Sorge um Gewalt überschattet Wahlen in den USA
Die USA gleichen vor diesem Wahltag einem Pulverfass. Die Anhänger Donald Trumps und Joe Bidens betrachten den Sieg der anderen Seite als existentielle Gefahr. Die einen sorgen sich um Betrug und Manipulationen, die anderen vor Einschüchterung und Unterdrückung der Wähler. Rechte Bürgerwehren und weiße Nationalisten marschieren auf. Es droht Gewalt.

Chris Hill (45) und seine Milizionäre proben den Ernstfall. Im ländlichen Georgia haben die schwer bewaffneten Angehörigen der “Three-Percenters” Straßenblockaden errichtet. Sie üben die Festnahme von Zivilisten und erlauben dem Fernsehsender “Vice” das Training für den “Tag X” zu filmen. Der könnte nach Ansicht des selbsternannten “Generals des heiligen Krieges" schon sehr bald kommen. Genauer gesagt nach diesem 3. November, wenn die Amerikaner mit Spannung auf die Ergebnisse der Präsidentschafts- und Kongresswahlen warten.
Aufgrund der Pandemie, die in diesem so viele Wähler wie noch nie dazu motivierte, ihre Stimme vorher per Brief oder persönlich in einem Frühwahl-Lokal abzugeben, könnte es jenseits eines Erdrutsch-Sieges Tage dauern, bis alle Stimmen ausgezählt sind.
Der in den Umfragen abgeschlagene Präsident lässt keine Gelegenheit aus, Ergebnis der Wahlen infrage zu stellen, falls er sie nicht gewinnt. Trump impft seinen Anhängern ein, ein Sieg des “schläfrigen Joe” sei nur durch massive Manipulation bei den Briefwahlen möglich. Wiederholt lehnte er es ab, sich auf einen friedlichen Machtwechsel zu verpflichten.
Die “Three-Percenters” und ihr Anführer sind für diesen Moment gerüstet. “Wenn es Beweise für Manipulationen bei den Wahlen gibt, ist das Anlass für eine offene Rebellion”, sagt Hill, dessen Männer wie andere Bürgerwehren Trumps Appell beherzigen wollen, vor den Wahllokalen “als Wahlbeobachter” aufzuziehen - in Tarnuniform und bis an die Zähne bewaffnet.
Falls Biden gewinne, so der ehemalige Marine, “stehen wir vor einem Bürgerkrieg”, warnt der Milizen-Chef, dessen Organisation ihren Namen von den “drei Prozent” der Bevölkerung ableitet, die vor mehr als 150 Jahren den amerikanischen Bürgerkrieg ausgefochten hat. “Wir bewegen uns dann auf eine Konfrontation zu.”
An diesem Punkt ist sich Kathleen Belew von der University of Chicago mit Hill einig. Rund um diesen Wahltag werde sich die Lage bis aufs Äußerste anspannen. “Das ist sehr gefährlich”, sagt die Expertin für Milizen und weiße Nationalisten, die unter Trump Oberwasser bekommen haben. “Es ist sehr gut möglich, das wir in naher Zukunft Gewalt erleben.”
Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft
Das Heimatschutz-Ministerium, die Bundespolizei FBI und lokale Sicherheitsbehörden bereiten sich auf alle möglichen Szenarien vor. “Es besteht die ernste Sorge, dass es zu Einschüchterung-Versuchen kommt”, warnt die Konferenz der amerikanischen Bürgermeister in einer Erklärung.
Statt sich während der ersten Präsidentschaftsdebatte von Bürgerwehren und rechten Hassgruppen wie den "Proud Boys" zu distanzieren, ermunterte Trump diese aktiv zu werden. "Haltet Euch zurück und haltet Euch bereit", appellierte er an die gewaltbereiten Fußtruppen, zu denen neben den "Three Percenters" Organisationen gehören, die sich "The Wolverine Watchmen", "Oathkeepers" oder "The Base" nennen.
