Wie Schulen ausgewählt werden, erklärt das Kultusministerium Baden-Württemberg. Zum Zug kommen Schulen, „die basierend auf den verschiedenen Sozialindex-Werten die höchste Belastung aufweisen“. Bewertet wird unter anderem: Wie hoch ist der Anteil an Kindern und Jugendlichen aus Familien, die Sozialleistungen beziehen oder die keinen Schulabschluss haben? Wie viele Kinder haben einen Migrationshintergrund, wie viele kommen aus einem Haushalt mit weniger als 100 Büchern? Die Literatur gilt als ein Indikator dafür, wie bildungsnah eine Familie ist.
Hilfe bei den Hausis, Geld für eigene Krankenschwester: So hilft das Startchancen-Programm Schulen in Heilbronn und Kirchardt
Bund und Baden-Württemberg investieren jeweils 1,3 Milliarden Euro in das Startchancen-Programm. Zehn Jahre lang fließt das Geld an Schulen, die es am nötigsten haben und wo Kinder mit hohem Bedarf unterrichtet werden. Auch Bildungsstätten in der Region profitieren davon.

Um kurz vor 14 Uhr kommt vergnügt ein Grundschüler auf den Hof der Birkenbachschule, grüßt freundlich Rektorin Dagmar Markovic und geht fröhlich weiter in Richtung eines Raums ganz am anderen Ende des Schulhauses. Diese zufällige Begegnung an einem Dienstagnachmittag hat Symbolkraft: Der Junge kommt aus dem Teilort Berwangen, wo er die Grundschule besucht. Mit dem Bus fuhr er allein nach Kirchardt, um dann noch ein paar Minuten Hausaufgaben-Betreuung zu haben. Er muss nicht dorthin, die Lehrer haben es den Eltern nur empfohlen, und die stimmten zu. Sie sagten ja zu einem Angebot, dass es erst seit Ende der Osterferien gibt – dank des Startchancen-Programms von Bund und Ländern.
Die Birkenbachschule in Kirchardt gehört zu den ersten Schulen in der Region, die in die Förderung gerutscht sind. Sie erhält Geld für zusätzliches Personal, für Material, für besondere Maßnahmen, von denen die Schulgemeinschaft profitieren kann. Antimobbing-Training soll kommen, ein Kurs zur Selbstbehauptung ebenfalls. Auch eine Tanzwoche mit großem Schulfest am Ende sei im Gespräch, sagt die Rektorin. Auch für zusätzliches Material wie spezielle Stifte und besondere Bücher gibt es Geld.
Startchancen-Programm in Kirchardt: Birkenbachschule bekommt mehr Geld
Maßnahme und Angebote, die es so vermutlich in Kirchardt nicht gäbe – weil sie aus dem normalen Schulbudget nicht zu bezahlen sind, weil die Bildungsstätte keine reichen Förderer hat, die spontan einspringen. Hier setzt die Bildungspolitik nach eigenen Angaben an. Das erklärte Ziel: Jene Kinder sollen durch Startchancen stärker gefördert werden, die es schon schwer haben.
Kirchardt weiß um die Chancen, die erst durch die Unterstützung von Bund und Land möglich sind. „So etwas können wir uns allein nicht leisten“, sagt Dagmar Markovic. Dank der Startchancen-Förderung sieht das anders aus. Wie viel Geld in den Kraichgau-Ort fließt, dazu hält sich die Rektorin bedeckt. „Schon viel“, sagt sie nur.
So helfen Frauen bei den Hausaufgaben
Vier Tage pro Woche findet an der Schule nach dem Unterricht die Hausaufgabenbetreuung statt, zwei bis drei Erwachsene stehen den Kindern hier jeweils zur Seite. Dazu gehören unter anderem Nure Simon und Miriam Agirmann, die vormittags für die Akademie für Innovative Bildung und Management (AIM) zur Sprachförderung vorbeikommen und dann noch Stunden für die Hausaufgaben-Hilfe dranhängen.
In diesen Zeit können sich Kinder an die Frauen wenden, wenn sie mit den Aufgaben nicht klarkommen. Selbst wer sich nicht meldet, geht nicht unter. Denn die Erwachsenen haken nach. Ist wirklich alles klar? Sie wollen sicher gehen, kein einziger soll durchs Raster fallen.
Manche Kinder bekommen zu Hause wenig Unterstützung
„Es ist ein großes Plus für die Kinder“, sagt Miriam Agirman. Den Schülern kann jemand bei den Hausis helfen. Anders als zu Hause, wissen die Hausaufgabenbetreuerinnen, wo unter Umständen niemand unterstützend zur Seite steht, weil die Zeit fehlt. Und wo das Arbeiten manchmal schwerfällt, weil es zu laut ist.
