Wie das System Pocher funktioniert: Aufregung über Auftritt beim SWR-Sommerfest ist befremdlich
Wo Oliver Pocher drauf steht, ist Oliver Pocher drin: Die Empörung über die jüngste Provokation des Comedian kann unsere Autorin nicht wirklich verstehen. Ein Kommentar.
Besucher herausgreifen, ein Vertrauensverhältnis schaffen und sich dann auf deren Kosten lustig machen: So funktioniert das System Pocher seit Jahren. Zum Vergnügen seiner Fans, die dafür zahlen, dass sie überrumpelt und bloßgestellt werden. Wer im März den selbsternannten Liebeskasper in seiner aktuellen Bühnenshow in Heilbronn erlebt hat, weiß, wie das abläuft. Wo liegt der Witz? In der kollektiven Feier menschlicher Schwächen? Im Fremdschämen? Das muss man mögen – oder erst gar nicht hingehen.
Nun ist diese Methode, Personen aus dem Publikum zu flambieren, wie jetzt beim Sommerfest des SWR in Stuttgart, keine Erfindung von Oliver Pocher. Dirty Comedians werden sie in den USA genannt und verstehen sich aufs Beste, ihre wachsende Fanbase fertigzumachen nach der Faustregel: Comedians dürfen die Grenzen überschreiten, die der Alltag setzt. Will heißen, sich abfällig äußern über Frauen, Ethnien, Behinderte, Körpergröße, Gewicht, vermeintliche Defizite, Geschlechtsmerkmale und besonders gerne über sexuelle Neigungen.
Wo Pocher drauf steht, ist Pocher drin – Empörung über Auftritt beim SWR-Sommerfest ist befremdlich
Das ist geschmacklos, taktlos bis widerlich – und bekannt: umso befremdlicher die Empörung über Pochers jüngsten Griff ins Klo, den er als Erfolg verbucht. Dass Oliver Pocher eine gnadenlos ungehobelte Rampensau ist, die mit Zynismus Geld verdient, weiß auch der SWR. Ab wann ist schlechtes Benehmen auf der Bühne verboten?
Wer jetzt mahnt, der öffentlich-rechtliche Sender habe einen besonderen Auftrag, möge die Grenzen der Kunstfreiheit definieren. "Mit Pocher sollte ein Publikum angesprochen werden, das sonst nur unzureichend versorgt würde", äußerte sich der SWR spät(er) auf seiner Website. Eine entlarvende Pseudo-Distanzierung, wie auch die Einsicht schal ist, das Ganze sei "bedauerlicherweise völlig misslungen". Es ist das Dilemma der Medien, der privaten wie der öffentlich-rechtlichen, mit Anbiederungsversuchen bei sogenannten jungen Menschen Niveau aufzugeben. Wo Pocher drauf steht, ist Pocher drin.

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