Was ist das Salmenmahl?
Generalleutnant: Stärkung der Verteidigungs- und Wehrfähigkeit der Bundeswehr ist zwingendes Gebot
Gunter Schneider analysiert im Refektorium des Klosters in Bad Wimpfen die Bedeutung und Folgen des Ukraine-Kriegs für die europäische Sicherheit aus Sicht des Militärs.

Schwere Kost beim elften Salmenmahl im Refektorium des ehemaligen Rittertstifts St. Peter in Bad Wimpfen. Und das lag nicht an dem hochwertigen Vier-Gänge-Fischmenü mitsamt Amuse-Gueule, sondern an der klaren Botschaft des diesjährigen Festredners, Generalleutnant Gunter Schneider. Der Leiter der Abteilung Strategie und Einsatz des Verteidigungsministeriums zeigte dem geladenen Gästekreis um Bürgermeister Andreas Zaffran deutlich auf, was der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der sich exakt an diesem Tag zum dritten Mal jährte, aus militärstrategischer Sicht bedeutet und, welche Folgen daraus für die Sicherheit Europas und damit auch Deutschlands resultieren könnten. Eine Analyse, die die Gäste aus Politik, Wirtschaft, Gemeinderat und öffentlicher Sicherheit betroffen machte und zum anschließenden Gedankenaustausch einlud.
Gunter Schneider: „Die Lage ist sehr ernst.“
Zwischen einer Consommé von Süßwasserfischen und in Salbeibutter gebratenem Lachsfilet stellte Gunter Schneider, der seine Bundeswehr-Laufbahn 1984 begonnen hatte und unter anderem als Brigade-General in Afghanistan und als Vizepräsident im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln gedient hatte, die Situation gleich zu Beginn in klaren Worten dar: „Die Lage ist sehr ernst. Das ist keine Binse.“
Schneiders Abteilung – Militärstrategie, Einsatz sowie Operation – sei hauptsächlich dafür zuständig, alle Einsätze der Bundeswehr zu planen, zu koordinieren und zu steuern. Ob an der Nato-Ostflanke, auf dem Balkan oder in Jordanien oder dem Irak. Zudem beschäftige sich eine Unterabteilung auf strategischer Ebene ausschließlich mit dem Herstellen eines Lagebildes mit allen technischen Mitteln. Im Zentrum stehe die Frage, was aus militärischer Sicht zu tun ist, um den aktuellen Bedrohungen der Sicherheit des Landes und Europas wirksam zu begegnen. „Mir ist es wichtig, dass dies auch ausgiebig in und mit unserer Gesellschaft diskutiert und nicht nur auf den Fluren der Ministerien in Berlin erörtert wird.“ Denn eines sei laut Schneider klar: „Ohne den Rückhalt der Bevölkerung in Bezug auf die erforderlichen Maßnahmen wird es nicht gehen.“
Ukraine-Krieg: Putin will Russland als Weltmacht etablieren
Um zu verdeutlichen, in welcher sicherheitspolitischen Lage man sich derzeit befinde, ordnete der Generalleutnant im ersten Schritt den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ein. Dabei gehe es Putin weniger um die Ukraine und um neue Gebietsansprüche, sondern darum, seinen sicherheitspolitischen Einfluss in Osteuropa auszuweiten und Russland wieder als Großmacht zu etablieren – auf Augenhöhe mit den USA und China und gegen den Westen. Nach Putins Vorstellungen, sagte Schneider, müssten die Kräfteverhältnisse neu sortiert werden, wobei Russland wieder eine Rolle als Weltmacht spiele. „Der Krieg in der Ukraine ist ein Stellvertreterkrieg gegen den Westen. Es geht um eine Neuordnung Europas, wenn nicht sogar der Welt. Und dabei ist Putin jedes Mittel recht.“
All das habe sich schon Jahre zuvor angedeutet, sagte Schneider: „Wir hätten die Botschaft erkennen können, wenn wir richtig zugehört hätten“. 2007 habe Putin in seiner Rede auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz bereits die vermeintliche Freundschaft aufgekündigt. „Ein Jahr später erfolgte der Angriffskrieg auf Georgien, 2014 die Annexion der Krim. Und das sind nur die Meilensteine“, berichtete Schneider.
