Die Zahlen in der Region, in Baden-Württemberg und Deutschland
Flüchtlinge in der Region Heilbronn: Warum die meisten Asylbewerber aus der Türkei kommen
Aus keinem anderen Land kommen so viele Asylbewerber nach Baden-Württemberg und in die Region rund um Heilbronn wie aus der Türkei. Was sind die Gründe?
Wer vor Gewalt, Krieg und Terror flieht, findet in Deutschland Schutz. Bei Gewalt, Krieg und Terror denken viele Menschen an Länder wie Syrien oder Afghanistan, an den Irak oder auch Somalia. Dabei stellen Menschen mit türkischem Pass mit die meisten Asylanträge in Deutschland. In der Stadt und im Landkreis Heilbronn sowie im Hohenlohekreis nimmt die Zahl türkischer Asylbewerber wie in ganz Baden-Württemberg zu.
Türkische Staatsbürger stellen mitunter sogar die größte Gruppe innerhalb aller Flüchtlinge. Noch vor Syrern oder Ukrainern beispielsweise. Die meisten Anträge stammen von türkischen Kurden. Aber auch ihre Anträge werden in der Regel abgelehnt. Und das, obwohl in der Stadt Heilbronn zuletzt neue Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet werden.
Flüchtlinge in der Region Heilbronn: Unter anderem wirtschaftliche Gründe als Ursache
Wieso beantragen so viele Menschen aus der Türkei Asyl? „Das hat sicher zwei konkrete Gründe“, meint Mine Cebeci. Die 53-jährige Heilbronnerin ist Mitglied im Beirat für Partizipation und Integration der Stadt Heilbronn. Da sei zum einen die politische Situation – „Menschen, die mit dem System dort nicht klarkommen“ – und zum anderen der Mangel an beruflichen Perspektiven. Cebeci kennt die Situation in der Türkei aus Medienberichten sowie aus persönlichen Gesprächen und Begegnungen mit Menschen von dort. Wer nicht pro Erdogan gestimmt sei, erfahre Benachteiligung.
Dass gebildete Menschen das Land verließen, weil sie keine Perspektive in der Türkei sehen, sei nicht neu. Das habe vor einigen Jahren mit einer Fluchtbewegung von Ärzten und medizinischem Personal begonnen. Das sei in der Türkei diskutiert worden, berichtet Cebeci. Das habe mit schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen zu tun. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe dazu gesagt: „Sollen sie doch gehen.“ Inzwischen erlebt die Türkei einen Exodus von Akademikern.
"Sprache hilft, sich zu integrieren"
Der Heilbronner Diplom-Bauingenieur Zeki Öztas lebt seit den 1970er Jahren in Deutschland und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. „Ich persönlich kenne keine Türken, die hier Asyl beantragt haben. Aber ich denke, es kann verschiedene Gründe geben, warum man Asyl beantragen kann beziehungsweise muss", meint der 52-Jährige. Wirtschaftliche Gründe dürften dazu gehören. Es sei zunächst verständlich, dass Menschen dorthin gingen, wo es ihnen besser gehe. "Die Behörden sollten jedoch so schnell wie möglich den Status von Asylsuchenden klären. Das sei für den betroffenen Bewerber und auch für die Bürger wichtig.

