Den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals – Gemeindetag mit offenem Brief
Gemeindetag fordert zum Tag der Deutschen Einheit „ehrliche Aufgaben- und Standardkritik“. Doch das Umsetzen der Sparzwänge vor Ort fällt schwer, wenn Standards in der Kinderbetreuung oder bei der Sanierung von Hallen und Straßen gesenkt werden müssen.
Anlässlich des Tags der Deutschen Einheit am 3. Oktober spricht Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg, in einem offenen Brief stellvertretend für die 1065 Mitgliedsstädte und -gemeinden die angespannte Lage vieler Städte und Gemeinden an und fordert Reformen. Aber auch die Verantwortung aller stellt Jäger in den Vordergrund: „Demokratie ist kein Bestellshop.“
Präsident Steffen Jäger: Mehr Verantwortung übernehmen, auch für die Verteidigung
Anhaltende internationale Krisen, der Krieg in der Ukraine und „die verschärfte geopolitische Lage“ nehmen Deutschland stärker in die Pflicht: „Wir können uns nicht mehr darauf verlassen, dass andere unsere Verteidigung übernehmen. Wir sind selbst gefordert.“ Gleichzeitig habe die „Volkswirtschaft an Schwung verloren“.
Die Folgen spüren die Städte und Gemeinden unmittelbar, so Jäger: „Sanierungen von Schulen oder Sporthallen werden verschoben, Investitionen in Klimaschutz gestrichen, Öffnungszeiten in Kitas oder Bibliotheken gekürzt. Keine dieser Maßnahmen will ein Kommunalpolitiker beschließen – doch vielerorts werden sie unvermeidlich.“
Kreispolitiker Andreas Zaffran: „Wir müssen die Standards senken!“
Den Bürgermeistern, die den Brief in dieser Woche in den kommunalen Mitteilungsblättern veröffentlichen, sagt Jäger damit nichts Neues. Der kommunale Haushalt der Stadt Heilbronn für das laufende Jahr fällt voraussichtlich noch schlechter aus als zu Jahresbeginn angenommen. Vor allem die Sozialausgaben steigen stetig an, weswegen auch Kreis-Politiker wie der Kreisrat und Bad Wimpfener Bürgermeister Andreas Zaffran fordern: „Wir müssen die Standards senken!“

Den Kommunen steht das Wasser bis zum Hals. Die Stadt Langenburg in Hohenlohe und Gundelsheim im Kreis Heilbronn brauchen immer wieder Kassenkredite, um ihre laufenden Ausgaben zu stemmen. Hier wie auch im vermeintlich reichen Neckarsulm berät eine Haushaltskommission über Sparmöglichkeiten. In Neckarsulm habe man beispielsweise durch den bei einem Bürgerentscheid abgelehnten Umbau des Schlossplatzes und eine Reihe anderer Maßnahmen über zehn Millionen Euro weniger ausgegeben, als im Haushaltsplan veranschlagt.
Der Gemeindetagspräsident fordert „eine ehrliche Aufgaben- und Standardkritik, die den Mut hat, Prioritäten zu setzen.“ Man müsse fragen: „Was kann und muss der Staat leisten – und was kann er nicht mehr leisten, ohne sich selbst zu überfordern?“
In Ilsfeld kommt mittlerweile „alles auf den Prüfstand“
Bei der Gemeinde Ilsfeld, die insgesamt mit über 50 Millionen Euro in der Kreide steht, kommt „alles auf den Prüfstand“, so Bürgermeister Bernd Bordon. Man habe zwar bei den Erträgen wie der Grund- und Gewerbesteuer nachjustiert, müsse aber dennoch sparen. Ob bei den Bauhofleistungen oder der Kinderbetreuung, Sanierungsmaßnahmen oder Einweihungsfeiern wie der Schozachtalhalle: Alles wird auf das Notwendige zurückgefahren. „Wir konzentrieren uns auf die Pflichtaufgaben.“
Leistungen und Angebote zu senken seien das eine, so die Meinung etlicher Kommunalpolitiker aus der Region. Man erwarte aber auch eine „hundertprozentige Gegenfinanzierung“, wenn Aufgaben wie der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen ab dem kommenden Jahr einfach auf die Kommunen übertragen werden, so die Gundelsheimer Bürgermeisterin Heike Schokatz.
Trotz Sparzwängen: Das Absenken lieb gewonnener Standards ist mühsam
Die finanzielle Ausstattung der Kommunen zu verbessern wäre weitaus besser als im freiwilligen Bereich zu streichen, stimmt Bordon zu. Denn: „Eine weitere Herabsenkung von Betreuungszeiten, die Schließung von Freibädern und das Zurückfahren an Leistungen für Sport, Kunst und Kultur halte ich für demokratieschädlich.“ Oder, wie es der Bad Friedrichshaller Kämmerer Alexander Preuss angesichts der über 20 Empfehlungen der Haushaltsstrukturkommission ausdrückt: „Das Absenken lieb gewonnener Standards ist ein mühsamer Prozess.“