Psychische Krankheit und Gewalt: Weinsberger Chefarzt klärt über Amok-Täter auf
In Mannheim war ein Mann mit einem Auto in Menschen gerast. Welche Rolle psychische Erkrankungen bei solchen Taten spielen, sagt Dr. Daniel Brenig vom Weissenhof in Weinsberg.
Ein 40-Jähriger rast am Rosenmontag mit einem Auto durch die Mannheimer Innenstadt und tötet zwei Menschen. Noch am Abend des Tattages heißt es, es gebe Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Tatverdächtigen. „Ich habe große Probleme mit Schnellschüssen“, sagt Dr. Daniel Brenig dazu. Der 41-Jährige ist Chefarzt für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Weissenhof in Weinsberg. Um festzustellen, ob eine psychische Erkrankung der Grund für eine Gewalttat ist, müsse der Täter begutachtet werden.
Etwa 18 Millionen Erwachsene sind jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen
In komplexen Fällen umfasse ein Gutachten manchmal bis zu 100 Seiten. Erklärt eine psychische Krankheit eine Amokfahrt wie in Mannheim? Hier ein paar Zahlen: In Deutschland sind jedes Jahr etwa 18 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Das ist mehr als jeder vierte Erwachsene. Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen gehören Depressionen, Angststörungen sowie Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch.
Chefarzt Brenig: Mehrheit aller schizophrenen Menschen lebt friedlich
Etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet unter einer Form von Schizophrenie, erklärt Brenig. „Bei ihnen zeigt sich unbehandelt in der Tat ein erhöhtes Risiko für Kriminalität im Allgemeinen, aber letztlich auch für Gewalttaten.“ Aber: „Die absolute Mehrheit aller schizophrenen Menschen lebt friedlich.“
Amok ist eine sehr spezielle und sehr seltene Form extremer Gewalt, erklärt der Chefarzt. Er verweist auf eine Studie aus dem Jahr 2009. Sie kam zu dem Ergebnis, dass bei etwa der Hälfte der Amokläufer psychiatrische Diagnosen aus den Kategorien psychotische, affektive und Persönlichkeitsstörungen vorlagen. „Bei akuten psychotischen Störungen, die hier am relevantesten sind, durchleben die Patienten Phasen, in denen sie beispielsweise Stimmen hören, sich verfolgt oder bedroht fühlen oder Wahnvorstellungen entwickeln.“ Brenig ist es wichtig zu betonen, dass eben bei der anderen Hälfte der Amokläufer keine psychische Erkrankung vorgelegen habe.
Bei Amok-Tätern kommen viele Faktoren zusammen
Bei schizophrenen Amok-Tätern dagegen kämen viele weitere Faktoren hinzu. „Kritisch sind etwa eine unzureichende medizinische Anbindung, Racheideen, Wut oder akute Verlusterlebnisse.“ Manche Patienten nähmen ihre Medikamente nicht ein. Andere brechen den Kontakt zu ihrem Therapeuten ab, erklärt Brenig. Weitere Faktoren, die einen Gewaltausbruch begünstigen: Drogenkonsum oder die soziale Unterstützung bricht weg. Für den Chefarzt ist es nach eigenen Angaben gut erkennbar, ob jemand eine Gefahr für sich oder andere darstellt.
„Wir gucken uns unter anderem die Vergangenheit des Patienten sehr genau an.“ Gibt es etwa eine gewalttätige Vorgeschichte? Wie ist außerdem die aktuelle Belastung? Wie wirkt der Patient? Ist er unruhig? Nimmt er Drogen? Ist seine Stimmung auffällig? Droht der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung? „Wir bedienen uns insbesondere auch spezieller wissenschaftlicher Instrumente zur Einschätzung des aktuellen und zukünftigen Risikos.“
Gewalt ist ein überwiegend männliches Phänomen
Schizophrenie ist dem 41-Jährigen zufolge in der Regel gut behandelbar. „Dann ist auch das Gewaltpotenzial meistens recht schnell gesenkt.“ Amok-Täter sind laut Brenig oft sensitive Persönlichkeiten, das heißt, sie sind feinfühlig und reagieren schnell auf äußere Reize. Sie weisen häufig eine nachhaltig verzerrte Erlebnisverarbeitung auf. Die Täter seien außerdem oft sozial desintegriert, das heißt ihnen fehlen meist feste Bindungen wie eine stabile Partnerschaft.
Gewaltdelikte gehen in den allermeisten Fällen nicht auf eine schuldmindernde psychische Erkrankung zurück, sagt Brenig. Gewalt sei „leider eine normale Facette menschlichen Verhaltens“. Und: „Gewaltkriminalität ist ein überwiegend männliches Phänomen.“ Dafür gebe es verschiedene Erklärungsansätze, sagt der Chefarzt. Ihm zufolge scheinen evolutionäre und neurobiologische Aspekte eine Rolles zu spielen genauso wie die geschlechtsspezifische Sozialisation.
Warum Frauen seltener zu Täterinnen werden
Brenig zufolge verfügen Frauen bei Frustration allgemein über andere Bewältigungsstrategien. Sie seien häufiger sozial eingebunden und suchten eher das Gespräch oder Hilfe. Relevant sei, dass Gewaltdelikte vor allem durch junge Männer begangen werden. Dabei spiele die Hirnreifung eine Rolle. So dauere es fast bis zum 30. Lebensjahr, bis im Gehirn die Areale für Verhaltenskontrolle vollständig ausgereift sind.