Sicherheit Deutschlands und Europas mit weniger Unterstützung der USA
Der Krieg in der Ukraine könnte daher eine Ausweitung auf Nato-Staaten zur Folge haben. Im Krieg gegen die Ukraine verliere Russland zwar täglich zwischen 800 und 1000 Soldaten und Unmengen an Kriegsmaterial. Schneider: „Ungeachtet dessen baut Russland aber seine militärischen Offensivfähigkeiten kontinuierlich aus.“ Putin produziere jährlich mehr Waffen und Munition als alle Nato-Staaten zusammen und baue eine Armee in Millionenhöhe auf. 2026 sollen es 1,5 Millionen Soldaten sein. „Spätestens 2029 ist Russland wieder so gerüstet, um in eine großmaßstäbliche Auseinandersetzung mit der Nato einzutreten“, erklärte Schneider.
Ein wesentlicher Faktor des Ganzen seien auch die USA. „Mit der Amtsübernahme Präsident Trumps scheint eine wesentliche Lageänderung einzutreten.“ Auch aufgrund aktueller Äußerungen der Trump-Administration müsse man sich fragen, „wie verlässlich die bisherige Sicherheitszusage der USA zum Schutz Deutschlands und Europas im Rahmen der Nato auch in atomarer Hinsicht zukünftig noch ist“. Eine Spaltung innerhalb der Nato spiele Putin nicht nur in die Hände, sondern werde auch maßgeblich von ihm forciert. „Wir sind daher gut beraten, uns darauf einzustellen, dass wir zukünftig die Sicherheit Deutschlands und Europas mit deutlich geringerer amerikanischer Unterstützung oder gar ohne sie sicherstellen müssen. Das wäre ein sicherheitspolitischer Epochenwandel.“
Bundeswehr wurde in den vergangenen 30 Jahren kaputtgespart
Als Drehscheibe für beispielsweise die schnelle Verlegung von Kräften an die Nato-Außengrenze schaue der Kreml mit einem ganz besonderen Blick auf die strategische Rolle Deutschlands. „Damit erwächst auch für uns im besonderen Maße eine Bedrohung.“ Schon jetzt werde man täglich mit hybriden Mitteln angegriffen, berichtet Gunter Schneider: „Beispiele aus diesem Jahr: Drohnensichtungen, Cyberangriffe auf militärische und zivile Einrichtungen, beschädigte Unterwasserkabel in der Ostsee und technische Manipulationen an Marine-Schiffen. Auch wenn dies alles nicht eindeutig einem bestimmten Akteur zuzuordnen ist.“
Auf der anderen Seite habe man eine Bundeswehr, die zuletzt in Zeiten des Kalten Krieges verteidigungs- und wehrfähig gewesen sei. „In den vergangenen 30 Jahren haben wir sie in eine Krisenreaktionsarmee verwandelt – personell und finanziell“, erläuterte Schneider. „Jetzt anzunehmen, so eine Armee innerhalb von nur zwei, drei Jahren wieder zu befähigen, das ist, nett gesagt, herausfordernd.“
Bundeswehr: Stärkung der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit dringend notwendig
Doch eine Alternative gebe es nicht, wenn man im Worst Case verteidigungs- und wehrfähig sein wolle: In die Bundeswehr müsse daher personell und finanziell dauerhaft wieder weiter investiert werden, die Rüstungsindustrie müsse in ein schnelleres Produzieren kommen, die Wehrpflicht wieder eingeführt und die notwendigen Infrastrukturen geschaffen werden. Der erstmals gefasste „Operationsplan Deutschland“ für den operativen Einsatz der Bundeswehr in Friedens-, Krisen- und Kriegszeiten müsse maßgeblich zivile, gewerbliche und behördliche Unterstützungsleistungen erfahren, um zu funktionieren.
Das alles müsse in kürzester Zeit passieren, denn die laufe einem bereits davon. „Ohne einen fundamentalen Wandel Russlands, der nicht zu erkennen ist, bleibt die Stärkung unserer Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit ein zwingendes Gebot und kann nur gesamtgesellschaftlich gelingen“, appellierte Schneider.
In einem Ratsprotokoll vom 28. Juni 1624 entdeckte einst der Ehrenbürger und Vorsitzende des Vereins Alt Wimpfen, Günther Haberhauer, dass die Räte der Stadt Bad Wimpfen im Dreißigjährigen Krieg ein sogenanntes Salmenmahl veranstalteten. Damals war der Lachs im Neckar noch weit verbreitet und wurde von den Apostelfischern gefangen. Man entschied, diese reichsstädtische Gepflogenheit weiterzuführen, damit sich Persönlichkeiten, die in Bad Wimpfen verwurzelt sind, bei einem Essen austauschen. Gesagt, getan: 2015 wurde die Tradition des Salmenmahls zur Wiederkehr des 1050. Talmarkts wiederbelebt.