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Ladendiebstahl ein "Massenphänomen": Im Raum Heilbronn wird immer mehr geklaut

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Betroffene Händler im Raum Heilbronn klagen über verheerende finanzielle Schäden durch Ladendiebstahl. Offenbar sind immer mehr Banden aktiv.

Ein Ladendetektiv sitzt vor Überwachungsmonitoren eines Supermarktes.
Ein Ladendetektiv sitzt vor Überwachungsmonitoren eines Supermarktes.  Foto: Boris Roessler

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Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Es wird immer mehr geklaut. Um mehr als ein Drittel ist die Zahl der Ladendiebstähle im Bereich des Polizeipräsidiums Heilbronn 2023 im Vergleich zu 2022 gestiegen. Im Stadtkreis Heilbronn lag das Plus bei einem Fünftel, im Landkreis hingegen bei rund 47 Prozent. Langfinger haben es laut Pressestelle vor allem auf Nahrungsmittel, Alkohol und kosmetische Erzeugnisse abgesehen, gefolgt von Getränken, Süßigkeiten, Hygieneartikeln, Tabakwaren und Bekleidung. 

1418 Tatverdächtige im vergangenen Jahr waren in Heilbronn sowie in den Landkreisen Heilbronn, Hohenlohe, Main-Tauber und Neckar-Odenwald Erwachsene, 139 zwischen 18 und 21 Jahren. 336 Kinder wurden beim Klauen erwischt sowie 485 Jugendliche. "Es ist davon auszugehen, dass eine große Anzahl der Delikte unentdeckt bleibt oder nicht bei der Polizei angezeigt wird", heißt es zur Frage nach der Dunkelziffer aus dem Präsidium. 

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Ladendiebstahl im Kreis Heilbronn nimmt zu – Detektive lohnen sich

"Ohne Ladendetektiv geht es gar nicht", macht Jörg Sembritzki, Geschäftsführer von Galeria Kaufhof Heilbronn deutlich. Dessen Einsatz lasse sich wirtschaftlich darstellen, das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei positiv. Fast jeden Tag werde im Kaufhaus ein Ladendieb gestellt, quer durch alle Altersgruppen, wobei Sembritzki unter den Tätern weniger Rentner ausmacht. Die ursprüngliche Diebstahlsklientel habe sich ausgeweitet, beobachtet er. 

Vor allem an seinem Standort am Südbahnhof macht Steffen Ueltzhöfer, Inhaber von sieben Edeka-Märkten in der Region, junge Männer als Täter aus. "Es wird auf keinen Fall besser", meint er zu dem "echt großen und sehr ärgerlichen Thema" Ladendiebstahl, mit dem der Handel befasst sei. Er spricht von einem konstant hohen Niveau.

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Darum gibt es immer mehr Ladensiebstähle auch im Kreis Heilbronn

Galeria-Geschäftsführer Sembritzki erkennt zwei Gründe für den Anstieg der Ladendiebstähle: Das habe zum einen mit der wirtschaftlichen Krise zu tun. "Jeder einzelne merkt das in der Brieftasche." Deshalb nehme der Druck zu und die Bereitschaft ab, Abstriche beim bisherigen Lebensstandard zu machen.

Mit der steigenden Inflation hat der Eppinger Edeka-Marktleiter Alexander Sommer vermehrt leere Packungen in seinen Regalen entdeckt. "Früher war der Respekt vor fremdem Eigentum viel größer", beobachtet der Galeria-Geschäftsführer, dass selbst in der gesellschaftlichen Mitte nicht mehr zwischen Dein und Mein getrennt werde. Alexander Sommer spricht von einem komplexen Thema und fügt Sembritzkis Äußerungen noch egoistisches Denken hinzu.

Hohe Kriminalität in Heilbronn – Nicht jeder Händler zeigt konsequent an

Sembritzki erstaunen die Kriminalitätsstrukturen in Heilbronn als mittelgroßer Stadt. "Das hat schon Großstadtniveau", meint er. "Die Banden ziehen nicht an Heilbronn vorbei", berichtet er von seinen Erfahrungen.  Zahlen zu bandenmäßig organisierten Gruppen kann die Polizei nicht liefern, sondern nur nicht alleinhandelnde Tatverdächtige. Ein Rückschluss lässt sich da nicht ziehen.

Immer wieder werden laut Steffen Ueltzhöfer auch seine Lebensmittelmärkte von Banden, "speziell aus Osteuropa", heimgesucht, die Waren in höchsten Größenordnungen stehlen. Etwa hochwertige Spirituosen, die diese gut absetzen könnten. "Wir haben auch ein Netzwerk unter Kollegen und Detekteien", sagt er. So dass sich schnell solche Vorfälle unter den Kollegen verbreiteten, und man umso aufmerksamer sei. 

Wer bei Galeria lange Finger macht, der wird konsequent angezeigt. "Es gibt keine Abwägung", betont  Geschäftsführer Sembritzki, egal ob ein Dieb sich reumütig zeigt, Hausverbot kriegt er obendrein. Thorsten Frank, der den Edeka-Markt in Flein betreibt, unterscheidet. Bei Kindern informiert er in der Regel nicht die Polizei, verständigt stattdessen die Eltern. Die seien in der Mehrzahl schockiert, überrascht und kurz auch überfordert.

"Es sind nur ganz wenige Ausnahmefälle, bei denen sich herauskristallisiert, dass das Kind schon länger ein Problem hat", erzählt Frank. Bei älteren Jugendlichen wägt der Marktbetreiber ab: Wie ist deren Verhalten und wie hoch der Wert des Diebesguts?

Detektive und Videoüberwachung: Sicherheitsvorkehrungen schrecken Diebe nicht ab

Videoüberwachung, Detektive, Diebstahlsicherungen: All das scheint Langfinger nicht abzuschrecken. Steffen Ueltzhöfer erzählt von Kollegen, die sogar schon Security beschäftigten. Wenn man sich einmal entschieden habe, zu stehlen, fände man Mittel und Wege, Schwellen zu überschreiten, glaubt Galeria-Geschäftsführer Sembritzki.

Wenn er jeden Ladendiebstahl zur Anzeige bringen würde, würde er nur noch vor Gericht sitzen, sagt Alexander Sommer. "Es lohnt sich nicht." Denn weder bekomme er als Zeuge seine Arbeitszeit voll ersetzt noch den Wert des Diebesguts erstattet. "Es kommt nichts bei rum." 

"Es ist schlimm, dass das nicht geahndet wird", sagt Steffen Ueltzhöfer. Für ihn ist es unfassbar, dass von Seiten der Justiz Ladendiebstahl nur als Kavaliersdelikt angesehen werde, kritisiert er. Wenn er Rückmeldungen auf seine Anzeigen erhielte, dass die Verfahren mangels öffentlichem Interesse eingestellt würden, "dann ist das eine Ohrfeige".

Tausende Euro finanzieller Verlust durch Ladendiebstahl

Zahlen wollen die von uns befragten Geschäftsleute nicht nennen. "Etliche tausend Euro, fünfstellig auf jeden Fall", lautet die Angabe von Sommer zu dem Verlust, den Ladendiebstahl in seinem Markt in Eppingen verursache. Sein Fleiner Kollege Thorsten Frank spricht von einem schmerzhaften fünfstelligen Betrag im unteren Bereich.

Die Dimension der Inventurdifferenz ist bei Galeria ungleich größer. "Zahlen sage ich Ihnen keine", antwortet Jörg Sembritzki. Dennoch gibt er so viel preis: "Letztes Jahr war verheerend." Steffen Ueltzhöfer gibt eine Größenordnung von einem Prozent des Umsatzes an. Das kann er aus der Inventur und dem Warenwirtschaftssystem entnehmen. "Es geht in den siebenstelligen Bereich", sagt er zu den Verlusten.

Die Staatsanwaltschaft Heilbronn erfasst das "Massenphänomen", wie Christiana Triaa es formuliert, nicht gesondert, kann deshalb keine Angaben machen, wie viele dieser Straftaten pro Jahr bei der Justizbehörde landen. Das Kölner Landesforschungsinstitut EHI vermeldet, dass 98 Prozent der Langfinger ungestraft davonkämen. Das deckt sich in etwa mit Sembritzkis Erfahrungen: Von zehn Rückmeldungen, die er auf seine Anzeigen erhält, würden neun nicht weiterverfolgt.

Meist keine strafrechtlichen Konsequenzen bei Ladendiebstahl

In wie vielen Fällen das bei der Heilbronner Staatsanwaltschaft geschieht, auch dazu liegen keine Zahlen vor. Das hänge vom Einzelfall ab, so die Auskunft, von Faktoren, wie dem Wert des Diebesgutes oder der strafrechtlichen Vorbelastung des Täters. Einem Beschuldigten werde bei einer "Einstellung aus Opportunitätsgründen" aber mitgeteilt, dass er bei erneuter Straffälligkeit mit einer Verfolgung zu rechnen habe. Für einen "klassischen Diebstahl" können Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren verhängt werden, bei schwerem Diebstahl sind es drei Monate bis zehn Jahre, bei Diebstahl mit Waffengewalt oder Bandendiebstahl sechs Monate bis zehn Jahre. 

"Das Signal ist klar: Man kann sich als Dieb alles erlauben", kommentiert Alexander Sommer, dass Taten meist ohne strafrechtliche Konsequenzen bleiben. "Solange die Leute nicht bestraft werden, machen sie weiter." Zumindest Sozialstunden hält er für angebracht. "Etwas, das weh tut." Die Nachverfolgung ist aufwendig, ist Sembritzki bewusst, dass diese zu Überlastung führen könne. "Ich muss es akzeptieren", meint er zur gängigen Praxis. "Ich kann der Gerichtsbarkeit und der Rechtsprechung nur vertrauen."

Statistisch gesehen entfallen jährlich auf jeden Bundesbürger Waren im Wert von 34 Euro, die nicht bezahlt werden. Das hat das EHI, ein Forschungs-, Bildungs- und Beratungsinstitut für den Handel und seine Partner in Köln, ermittelt. Die Verluste im Einzelhandel durch Ladendiebstahl seien 2023 weiter um 15 Prozent gestiegen, summierten sich auf 4,1 Milliarden Euro, die Kundschaft, Mitarbeiter oder Lieferanten deutschlandweit verursachten. Davon entfielen allein 2,82 Milliarden auf Ladendiebe. Der Volkswirtschaft sei durch entgangene Umsatzsteuer durch Langfinger ein Schaden von 560 Millionen Euro entstanden.  Um mehr als ein Fünftel stiegen laut polizeilicher Kriminalstatistik die Ladendiebstähle auf 426.069 Fälle. 

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