Stahlzeit-Sänger vor Auftritt in Heilbronn: "Till Lindemann hat eine besondere Aura"
Am 6. April kommt die Rammstein-Tribute-Band Stahlzeit für ein Konzert in die Heilbronner Harmonie. Hat sie der Fall Lindemann verändert? Im Interview spricht Sänger Helfried Reißenweber über Erfolg, die Nähe zur Originalband und über moralische Debatten.

Herr Reißenweber, Mitte 2023, kurz nachdem der Fall Till Lindemann Wellen schlug, hat das Management von Stahlzeit ein Interview mit der Heilbronner Stimme abgelehnt. Mussten Sie sich erst einmal ordnen?
Helfried Reißenweber: Nein. Wir hatten einfach nichts zu der Thematik zu sagen. Uns wurden immer wieder die gleichen Fragen gestellt. Man hat versucht, etwas aus uns herauszulocken, was wir nicht wussten. Wir kennen die Bandmitglieder von Rammstein nicht persönlich.
Hat diese Sache etwas im Bandalltag von Stahlzeit geändert?
Reißenweber: Nein, das hat uns nicht tangiert. Wir sind uns und unserer Setlist treu geblieben.
Rammstein sind bekannt für provokante Texte, für bewusste Grenzüberschreitungen. Nach den Vorwürfen hat die Band den Song "Pussy" und die bei Live-Konzerten verwendete Penis-Kanone gestrichen. Sie auch?
Reißenweber: Nein, wir werden den Song weiterhin spielen. Meiner Meinung nach hält Till Lindemann mit seinen Texten der Gesellschaft einen Spiegel vor, er kommentiert das, was um uns herum passiert, was auf der Welt vor sich geht.
Kann man die moralische Debatte als Musiker also ausblenden?
Reißenweber: Diese Vorwürfe wurden ja gegen kein Bandmitglied von Stahlzeit erhoben. Klar gab es auch mal Aussagen, wie man eine Band nachspielen kann, gegen die sexuelle Vorwürfe im Raum stehen. Wir als Band konzentrieren uns aber auf die ästhetischen und musikalischen Facetten von Rammstein.

Im kommenden Jahr feiert Stahlzeit sein 20-jähriges Bühnenjubiläum. Hätten Sie einer Coverband eine solch lange und vor allem erfolgreiche Dauer prognostiziert?
Reißenweber: Ich hätte nicht gedacht, dass das alles so groß wird. Es kam für uns alle überraschend. Am Anfang lief das Ganze nämlich noch sehr zäh an. Die ersten ein, zwei Jahre wollte uns in Deutschland niemand sehen. Wir hatten erste Erfolge in den Niederlanden, erst langsam hat sich das in die Bundesrepublik übertragen. Inzwischen kann ich von der Musik leben.
Wie kommt man dazu, vollends in die Haut einer schon existierenden Band zu schlüpfen?
Reißenweber: Ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kinde. Ich war früher erstmal gar nicht Rammstein-affin. In meiner damaligen Band sagte man mir: Wenn du tief singst, dann klingst du wie dieser Lindemann. Das war für mich kein großes Lob. Trotzdem haben wir einige Lieder ausprobiert, und das hat ganz gut funktioniert. Dann haben wir eine erste Bühnenshow konzipiert, und ich habe mir die Haare schneiden lassen. Die erste Show im Vorprogramm eines Festivals kam dann auch ganz gut an.
Stahlzeit betont aber, keine reine Kopie des Originals zu sein.
Reißenweber: Wir wollen nicht alles eins zu eins imitieren, jede Bewegung, jede Mimik, sonst wird das schnell zum Kasperletheater. Bei uns hat sich eine gewisse Eigendynamik entwickelt, wir bringen unsere Persönlichkeiten mit ein. Wir verneigen uns mit unseren Konzerten vor der Band Rammstein, aber in unserem eigenen Stil.
Sie als Franke sind ja prädestiniert dafür, das rollende R zu singen, wie es auch Till Lindemann macht, oder?
Reißenwerber: Absolut richtig, ich musste wenig üben (lacht).
Stimmt es, dass Sie Ihre ersten gesanglichen Gehversuche auf Friedhöfen gemacht haben?
Reißenweber: Das stimmt, während meiner Konfirmandenzeit. Ich habe bei Beerdigungen Kirchenlieder gesungen. Es war ein Anfang, aber nicht unbedingt meine große Leidenschaft (lacht).
Was denken Sie, warum ist Rammstein weltweit so erfolgreich?
Reißenweber: Diese Band ist ein Phänomen. Ich glaube, es ist das Komplettpaket: die Musik, die Show, die Texte, die Ästhetik, das Martialische. Und Till Lindemann hat einfach eine ganz besondere Aura. Ich stand einmal bei einem Konzert in der fünften Reihe, er kam auf die Bühne, und ich dachte mir nur: Diesen Mann umgibt etwas.
Musikalisch werden Rammstein ein wenig belächelt, ihnen wird eine einfache Songstruktur bescheinigt.
Reißenweber: Die Songs klingen nur einfach. Jeder, der einmal versucht hat, einen Song in der Machart von Rammstein zu schreiben, wird merken, wie schwer das ist. Das Wechselspiel zwischen Keyboard und Gitarre ist unheimlich gut abgestimmt. Und: Wenn man die Gitarrenriffs von Rammstein für stupide und einfach hält, dann dürfte man auch Musik von AC/DC nicht mehr hören.
Vor Ihrer Stahlzeit-Karriere hatten Sie im oberfränkischen Kulmbach eine Kneipe. Was ist der perfekte Drink vor einer Show?
Reißenweber: Wir trinken vor jeder Show einen Glücksschnaps, je nach Vorliebe sind das etwa Gin Tonic oder Cola mit Whisky.
Geschichte und Karten
Stahlzeit gründete sich im Jahr 2004 und spielte 2005 die ersten Konzerte. Seitdem hat die sechsköpfige Band im gesamten deutschsprachigen Raum Auftritte. Auf ihrer "Zeitlos Neu"-Tour kommen Stahlzeit am Samstag, 6. April, um 20 Uhr für ein Konzert in die Harmonie Heilbronn. Karten ab 45 Euro gibt es in den Geschäftsstellen unserer Zeitung, unter www.reservix.de oder unter www.eventim.de.


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