zum Zeitpunkt der Bebauung habe sie außerhalb gelegen, "alles andere kam später hinzu". Der Vollzug heute sei ein anderer als vor 150 Jahren. "Es gab ja nicht mal ein Strafvollzugsgesetzbuch. Das wurde 1977 eingeführt und Rechte für Insassen niedergeschrieben", nennt der Anstaltsleiter ein Beispiel. Ab diesem Zeitpunkt sei der Schwerpunkt auf die Arbeit mit den Insassen und ihre Resozialisierung gelegt worden.

Die landwirtschaftliche Außenstelle Hohrainhof in Talheim ist eine Abteilung des offenen Vollzuges. Dort arbeiten und leben Insassen.
Foto: Werner Kuhnle
Die landwirtschaftliche Außenstelle Hohrainhof in Talheim ist eine Abteilung des offenen Vollzuges. Dort arbeiten und leben Insassen. Foto: Werner Kuhnle  Foto: Kuhnle, Werner

"Es ist wichtig, dass der Vollzug mit den Menschen etwas macht und sie nicht nur einsperrt", betont Jochen Stiefel, evangelischer Seelsorger in der JVA, beispielsweise mit Blick auf Werkbetriebe. Die Veränderungen im Vollzug in den letzten 150 Jahren seien kolossal.

Ein Insasse, der bereits vor 30 Jahren schon mal in der JVA Heilbronn inhaftiert war, habe ihm erst vor Kurzem erzählt, dass er damals - trotz geschlossenem Vollzug - zur Volkshochschule gehen und dort einen Englischsprachkurs belegen durfte. "Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen."

Zwischenzeitlich wurden in der Anstalt Schweine gezüchtet

Ab dem Jahr 1921 entwickelte das Gefängnis zur Beschäftigung seiner Insassen eine Landwirtschaft samt einer Schweinezucht.
Foto: JVA Heilbronn
Ab dem Jahr 1921 entwickelte das Gefängnis zur Beschäftigung seiner Insassen eine Landwirtschaft samt einer Schweinezucht. Foto: JVA Heilbronn  Foto: privat

Wer in den Unterlegen der JVA über die Vergangenheit stöbert, stößt auch auf weitere abstruse Themen: Zwischenzeitlich gab es in der Anstalt beispielsweise eine Schweinezucht. Zur Beschäftigung der Insassen wurde eine Landwirtschaft mit Gärtnerei entwickelt. Wegen des Gestanks, besonders an heißen Sommertagen, häuften sich Beschwerden von Anwohnern. Etwa um das Jahr 1943 kamen die Tiere weg.

Matratzen aufgestellt wegen Überbelegung

Einen Einblick in frühere Zeiten kann Ernst Steinbach geben, der seit 1975 in der JVA Heilbronn beschäftigt war, von 1999 bis 2006 als Vollzugsdienstleiter. Viele Themen seien damals aufgekommen, unter anderem war das Gefängnis überbelegt. "Das war gewaltig", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein Bett, Waschbecken, Stuhl und Tisch: So sieht eine Zelle für Gefangene heute aus. Derzeit sind in der JVA Heilbronn 330 Männer inhaftiert.
Fotos: Archiv
Ein Bett, Waschbecken, Stuhl und Tisch: So sieht eine Zelle für Gefangene heute aus. Derzeit sind in der JVA Heilbronn 330 Männer inhaftiert. Fotos: Archiv  Foto: Berger, Mario

Zu Hochzeiten seien 550 Gefangene in der Anstalt untergebracht gewesen, Matratzen mussten ausgelegt werden, weil alle Zellen belegt waren. Ab Oktober 1990 duften auch weibliche Bedienstete in der JVA arbeiten. Gefangene aus anderen Kulturkreisen wollten sich von Frauen nicht einschließen lassen. "Es hat eine Zeit lang gebraucht, bis sich alles eingespielt hat", sagt Steinbach.

Weil sich im ersten Halbjahr 1988 die Ausbrüche gehäuft hatten, musste in Sachen Sicherheit nachjustiert werden. Unter anderem hatte sich ein Häftling in einem schreibtischgroßem Pappkarton versteckt und so die Anstalt als Frachtgut einer Spedition verlassen. Kurze Zeit später sägte ein zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilter Raubmörder die Gitterstäbe seines Zellenfensters durch und seilte sich über die Mauer ab. 1995 wurden die Außenmauern erhöht und mit Mauerkronen versehen.

 


 

Jubiläum light geplant

Dagegen erscheint die heutige Einrichtung wie Luxus: So sah eine Zelle für Gefangene etwa um das Jahr 1960 aus.
Foto:JVA Heilbronn
Dagegen erscheint die heutige Einrichtung wie Luxus: So sah eine Zelle für Gefangene etwa um das Jahr 1960 aus. Foto:JVA Heilbronn  Foto: privat

Ein "Jubiläum light" soll in den nächsten Monaten den 150-jährigen Männervollzug in den Fokus nehmen, kündigt Anstaltsleiter Andreas Vesenmaier an. Unter anderem ist ein Tag der offenen Tür für Angehörige von Mitarbeitenden und ein ökonomischer Festgottesdienst für die Gefangenen geplant.

Das Gefängnis heute

Andreas Vesenmaier leitet die JVA Heilbronn seit März 2019.
Andreas Vesenmaier leitet die JVA Heilbronn seit März 2019.  Foto: Berger, Mario

Heute umfasst das Gelände der Justizvollzugsanstalt 3,5 Hektar. Es gibt zwei Außenstellen für den offenen Vollzug: ein Freigängerheim sowie die landwirtschaftlichen Außenstelle Hohrainhof mit Weinbau, wo Gefangene mit guter Sozialprognose leben und arbeiten und sich auf das Leben in Freiheit vorbereiten. Außerdem gibt es Werkbetriebe, Sporthalle und Sportplatz und ein Gitterlädle.

 
Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben