Von Pferderennen bis Jürgen Klinsmann: Drei Leingartener erinnern sich an den Käsritt
Der Käsritt kehrt am 12. September zurück. Drei Leingartener berichten von Entstehung, Wandel, besonderen aber auch unschönen Momenten des traditionsreichen Stadtfests.
„Hier sitzt die pure Expertise, was den Käsritt angeht“, sagt Fritz Eichholz, Leiter des Heimatmuseums Leingarten, mit einem Augenzwinkern. Doch er, Wolfgang Reuther – Ausschussmitglied im Museum – und Fritz Ritter, ehemaliger Gemeinderat, wissen tatsächlich viel über das Leingartener Stadtfest.
Leingartener Käsritt kehrt nach achtjähriger Pause zurück
Nach acht Jahren Zwangspause – bedingt durch Corona-Pandemie und Bauarbeiten – findet der Käsritt vom 12. bis 15. September wieder statt. Die wichtigsten Informationen für Besucher vorab.
Enthusiastisch treffen sich die drei gerade fast täglich im Heimatmuseum. Die bevorstehenden Festtage haben bei ihnen das Käsritt-Fieber entfacht. „Wir durchforsten unseren Fundus, haben bereits Bilder und Zeitungsartikel aus den Anfängen von 1950 gefunden“, erzählt Fritz Eichholz. Unterstützt wird das Museum von Fritz Ritter, der mit professioneller Technik alte Dias digitalisiert und bearbeitet. „Rund 1000 sind es bislang“, so Ritter.
Mit dem Käsritt aufgewachsen – Leingartener über Entstehung, Wandel und Erinnerungen
Zu vielen dieser Bilder können Eichholz und Reuther Geschichten erzählen: „Meine Familie hat schon immer beim Käsritt mitgeholfen – ich bin mit dem Fest aufgewachsen“, sagt Reuther. Fritz Eichholz selbst hat den Käsritt zudem zehnmal mitorganisiert. „Vom Thema des Festzugs bis zur Bewirtschaftung – zwei Jahre Planung steckten da drin“, erinnert er sich. In Spitzenzeiten koordinierte er bis zu 1200 freiwillige Helfer.

Eichholz, Reuther und Ritter haben die Anfänge des Käsritts 1950 miterlebt, prägten das Fest durch Planung, unterstützten tatkräftig oder begleiteten es als kritische Beobachter. Sie berichten von Entstehung, Wandel, besonderen aber auch unschönen Momenten des traditionsreichen Stadtfests.
Die Entstehung des Käsritts in Leingarten
Der Käsritt geht auf ein Weiderecht des Ritterguts Hipfelhof bei Frankenbach an die Großgartacher Bauern zurück. Nach Streitigkeiten gaben die Bauern das Recht auf und erhielten im Gegenzug jährlich zwei Laibe Käse – ein Anlass zum Feiern im Dorf. Im Umland bekamen die Großgartacher jedoch den Spottnamen „Käsbuben“, weshalb der Brauch 1835 einschlief.
1950 belebte Künstler Richard Herda-Vogel den Brauch neu – als Gemeindefest mit Festzug, Pferderennen und künstlerischen Darbietungen. „Eigentlich nur als Werbegag“, meint Fritz Ritter. „Man wollte den Weinverkauf ankurbeln“, ergänzt Eichholz. Doch das Fest fand großen Anklang, bis heute.

Käsritt in Leingarten: Veränderungen über die Jahre
„Da gibt es einiges zu erzählen“, sagt Fritz Eichholz. Der erste Käsritt 1950 fand nicht auf dem heutigen Festplatz, sondern auf dem Großgartacher Wasen statt – dort, wo heute die Firma Dautel steht. Anfangs wurde das Fest zudem jährlich gefeiert. Heute findet der Käsritt in der Regel alle drei Jahre statt.
Der Ablauf blieb über lange Zeit konstant: Festumzug, Ritt zum Hipfelhof, Pferderennen, Programm auf dem Festplatz, Festzelt und schließlich der Zapfenstreich mit Reiterquadrille. Einzelne Programmpunkte verschoben sich jedoch im Laufe der Jahre. So setzte sich Eichholz lange dafür ein, den Zapfenstreich separat am Montag stattfinden zu lassen – zuvor war er sonntags angesetzt.
„Die Reiter klagten immer, dass ihre Pferde nach Umzug und Rennen erschöpft waren.“ Doch die Bevölkerung wollte an der Tradition nichts ändern – bis es an einem Sonntagabend regnete. „Dann wurde der Zapfenstreich auf Montag verschoben, und das blieb so.“
Was den Leingartener Käsritt besonders macht
Die Augen von Wolfgang Reuther weiten sich: „Der Käsritt war für uns seit der Kindheit etwas ganz Besonderes.“ Vor allem die Festumzüge seien für ihn bis heute der Höhepunkt der Festtage – „Der Mottoumzug Theater der Welt 2009 – einer der besten Umzüge, die ich je gesehen habe.“
„Schon als Kind hörte ich, dass man als Leingartener beim Käsritt mitmachen muss – das gehört zur DNA hier“, sagt Eichholz. Die Kombination aus Historie, aufwendigen Festumzügen und Nervenkitzel beim Pferderennen zieht nicht nur Leingartener an. Letztgenanntes könnte jedoch dauerhaft entfallen.

Hat der Leingartener Käsritt noch Zukunft?
„Ehrlich gesagt war ich nie ein Fan des Käsritts“, sagt Fritz Ritter. Ihm missfällt der mittelalterliche Ursprung, bei dem „arme Bauern beim Hipfelhof Käse abholen“. „Auf dem Leid von Bauern ein Stadtfest aufzubauen – schwierig“, findet er. Auch der traditionelle Spruch, den die Reiter am Hipfelhof aufsagen, stößt ihm auf: „Wir wollen alles beim Alten belassen und nichts Neues aufbringen.“ Ritter meint: „Ich stehe für Veränderung.“
Zudem sieht er durch Sicherheitsauflagen und den Wegfall von Pferden beim Umzug und Rennen die Grundlage des Festes in Gefahr. „Käsritt ohne Pferde – das ergibt wenig Sinn.“ Er zweifelt daran, dass die Stadt Leingarten das Fest dauerhaft stemmen kann: „So ein Fest schluckt viele Ressourcen, und die Kommunen haben kaum noch Geld.“ Bürgermeister Ralf Steinbrenner zeigt sich bislang jedoch zuversichtlich, dass das Fest regelmäßig weitergeführt werden kann.
Jürgen Klinsmann im Festzelt beim Leingartener Käsritt
Viele denkwürdige Momente sind den dreien im Gedächtnis geblieben. „Das Käsritt-Rennen zu gewinnen, war natürlich für die Reiter das Größte“, erzählt Eichholz – und erinnert sich an lange Feiernächte auf den Höfen der Sieger.
Auch im Festzelt gab es besondere Höhepunkte: Die Puhdys und die Spider Murphy Gang traten auf. Eine Geschichte blieb besonders hängen: „Jürgen Klinsmann war einmal im Festzelt, zahlte Eintritt wie jeder andere“, erinnert sich Eichholz. „Auf der Bühne stand Wolle Kriwanek – aber plötzlich wollte niemand mehr etwas von ihm wissen. Alle standen nur noch um Klinsi herum.“ Eichholz lacht: „Später fragte er mich: ‘Du, meinst du, ich könnte auch so einen guten Wurstsalat bekommen?’ Der ging dann aufs Haus.“

Bei Käsritt-Rennen an einer Tragödie vorbei gekratzt
Wo gefeiert wird, kann auch etwas schiefgehen – darüber sind sich die drei einig. „Ich war immer erleichtert, wenn das Rennen unfallfrei über die Bühne ging“, sagt Eichholz als ehemaliger Organisator.
Ritter erinnert sich an einen schweren Sturz beim Rennen und ein Pferd, das beim Umzug in Panik ausschlug und beinahe ein kleines Mädchen traf. „Das wäre eine Tragödie gewesen“, sagt Ritter. Damals fehlten viele der heutigen Sicherheitsvorkehrungen, findet er. Umso mehr Glück hatte man, dass nie etwas wirklich Schlimmes passierte.
Genau eine Woche vor Beginn des Käsritts gab es im Leingartener Kulturzentrum eine Pre-Opening-Veranstaltung der Lokalen Agenda 21.