Fotograf Chris Knickerbocker aus Güglingen dreht in der Ukraine einen Dokumentarfilm
"Krieg war für mich vorher kein Thema", sagt Chris Knickerbocker. Nun möchte der Fotograf aus Güglingen den Menschen in der Ukraine eine Stimme geben - durch einen Dokumentarfilm und eine Ausstellung. Schon mehrfach war der 28-Jährige im Land unterwegs.

"Niemand kann mir die Ukraine besser zeigen als die Ukrainer", sagt Chris Knickerbocker. Der Fotograf aus Güglingen möchte den Menschen im Land eine Stimme geben, von ihrer Kultur erzählen, aber auch davon, wie sich durch den Krieg ihr Alltag mit Freiwilligenarbeit verbunden hat - und wie der Wiederaufbau voranschreitet. Vor Ort hat der 28-Jährige deswegen mit verschiedenen Ukrainern gesprochen, darunter Künstler, Journalisten, ehrenamtliche Helfer und Mitglieder der LGBTQ-Community.
Aus den Aufnahmen soll ein Dokumentarfilm entstehen. "Mein Traum ist es, den Schnitt dieses Jahr noch fertig zu machen", sagt Knickerbocker. Er möchte dazu in Heilbronn und seiner Wahlheimat Berlin auch eine Ausstellung realisieren mit Fotos von seinen drei Ukraine-Reisen sowie Objekten, die er dabei gesammelt hat. Sie stammen sowohl von der Front als auch aus dem täglichen Leben.
Knickerbocker: "Ich möchte in keinster Weise etwas romantisieren"
Einige Bilder hat Chris Knickerbocker auf seinem Instagram-Account veröffentlicht. In den Stories, also zeitlich begrenzt verfügbaren Aufnahmen, teilt er dort zudem seine Eindrücke von unterwegs. Auf einem Foto ist beispielsweise ein strahlend blauer Himmel über zerstörten Gebäuden zu sehen. Irpen im Juni 2022, besagt die Bildunterschrift.
"Der Himmel ist tatsächlich extrem blau, wenn schönes Wetter ist", erklärt Knickerbocker, der angibt, bei seinen Fotos keine Filter zu verwenden. "Ich möchte in keinster Weise etwas romantisieren, deswegen versuche ich auch in meinen Stories so gut wie jede Gefühlslage zu repräsentieren. Und die war gestern ganz weit weg von angenehm", erzählt der Fotograf im Online-Interview diese Woche aus Kiew während der nächtlichen Ausgangssperre dort. "Ich würde auch niemandem empfehlen, hierher zu kommen."
Während draußen die Bomben fallen, suchen Menschen in Kellern und Metro-Stationen Schutz

Es ist der zweite Anlauf für eine Video-Verbindung. Tags zuvor hielt sich Chris Knickerbocker noch in Charkiw auf, etwa 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt. "Zwei, drei Minuten nach dem Einschlag war alles stockdunkel", berichtet er von mehreren Raketen-Angriffswellen. Schutz, so erzählt der 28-Jährige, suchte er anschließend im Keller eines Imbiss", dann in einer Metro-Station, schließlich fuhr er zu einer Privatunterkunft bei der Familie einer Freundin, südwestlich von Charkiw. "Es gab kein Internet, kein Wasser, keinen Strom.
Das bedeutet auch: keine Ampeln. Der ganze Verkehr basierte auf Schildern und gegenseitiger Rücksichtnahme." Über Lviv will Knickerbocker nun wieder zurück nach Berlin - und bald auch wieder in die Heimat. "Mein Auto hat dieses Mal sehr gelitten. Das braucht ein bisschen Liebe, wenn ich wieder zurückkomme." Straßen seien teilweise wieder geteert. Weil viele Brücken zerstört seien, müsse man aber durch Wälder fahren.
"Krieg war für mich vorher kein Thema. Ich bin nicht einer, der richtig Bock hat auf Action und die Extreme lebt", sagt der junge Mann, der sich dafür an den immer wieder ertönenden Luftalarm in der Ukraine schnell gewöhnt hat.
Wie der Fotograf aus Güglingen zu seiner Idee kam

Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt vor zweieinhalb Jahren, bei dem ihm eine Lunge transplantiert wurde, er "viel Glück gehabt und Liebe genossen" hat, möchte Chris Knickerbocker davon nun etwas zurückgeben, begründet er seine Motivation, sich für die NGO Berlin to Borders zu engagieren. Neben Pressearbeit hilft der Fotograf mit, verschiedene Stationen in der Ukraine mit Zelten, Thermokleidung, Decken, Essen und Medikamenten zu beliefern.
Dabei hatte er auch die Idee zu seinem Dokumentarfilm, dessen Dreh nun den Großteil seiner Zeit einnimmt. Die NGO unterstützt ihn bei den Fahrtkosten. "Den Rest muss ich selbst tragen", sagt Knickerbocker, der Geld, das er durch Fotoaufträge verdient, in sein Film-Projekt steckt.
Ob sein Umfeld Verständnis für sein Film- und Fotoprojekt aufbringt? "Meine Mum macht sich schon Sorgen, aber sie weiß auch, dass ich für die Fotografie lebe." Der Freundeskreis ist gespalten. Zu seinen gefährlichsten Fahrten zählt der Güglinger diejenigen nach Butscha, Irpin und Isjum. "Weil wir zu 100 Prozent darauf vertrauen mussten, dass die Wege, auf denen wir fahren, auch sicher sind." Die Angst lege man angesichts der Situation zwar ab. "Was man aber nie ablegen sollte, ist der Respekt", sagt Chris Knickerbocker.
Zur Person
Chris Knickerbocker wird 1994 in Heilbronn als Sohn eines Amerikaners und einer Deutschen geboren und wächst in Güglingen auf. Am Kolping-Bildungszentrum Heilbronn absolviert er eine schulische Ausbildung zum Fotografen, danach arbeitet er in verschiedenen Studios, ehe er sich in Güglingen selbstständig macht. Nach einer Lungen-OP zieht Knickerbocker zunächst nach Lissabon, im Februar 2022 dann nach Berlin. Dort engagiert er sich nun für die NGO Berlin to Borders.
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