Bei Hausaufgaben kämen die Kinder gut voran, sagt Miriam Agirmann. Manchmal helfen sogar die Schnelleren dann jenen, die Unterstützung benötigen. Oder sie erhalten zusätzliches Material, um noch mehr zu üben. „Die Lehrer haben uns mit Ordnern ausgestattet.“
Lehrer haben wieder mehr Zeit fürs Wesentliche
Dass die meisten Kinder nun tatsächlich die Hausaufgaben machen, kommt am Ende den Lehrern im Unterricht zugute. Sie müssen nicht mehr bei vielen Schülern nach den Aufgaben schauen, sie können gleich mit dem Stoff weitermachen. „Es bleibt mehr Zeit fürs Wesentliche“, sagt Dagmar Markovic.
Zum Startchancen-Programm in Kirchardt gehört ebenfalls eine Leseförderung an zwei Tagen unter der Woche. Und auch einen Studenten als zusätzliche Unterstützung für den Unterricht kann sich die Schule leisten. „Er ist bei den Kollegen gefragt“, weiß die Rektorin. Er ist mal als zweite Person im Unterricht, mal nimmt er ein paar Schüler in einer Gruppe heraus, um gezielt mit ihnen weiterzuarbeiten. „Er ist eine Unterstützung“, freut sich die Rektorin über die Hilfe an drei Tagen pro Woche. Eine solche Förderung könne kein Lehrer leisten, wenn er mit 28 Kindern allein ist.
Einige Schulen in der Region Heilbronn profitieren davon
Startchancen hat in zwei Tranchen Schulen in der Region Heilbronn aufgenommen. Im ersten Schwung kamen überwiegend Schulen in der Stadt Heilbronn zum Zug, sowie die Taläcker-Grundschule in Künzelsau, die Amorbachschule in Neckarsulm sowie die Birkenbachschule. In der zweiten Runde folgten unter anderem die Grundschule in Rot in Eppingen, die Mühlental-Grundschule in Bad Rappenau-Zimmerhof sowie die Grundschule in Möckmühl-Züttlingen.
Die Dammrealschule in Heilbronn profitiert ebenfalls vom Startchancen-Programm. Lücken schließen, die in der Schulentwicklung entstanden seien: Darum geht es laut Rektor Slawomir Siewior beim Programm. Die Schule wolle nicht einfach Geld ausgeben, die Projekte sollten gut sein. Deshalb gebe es derzeit noch keine Maßnahme, die laufe. Man sei aber dabei, zusammen mit der benachbarten Grundschule eine Schulgesundheitsfachkraft einzustellen – oft Schulkrankenschwester genannt.
Dammrealschule und Dammgrundschule in Heilbronn wollen eigene Krankenschwester bezahlen
Viele Kinder kämen nicht zum Unterricht, dafür gebe es viele Ursachen, so Rektor Slawomir Siewior. Akut erkrankte Schüler bekämen Hilfe durch die Fachkraft, sagt er. Chronisch Kranke litten unter Depressionen, auch denen könne die zukünftige Mitarbeiterin weiterhelfen und beispielsweise an Fachstellen vermitteln.
Die Realschule will außerdem mit dem Startchancen-Programm Personal bezahlen, um im Unterricht „gut differenzieren“ zu können, sagt Slawomir Siewior. Sprachliche Defizite sollen dadurch aufgefangen werden, so der Rektor.
Auf Deutsch-Unterstützung setzt auch die Birkenbachschule in Kirchardt. Fast zwei Drittel der Kinder haben einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus Rumänien, Russland und der Ukraine, aus Albanien oder Kroatien, Spanier und Portugiesen sind ebenfalls vertreten. Manche sprechen Deutsch, andere bekommen in Vorbereitungsklassen gezielten Unterricht, um in Deutsch besser zu werden. Die Rektorin ist froh über die Unterstützung durch das Startchancen-Programm – auch weil die Politik damit signalisiert: Sie erkennt an, wo Lehrer bislang allein vor großen Aufgaben standen. Dagmar Markovic: „Es wird gesehen, was wir leisten.“
Zehn Jahre läuft das Startchancen-Programm. Die Hoffnung: Bei Leistungsvergleichen der Drittklässler sollen viel weniger Kinder nur den Mindeststandard erreichen, sie sollen besser werden. „Wir sind dran“, so Dagmar Markovic.



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