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Medizinische Versorgung
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"Unsere Praxen bluten aus" – Hausarzt warnt vor Privilegierung bestimmter Personenkreise

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Der Talheimer Allgemeinmediziner Stephan Roder sieht in von Investoren geführten Gesundheitszentren eine Konkurrenz zu etablierten Praxen. Personal werde jetzt schon abgeworben. 


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Gesundheitszentren oder Medizinische Versorgungszentren (MVZ) entstehen in der Nähe oder direkt in Räumen namhafter Firmen. So ist auch in Neckarsulm am Stiftsberg ein solches Zentrum geplant, das von der Sana Kliniken AG betrieben werden soll. Die Schwarz-Gruppe, so betont die Unternehmenskommunikation, vermiete lediglich die Räume.

Als niedergelassener Hausarzt und als Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung sehen Sie Gesundheitszentren mit Sorge. Warum?

Stephan Roder: Durch Investoren geführte Medizinische Versorgungszentren haben ganz andere Ziele. Sie müssen Gewinne erzielen, und das Wohl des Patienten kommt erst nachgeordnet, welches bei der hausärztlichen Medizin im Vordergrund steht.

Was ist der Unterschied zwischen einer Firma oder einem Dienstleister und einem ärztlich geführten Medizinischen Versorgungszentrum?

Roder: Allein das Wort „Dienstleister“ stört mich. Wir erbringen keine Dienste. Wir sind für unsere Patienten da, um ihre Sorgen und ihre Krankheiten zu heilen. Wenn sich ein Investoren geführtes MVZ als Dienstleister empfindet, hat das nichts per se mit einer menschlichen – also mit einer hausärztlichen oder fachärztlichen – Versorgung zu tun. Wir haben in der Tat hier verschiedene Aufgabenbereiche, Interessen und unterschiedliche Vorstellungen. Deshalb unterscheiden wir uns von den sogenannten Dienstleistern.

Also steht bei Ihnen die Versorgung der Menschen im Vordergrund, aber das ist doch eigentlich auch in einem Gesundheitszentrum so?

Roder: Das höchste Gut zwischen Patient und seinem Arzt ist das Vertrauen. Und in einem Großkonzern wird dieses Vertrauen sicherlich nicht in dem Umfang aufgebaut, wie es das in der normalen freiberuflichen Praxis gibt. Das ist der große Unterschied.

Auf einen Termin beim Arzt muss man mitunter lange warten.
Auf einen Termin beim Arzt muss man mitunter lange warten.  Foto: Monique Wüstenhagen

Manche Hausärzte haben jetzt die Sorge, dass ein Gesundheitszentrum, nehmen wir mal das Beispiel Neckarsulm, eine Konkurrenz zu örtlichen niedergelassenen Ärzten wird. Befürchten sie, auch weil Personal abgeworben wird, eine Kannibalisierung im Gesundheitswesen?

Roder: Ob man es Kannibalisierung nennen darf, weiß ich nicht, ich glaube eher Nein. Ich weiß aber aus der Erfahrung der letzten Wochen, dass es zu Existenzproblemen, ja sogar zu Ängsten kommt bei den niedergelassenen Vertragsärzten. Die Kolleginnen und Kollegen haben mich angeschrieben, standen vor der Tür, einer war sogar bei mir in der Praxis, weil sie diesen Konkurrenzkampf eines Investors, der mit ganz anderen finanziellen Mitteln ausgestattet ist, fürchten. Es heißt auch, es wird abgeworben über Headhunter, angeblich mit einer „exzellenten Vergütung“. Das betrifft auch Angestellte in unseren Praxen, wo wir ja sowieso schon Probleme haben, qualifiziertes Personal zu bekommen. Hier können wir nicht mithalten und deshalb wird es zu einem Ausverkauf der Praxen kommen.

Sie fordern eine bessere finanzielle Ausstattung der öffentlichen Gesundheitsvorsorge und Versorgung. Wie kann denn ein Privater das jetzt so viel besser machen ohne staatliche Förderung?

