"Letzte Generation" vor dem Landgericht Heilbronn: Keiner will sich mehr auf die Straßen kleben
Vor rund anderthalb Jahren hat das Amtsgericht Heilbronn sechs Aktivisten der "Letzten Generation" wegen Straßenblockaden unter anderem zu Gefängnisstrafen verurteilt. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht erklärten die Beschuldigten jetzt, warum sie sich nicht mehr auf die Straße kleben werden.
Rund anderthalb Jahre nach den Heilbronner Urteilen gegen Klimaaktivisten der "Letzten Generation" fand am Dienstag die Berufungsverhandlung vor dem Heilbronner Landgericht statt. Drei der insgesamt sechs Angeklagten waren Anfang 2023 in zwei Prozessen vom Heilbronner Amtsgericht wegen Nötigung zu mehrmonatigen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Die anderen Beschuldigten erhielten damals Geldstrafen. Auch der Berufungsprozess wurde von einer Mahnwache einer Handvoll Klimaaktivisten vor dem Landgericht begleitet.
Geläutert zeigten sich die Beschuldigten am Dienstag vor der vierten Kleinen Strafkammer des Landgerichts. Keiner von ihnen werde nochmals an einer Straßenblockade teilnehmen und sich auf den Asphalt kleben, so die sechs Angeklagten unisono.
Klimaaktivisten der "Letzten Generation" vor dem Landgericht Heilbronn: Strategiewechsel im Kampf gegen Klimawandel
Die Motive für diese Abkehr waren indes unterschiedlich. Während mehrere Angeklagte der "Letzten Generation" komplett den Rücken gekehrt haben, begründete der Hauptangeklagte Daniel E. seinen Sinneswandel damit, dass die "Letzte Generation" einen Strategiewechsel vorgenommen habe. Demnach seien Straßenblockaden mit Klebstoff nicht mehr Bestandteil des Kampfes gegen den Klimawandel. Daniel E. wurde im vergangenen Jahr vom Amtsgericht innerhalb von sechs Wochen zu Freiheitsstrafen von drei und fünf Monaten ohne Bewährung verurteilt.
Richter am Landgericht bewertet die Urteile des Amtsgericht als extrem hart
Sowohl die Beschuldigten als auch die Staatsanwaltschaft hatten gegen die Urteile des Heilbronner Amtsgericht Berufung eingelegt. Vom prozessualen Verlauf her sehe er wenig relevante Rechtsfehler, sagte der Vorsitzende Richter Thilo Kurz. "Aber die Urteile sind auch aus damaliger Sicht extrem hart. Das ist nicht von der Hand zu weisen", so der Richter eingangs der Beweisaufnahme. "Beeindruckt" sei er von den Einlassungen der Angeklagten, so Kurz.
Rüdiger E., der nach dem ersten Urteil des Amtsgerichts Anfang März 2023 noch am selben Tag erneut in der Neckarsulmer Straße den Verkehr blockierte, habe die Sinnlosigkeit dieser Form des Protestes eingesehen. "Ich bin schon lange kein Mitglied mehr und habe auch keinen Kontakt mehr zu jemanden von denen", sagte der derzeit arbeitslose Altenpfleger. Bereits in der Verhandlung im April vergangenen Jahres hatte er betont, mit der "Letzten Generation" nichts mehr zu tun zu haben.
Mit den Aktionen im Namen der "Letzten Generation" habe er die Menschen auf den Klimawandel aufmerksam machen wollen, so Rüdiger E. "Ich musste aber feststellen, die Leute wissen Bescheid, wollen aber nichts ändern. Das muss ich heute eben akzeptieren."
Hauptangeklagter hat eine Reihe von Gerichtsverfahren wegen Nötigung laufen
Der Hauptangeklagte Daniel E., gegen den eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren wegen Nötigung laufen und der seine Geldstrafen mit Sozialstunden abarbeitet, sehe in den Richtersprüchen des Amtsgerichts keine Verhältnismäßigkeit. Er zählte eine Reihe von Beispielen auf, die verheerende Folgen des Klimawandels seien. "Was sind dagegen 20 Minuten Verkehrsstörung?", fragte er.
Nach mehreren Verhandlungspausen einigten sich die Anwälte und die Erste Staatsanwältin Natalia Sterz nach rund sechsstündiger Verhandlung darauf, die Berufung auf die Rechtsfolgen zu beschränken. Demnach konnte Richter Kurz die wartenden Zeugen unverrichteter Dinge nach Hause schicken und die Beweisaufnahme schließen.
Zuvor hatte Kurz zwar nicht ausgeschlossen, dass auch in der Berufungsverhandlung Haftstrafen im Raum stehen - die Anwälte plädierten auf Geldstrafen. Der Vorsitzende Richter deutete aber mehrfach indirekt an, dass mögliche Haftstrafen wahrscheinlich auf Bewährung ausgesetzt werden könnten.
Die sogenannte Berufungsbeschränkung auf die Rechtsfolgen
Im Gegensatz zu einem Revisionsverfahren, bei dem Urteile auf prozessuale Fehler geprüft werden, beginnen Berufungsprozesse noch einmal ganz von vorne. Bei einer Berufungsbeschränkung auf die Rechtsfolgen erklären die in Berufung gegangenen Parteien, dass sie die Ergebnisse der Beweisaufnahme des ersten Prozesses anerkennen. Ihr Widerspruch beschränkt sich damit auf die Höhe des Urteilsspruches, also die Rechtsfolgen für den Angeklagten. Damit kann die Berufungsinstanz die Beweisaufnahme abschließen, Plädoyers sowie die letzten Worte der Beschuldigten hören und ein Urteil sprechen.



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