"Es gibt Zeiten, in denen eine Symbiose zwischen diesen Gruppen und Präsident Trump besteht", sagt Milizen-Expertin Belew, die Präsidenten-Berater Steven Miller als ideologisches Bindeglied ins Weiße Haus ausmacht. "Wenn Trump verliert, werden sich diese Gruppen sicher ermutigt fühlen, Gewalt auszuüben", sagt Belew. Die Amerikaner seien "tief, tief unvorbereitet”, auf eine solche Konfrontation zu reagieren.
Pläne einer Entführung und Hinrichtung vereitelt
Wie virulent diese Gefahr ist, trat Anfang Oktober in dem wichtigen "Swing State" Michigan zutage. Dort deckte das FBI einen Plot gegen Gouverneurin Gretchen Whitmer auf - die demokratische Erzfeindin Trumps. 17 mutmaßliche Verschwörer aus der Milizen-Bewegung warten auf ihren Prozess wegen vereitelten Plänen, Whitmer zu entführen, sie wegen der strikten Corona-Regeln vor ein Tribunal zu stellen und anschließend hinzurichten.
Statt den Terror von Rechts zu verurteilen, gab Trump Whitmer selber die Schuld und hetzte auf Kundgebungen in Michigan mit "Sperrt Sie ein"-Sprechchören. Neben den Bürgerwehren und rechten Hassgruppen kann sich der Präsident auch auf die Anhänger "QAnon"-Bewegung stützen, vor deren Gewaltbereitschaft das FBI im Mai gewarnt hat.
Die Verschwörungstheoretiker sehen Trump einen Heilsbringer, der einen "Sturm" gegen ein mutmaßliches Netz von Kinderschänder und deren Hintermänner anführt. Inzwischen glauben ein Drittel der Republikaner, an diesen irren Fantasien könnte etwas dran sein.
Trump unternimmt nichts gegen Hassgruppen
Trump zeigt gegenüber Bürgerwehren, weißen Nationalisten, Hassgruppen und QAnon-Verschwörern genügend Ambivalenz, diese im Zweifelsfall für seine Zwecke einspannen zu können. Er unternimmt nichts, die Temperatur im Wahlkampf herabzusetzen. Im Gegenteil verwischt er mit seinem Sprachgebrauch bewusst die Grenzen des Erlaubten. Auf seinen Kundgebungen ohne Maske und sozialen Abstand fordert Trump seine Anhänger auf, “zu den Wahllokalen zu gegen und sehr genau hinzuschauen”.
Wie jetzt schon im schwarzen Philadelphia, wo durch nichts und niemanden legitimierte Personen, Wähler mit Smartphones aufnehmen, die ihre Briefwahl-Unterlagen in eigens dafür installierte Sammelboxen werfen. Der Generalstaatsanwalt des “Swing State” Pennsylvania, Josh Shapiro, verurteilt diese Taktiken als “illegale Wähler-Einschüchterung”.
Das bringt die Republikaner nicht von ihrem Tun ab, das sie für gerechtfertigt halten, um “massive Unregelmäßigkeiten” zu stoppen. Bis zum Wahltag wollte Trump “eine Armee” von 50.000 Wahl-Beobachtern rekrutieren. Was die genau tun sollen, ist unklar. Der “Brennan Center for Justice” dokumentiert eine Fülle an Studien, die alle zu demselben Schluss gelangen. Wahlbetrug kommt so gut wie nicht vor - zwischen 0.0003 und 0.0025 Prozent der abgegebenen Stimmen maximal.
Eigentlich sollte die Sicherheit der Wahlen und der Schutz der Wähler in einer entwickelten Demokratie unstrittig sein. Doch Trump behauptet genauso faktenfrei, “massiven Betrug” durch Briefwahlen wie er das Ende der Pandemie verkündet. Damit facht er die Leidenschaft seiner Anhänger an, die eine Niederlage nicht akzeptieren wollen.
Der Historiker Peter Stearns beobachtet ähnliches Misstrauen im Lager der Anhänger Bidens. “Beide Seiten betrachten einander nicht als Gegner, sondern als zutiefst böse”, sagt der Professor an der George Mason University der Washington Post. All das passiere zu einer Zeit, in der das Vertrauen in Institutionen kollabiert sei und Amerikaner immer häufiger in Wohngebieten mit Gleichgesinnten lebten. “Es gibt keine Bereitschaft zum Kompromiss mehr.”