Kühnes Projekt in den Alpen: Hier läuft der Wiederaufbau der legendären Alten Heilbronner Hütte
Es gibt zwei Wege zu einer der höchstgelegenen Baustellen Europas in Südtirol: per Helikopter oder zu Fuß. Eine Wanderung zu dem Ort, wo die legendäre Alte Heilbronner Berghütte originalgetreu wieder aufgebaut wird. Das Projekt elektrisiert Alpinisten aus der Region.

Die Szenerie ist unwirklich. Über eine karge Gerölllandschaft fällt der Blick auf die Südtiroler Bergwelt in den Ötztaler Alpen. Die Stille klingt in den Ohren. Dann, hinter einer Kuppe: Absperrzäune, aufgeschichtete Steine, ein knallroter Bagger. Er gräbt sich in die Erde, der Keller nimmt Konturen an. "Da sind wir schon", sagt Florian Haller und zieht eine Wollmütze aus dem Rucksack. Es ist kalt hier oben auf 2770 Metern, um die Null Grad Ende September.
"Schon" ist relativ. Mehr als zwei Stunden führte die Wanderung vom Rand des Schnalstals steil bergauf. Aber Haller, Tischler aus Naturns in Südtirol und Bauherr eines kühnen Projekts, ist gut zu Fuß. Als Jäger ist er viel in den Bergen unterwegs. Eine Gruppe auf der Pirsch nach Gämsen hat er beim Aufstieg getroffen, ziemlich enttäuscht waren sie. Der Helikopter hat ihnen am frühen Morgen mit seinem Gedröhne die Beute verjagt.
Alte Heilbronner Hütte in Südtirol brannte 1932 ab – jetzt wird sie wieder aufgebaut
Der Hubschrauber ist bislang das Haupttransport-Mittel für Material, das auf das Taschljöchl soll, zur Baustelle für die Rekonstruktion jener Berghütte, die von 1910 bis 1932 Heilbronns Namen trug. Mehr als 30 Flüge waren es seit dem Baustart vor wenigen Wochen. Das ist teuer. Mit gewöhnlichen Maßstäben ist das Bauvorhaben im Hochgebirge ohnehin nicht zu messen. "Frag nicht", sagt der Bauherr, wenn man sich erkundigt, wann sich die Investition rentiert. Haller, 48 Jahre alt und Chef eines gut gehenden Handwerksbetriebs, gilt im Tal als Macher. Was er anpackt, bringt er zu Ende.

Dass es diesmal auch so ist, hoffen nicht zuletzt die Mitglieder des Deutschen Alpenvereins (DAV) in Heilbronn. Dort hat es für Furore gesorgt, dass sich Haller anschickt, die vor mehr als 90 Jahren unter mysteriösen Umständen bis auf die Grundmauern niedergebrannte Hütte wieder zu errichten. Die alte Heilbronner Hütte wohlgemerkt, eine neue mit dem Namen der Stadt gibt es seit nunmehr auch schon wieder fast 100 Jahren in der Verwallgruppe im österreichischen Vorarlberg.
Hier auf dem Taschljöchl steht nur noch der alte Mulistall aus der Bauzeit des Originals, das wegen der prachtvollen Ausstattung "Schloss in den Bergen" genannt wurde. Im Stall hat Haller den Ofen angeworfen, Gamsfleisch und Käse herausgekramt - und er erzählt. Vor bald zehn Jahren hat er den Grund am Taschljöchl zusammen mit weiter unten liegenden Waldgebieten gekauft. Von der Hütte und ihrer Geschichte hatte er bis dahin nichts erfahren. "Weißt du eigentlich, dass du jetzt Besitzer der Heilbronner Hütte bist", erinnert sich Haller an das, was Gerhard Knöller bei ihrer ersten Begegnung fragte.
Beim Bau tauchen Überreste des Originals auf
Knöller, heute 90 Jahre alt und wegen seines Spürsinns auch "der Kommissar" genannt, hat für den Heilbronner DAV die Geschichte der alten Hütte erforscht, Aufsätze veröffentlicht, Fundstücke zusammengetragen und nicht zuletzt in einem Münchner Archiv die Original-Baupläne aufgetrieben, an denen sich der Südtiroler beim Wiederaufbau orientiert. Von den Taschljöchl-Wanderern bekommt Knöller ein Foto aufs Handy ins heimische Marbach geschickt. Er ist Feuer und Flamme von dem Vorhaben und überzeugt: Haller zieht das durch.