Roder: Großinvestoren haben grundsätzlich eine Querfinanzierung. Wenn zum Beispiel der ambulante Bereich defizitär ist, erwirtschaften sie durch mehr Operationen und, ich sage das provokativ, teilweise unnötige Operation das nötige Plus. Man darf doch hinterfragen, warum wir 300 Prozent mehr Operationen beim Katarakt, also Grauer Star, haben. Und warum wir im Vergleich zu europäischen Nachbarländern deutlich mehr operative Eingriffe haben bei Gelenkoperationen und Arthroskopien.

Wir springen jetzt mal in die Zukunft, die Zulassung ist da, das Gesundheitszentrum am Stiftsberg existiert.

Roder: Darüber entscheiden wir im Dezember.

Wie stellen Sie sich den Alltag dort vor? Hat Ihrer Meinung nach die Nennung einer Betriebszugehörigkeit oder einer bestimmten Krankenkasse Auswirkungen auf die Terminvergabe und möglicherweise sogar auf die Art der Behandlung?

Roder: In diesem Zentrum wissen wir, dass primär angedacht ist und war, die Beschäftigten der Schwarz-Gruppe vorrangig zu behandeln. In manchen Bereichen im Gesundheitswesen sind die Wartezeiten sehr, sehr lang. Dann kann ich natürlich durch ein solches ansässiges Unternehmen die Terminvergabe ganz anders steuern. Und das heißt, es wird zu einer Privilegierung von bestimmten Personenkreisen kommen. Das ist auch in Ordnung. Warum? Weil ich nämlich mit meinen eigenen Mitarbeitern und Ärzten eine andere Terminierung vorhalten kann als vielleicht in der niedergelassenen Vertragsarztpraxis. Inwieweit es dann zu einer Vermischung von Interessen des Investors kommt, weil Patienten auch Angestellte sind, das möchte ich hier nicht diskutieren, aber hier hätte ich große Sorge, dass eine Unabhängigkeit, wie wir es im ambulanten Gesundheitsbereich wollen und auch fördern, verloren geht. Deshalb gibt es ja die sogenannten Betriebsärzte, die für das Wohl der Mitarbeiter ausschließlich präventiv tätig sind und nicht dem Arbeitgeber verantwortlich sind. Die Trennung halte ich für ganz, ganz wesentlich, um auch den Mitarbeitern eine unabhängige, wirklich optimale gesundheitliche Betreuung zukommen zu lassen.

Hat das Auswirkungen auf andere Arztpraxen, nicht nur in Neckarsulm, sondern auch im Umfeld? Befürchten Sie, dass es zu einer Verschlechterung der Versorgung kommen könnte?

Roder: Ja, so wird es sein. Nehmen wir nur das Abwerben von Fachpersonal und von Ärzten. Wenn eine Arztpraxis heute mit angestellten Ärzten arbeitet, was übrigens legitim ist, da immer mehr in einer Anstellung arbeiten wollen, dann werden diese sich doch ganz klar einem Arbeitgeber zuwenden, der bessere finanzielle Bedingungen bietet. Das heißt, es bluten unsere Praxen aus, und zwar vermutlich hauptsächlich im ländlichen Bereich. Hier gibt es noch viele Einzelkämpfer. Ohne Helferin kann man keine Praxis betreiben. Die durch Investoren geführten MVZ sind die Totengräber der ambulanten Medizin. Deshalb fordern wir eine Quotierung für von Investoren geführte MVZ. Profitgier haben die niedergelassenen Vertragsärzte nicht im Sinn. Sie wollen eine gute medizinische Versorgung machen. Dass man etwas dabei verdienen muss, ist ganz klar. Aber das steht nicht in vorderster Linie. In einer Arztpraxis stehen der Mensch und die Versorgung im Vordergrund und nicht die finanziellen Interessen.

„Es wird zu einer Privilegierung von bestimmten Personenkreisen kommen.“

Stefan Roder, Allgemeinmediziner und Beirat bei der KVBW
Stefan Roder, Allgemeinmediziner und Beirat bei der KVBW  Foto: Photographer:Dirk Wilhelmy
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