Öztas kennt jemanden in der Türkei, der aus beruflichen Gründen nach Deutschland möchte. „Aber auch hier sehe ich für ihn keine Perspektive.“ Es mangele dem Mann an Sprachkenntnissen, er sei auch schon Ende 40. Wer hier arbeiten und leben möchte, sollte schon in der Türkei anfangen, Deutsch zu lernen, sagt Öztas. „Er muss sich hier ja integrieren. Nur zu sagen, ich will das, reicht nicht. Sprache hilft, sich zu integrieren."
Einwanderung wegen des deutschen Sozialsystems oder wegen des Jobverlustes?
Im Raum Heilbronn beschäftigen viele Kommunen Integrationsmanager und Integrationsbeauftragte. Initiativen und Institutionen geben geflüchteten Menschen Hilfestellung. Über das Thema türkische Asylbewerber möchten die wenigsten mit der Heilbronner Stimme sprechen. Sie befürchten Ressentiments und Stigmatisierung. In einzelnen Kommunen gibt es auch kaum welche.
Weinsberg beispielsweise hat seit dem vergangenen Jahr eine türkische Asylbewerberin in der Unterbringung, sagt Bürgermeisterin Birgit Hannemann. Die Stadt Eppingen verzeichnet im Zuständigkeitsbereich ihrer Ausländerbehörde eine mittlere zweistellige Anzahl an hier lebenden Asylbewerbern mit türkischem Hintergrund, teilt Rathaussprecherin Vanessa Heitz mit. Eine Differenzierung der Fluchtgründe sei essenziell. Aufgrund der geringen Anerkennungsquote von türkischen Asylbewerbern gehe das Amt hauptsächlich von einer Einwanderung aufgrund des hiesigen Sozialsystems aus.
Franck Düvell vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück legt einen Schwerpunkt seiner Forschung auf die Türkei. In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Türkei zunehmend zu einem autoritären Regime entwickelt. „Politische Verfolgung drückt sich wirtschaftlich aus“, sagt Düvell. Hunderttausend Menschen hätten so ihre Jobs verloren.
Migrationsforscher Düvell: Drei Wege führen nach Deutschland
Die Deutsch-Türkische Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages zeigte sich schon vor drei Jahren besorgt „über die zunehmende Unterdrückung und Verfolgung von Opposition und Zivilgesellschaft in der Türkei“. Sie kritisierte Festnahmen von Kommunalpolitikern und „eine seit Jahren andauernde politische Verfolgung oppositioneller Kräfte in der Türkei“. Staatsbedienstete würden entlassen, zwangsversetzt oder inhaftiert.
„Der Arbeitsplatzverlust ist politisch begründet“, erklärt Düvell. Betroffen seien wissenschaftliches Personal, Journalisten und Kulturschaffende. Viele von ihnen hätten sich jahrelang über Wasser gehalten in der Hoffnung, dass sich etwas ändere. Mit der Wahl im vergangenen Jahr, die der Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan für sich entschied, sei diese Hoffnung verloren gegangen. Deshalb seien die Zahlen türkischer Asylbewerber seit vergangenem Jahr stark gestiegen.
Düvell zufolge gibt es drei Wege, um aus der Türkei nach Deutschland einzureisen. Einige besorgten sich ein Touristenvisum, reisten nach Deutschland und stellten dann einen Asylantrag. An ein Visum zu kommen, sei allerdings schwierig. Das Bundesamt für Migration (Bamf) teilt mit, dass zwischen dem 1. Januar und 31. März dieses Jahres 812 türkische Asylbewerber mit einem Visum eingereist sind. Zur Einordnung: Im ersten Halbjahr des Jahres nahm das Bamf 16.641 türkische Asylanträge entgegen.
Eine zweite Möglichkeit der Einreise sei es, von der Türkei mit einem Boot nach Griechenland zu fahren und von dort aus nach Deutschland zu reisen. „Das machen die meisten nicht“, sagt Düvell. Diesen Weg wählten nur Menschen, deren Pass eingezogen worden sei. Die Hauptroute führe über Serbien. Serbien gestatte Menschen aus der Türkei die visafreie Einreise. Von dort ziehen sie dann weiter. In Deutschland wird der Asylantrag wahrscheinlich abgelehnt. Dem Bamf zufolge erhalten allerdings die allermeisten eine Duldung.
In der Stadt und im Landkreis Heilbronn bilden Menschen mit türkischer Herkunft die stärkste Personengruppe innerhalb der ankommenden Asylbewerber. In der Stadt Heilbronn befanden sich nach Angaben einer Rathaussprecherin 1635 Menschen in der vorläufigen Unterbringung, darunter 232 Menschen türkischer Nationalität (Stand 31. Dezember 2023). Im Landkreis Heilbronn leben nach Angaben des Landratsamts 1677 Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften, davon 697 türkischer Herkunft (Stand 30. Juni 2024). Vor einem Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt 341 türkische Asylbewerber.
Der Hohenlohekreis zählt mehr Asylbewerber aus Afghanistan und Syrien. Die Zahl türkischer Asylbewerber kletterte binnen eines Jahres von 80 im Juli vergangenen Jahres auf 97 im Juli dieses Jahres. In Baden-Württemberg hat sich die Zahl türkischer Asylbewerber mehr als verdoppelt: Waren es zum 30. Juni 2023 noch 8226 Menschen, stieg die Zahl auf 17.281 in diesem Jahr.
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) stellten im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 132.201 Menschen einen Asylantrag. Die meisten kamen aus Syrien und der arabischen Republik (39.449 Anträge), gefolgt von Afghanistan (20.473) und der Türkei mit 16.641 Anträgen. Aktuell sind laut Ausländerzentralregister in Deutschland 14.981 türkische Staatsangehörige ausreispflichtig, davon haben 12.092 eine Duldung.

 
                             
           
     
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