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Bei den Burgfestspielen Jagsthausen beginnt die Puzzlearbeit

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"Theater reagiert auf die Zeit, in der wir leben": Eva Hosemann, die künstlerische Leiterin der Burgfestspiele Jagsthausen, über Rio Reiser, Musikproduktionen, Lachen als Ventil und Rollenbesetzungen, die bis Februar unter Dach und Fach sein müssen.

Eva Hosemann wohnt „prinzipiell sehr gerne“ dort, wo sie arbeitet. Seit Januar 2020 pendelt die künstlerische Leiterin der Burgfestspiele nicht mehr zwischen Stuttgart und Jagsthausen. Vergangenen Sommer also hat sie ihr erstes Festival „am eigenen Wohnort genossen“. Dass Eva Hosemann hier ganzjährig arbeitet, dürfte nur wenigen bewusst sein. Nach den Burgfestspielen ist vor den Burgfestspielen.


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Der Spielplan steht schon länger, der Vorverkauf hat begonnen. Jetzt beginnt das Puzzeln, wie Hosemann es nennt: was wird wie besetzt. Regie, Ausstattung, Rollen. Das zieht sich bis Februar, auch wenn etwa 70 Prozent der Schauspieler aus der vergangenen Spielzeit bekannt sind. „Das stärkt den Ensemblegeist“, sagt Hosemann.

"Wenn es der wird, wird es der Knaller"

Wer gibt den neuen Götz? „Wenn es der wird, mit dem wir im Gespräch sind, wird es der Knaller.“ Christoph Biermeier, ehedem Intendant der Freilichtspiele Schwäbisch Hall, inszeniert. Dafür war er bereits 2020 gesetzt, dann kam die Pandemie, 2022 hatte er andere Verpflichtungen.

Wurde früher eine „Götz“-Inszenierung meist zwei Sommer gespielt, gibt es 2023 wieder eine Neuinterpretation. Wenngleich Eva Hosemann der „Götz“ von Wolfram Apprich diesen Sommer sehr gut gefallen hat in dessen intelligenter Reduktion. Anders als jenen, die einen historischen Ritter mit der eisernen Faust erwartet hatten. „Theater reagiert immer auf die Zeit, in der wir leben“, antwortet die künstlerische Leiterin Nörglern.

Die Burggrabenbühne wird neue Spielstätte

Mit dem Musical „Saturday Night Fever“ und den Hits der Bee Gees wird die Spielzeit am 10. Juni eröffnet. Vorab schon feiern die Kinderstücke „Des Kaisers neue Kleider“ im Burghof sowie „Der Sonnenkönig“ im Gewölbe Premiere. „Das entzerrt Arbeitsprozesse.“ Mit der Groteske „Indien“ von Josef Hader und Alfred Dorfer wird am 4. Juni die Burggrabenbühne als neue Spielstätte eröffnet.

Hosemann führt Regie und lässt die Wiener Originalfassung spielen mit den zwei österreichischen Schauspielern Jeff Zach und Dan Glazer in den Hauptrollen. Die Burggrabenbühne wird künftig dann auch für kleine Formate wie Einführungen genutzt.

Das Disco-Feeling der 70er Jahre

Musiktheaterproduktionen haben sich zu einem Schwerpunkt der Burgfestspiele entwickelt. Neben dem Discofeeling der 70er Jahre in „Saturday Night Fever“ von Robert Stigwood und Bill Oakes in der Version von Ryan McBryde verhandelt das Musical Befindlichkeiten und Sorgen wie die Suche nach Anerkennung und Freundschaft – und das anhand der Figur des jungen Italo-Amerikaners Tony Manero aus Brooklyn.

„Rio Reiser – König von Deutschland“ von Heiner Kondschak als zweite Musikproduktion wie auch die Wiederaufnahme der englischen Komödie „Ladies Night“ als schwäbische Stripper-Variante sind eine „ganz bewusste Entscheidung“.

Lachen löst Blockaden

„Wir werden uns auch im nächsten Jahr in einer schwierigen Situation wiederfinden.“ Musik und Sommer, das passt zusammen, hat Eva Hosemann erfahren, und, dass Zuschauer sich bedankt haben, dass sie während zwei Stunden mit Lachen vergessen konnten. „Ein Anspruch an Theater, der berechtigt ist in dieser angespannten Weltlage. Lachen löst Blockaden, ohne Humor ist nichts zu ertragen.“ Und: „Komödien sollten einen größeren Stellenwert haben. Zumal eine gute Komödie Tiefsinn bietet“.

„Rio Reiser“ versteht Eva Hosemann nicht als Musical, wohl aber als ein Stück mit viel Musik und Spielszenen aus Reisers Leben. „Keine Macht für Niemand“, wie der Sänger von Ton Steine Scherben forderte in einem Lied, das zum Motto einer Generation wurde, hat als politische Botschaft seine Brisanz nicht verloren.

"Die Zeiten sind ungewiss"

Auf die Cash Cow, also die Melkkuh der vergangenen Saison, auf „Ladies Night“, wollen die Burgfestspiele schon aus finanzieller Vernunft nicht verzichten. Sie leben von Eigeneinnahmen in der Größenordnung von 60 bis 80 Prozent. „Die Zeiten sind ungewiss. Man weiß nicht, was die Zuschauer sehen wollen. Und: Theaterbesuche werden nicht mehr langfristig geplant.“

Gespannt ist Hosemann auf das Konzert „So klingt Goethe“ des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn im Juni im Burghof, wenn das WKO unter anderem eine lang verschollene „Götz von Berlichingen“- Ouvertüre spielt.


Neue „Götz“-Inszenierung: Wie aus Goethes „Götz von Berlichingen“ immer wieder Funken schlagen? „Indem wir ihn so lesen, wie er ist und feststellen, dass das Stück wirklich aktuell ist“, sagt Regisseur Christoph Biermeier. „Goethe zeigt ein Deutschland, in dem die Gesellschaft implodiert.“ Wie Goethe die verknöcherten Machtstrukturen, Spaltung und unversöhnliche Positionen zeichnet, „ist erschreckend visionär, ein dystopisches Szenario“. Und so wird Biermeier Jagsthausens Traditionsstück auch als Dystopie inszenieren. „Wir verlegen das Ganze in ein zukünftiges Deutschland.“ Mehr als zwei Stunden soll sein „Götz“ nicht dauern. Dabei setzt Biermeier auf „Körpereinsatz, Emotionen und viel Action.“ In diesem Stück des Sturm und Drang „drängt das Wort zum Körper“.

 

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