Der 48-Jährige führt an den Rand der Baustelle, ein Haufen rostiger Metallteile ist hier aufgetürmt. Wasserrohre, Türgriffe mit unversehrten Schlössern, sogar Bettfedern. Es sind Überbleibsel aus dem Ursprungsbau, den sich die DAV-Sektion Anfang des 20. Jahrhunderts unter Regie ihres Vorsitzenden Peter Bruckmann hat errichten lassen. Der Heilbronner Silberwarenfabrikant setzte auf eine feine Ausstattung. Die Wände waren mit Zirbenholz vertäfelt, die Gäste speisten von feinem Porzellan. Zeitgenössische Aufnahmen zeigen Damen, die in Strandkörben auf der Terrasse entspannen.
Florian Haller aus Südtirol und sein Millionenprojekt
"Alle haben gesagt, wir sollen genau nach Fundstücken der alten Hütte suchen", sagt Haller, während der kalte Wind über die Baustelle pfeift und der Bagger weiterrumpelt. Gefunden hat er: nichts, außer dem Haufen Altmetall. Dass stützt die gängigsten These zu den Gründen, warum das "Schloss in den Bergen" 1932 in Flammen aufging.
Nach dem Ersten Weltkrieg ging das Taschljöchl an Italien, die Heilbronner DAV-Sektion war ihre Hütte los. Dort fanden Zöllner und Finanzbeamte einen Ausguck, um die Schmuggelaktivitäten der Einheimischen Bevölkerung zu unterbinden. Leute aus dem Tal, so die Vermutung, steckten die Hütte an, nicht ohne sie vorher ausgeräumt zu haben. Gegenstände der Ausstattung tauchen immer wieder mal auf, auch DAV-Forscher Gerhard Knöller hat schon Porzellangeschirr gefunden.
Florian Haller hat ein Bild der alten Hütte am Baustellenzaun aufgehängt. "Das wird alles gleich", sagt er. Das neue "Rifugio", so der italienische Beiname, soll aussehen wie der Vorgänger. Zumindest von außen. Innen wird es unter anderem eine Sauna geben. Es wird nicht ganz die höchste Europas, die Schöne-Aussicht-Hütte auf der anderen Seite des Tals hat eine Sauna in mehr als 2800 Meter Höhe.
Steht das Kreuz des DAV bald auf dem Heilbronner Kopf?
Die Ruinen hat Haller abräumen lassen. Ein silbernes Kreuz, das der DAV Heilbronn hat aufstellen lassen, ist noch da, steht aber im Weg. Ulrich Waldbüßer von den Heilbronner Alpinisten ist heute unter anderem deshalb dabei, weil Haller ihm einen neuen Standort für das Kreuz zeigen will. Er liegt auf einer nahen Anhöhe ohne Namen. "Das könnte mal Heilbronner Kopf heißen", meint Haller. Er will sich bei den Behörden darum kümmern.
Noch dieses Jahr soll eine provisorische Materialseilbahn entstehen, später eine dauerhafte. Oben muss sie unterirdisch verlaufen. Umweltschutzauflagen. Fast sechs Jahre brauchte Haller, bis er alle Genehmigungen beisammen hatte. Das Projekt hat nicht nur Befürworter. Kritische Stimmen kommen auch aus dem Nachbartal, man steht in Konkurrenz um Touristen.
Haller plant 18 Übernachtungsplätze, will die Hütte in Eigenregie bewirtschaften und dafür Personal anstellen. Allein die Materialbahn kostet fast eine Million Euro, das ganze Vorhaben mehr als drei Millionen. Hallers Tischlerei gilt seit Langem als Anlaufstelle für Spezialaufträge, etwa Holzausstattungen im Hochgebirge. "Alles, was nicht normal ist" sei sein Metier, scherzt er beim Abstieg zur Berglalm. Haller ist Mitbesitzer. Normal ist nicht, was auf dem Taschljöchl entsteht. Aber spektakulär. Wer mit Florian Haller einen Tag durch die Berge wandert, ist überzeugt: Den Eröffnungstermin im Sommer 2026 kann man sich dick im Kalender anstreichen.