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Ein freiwilliger Rückzug von Olaf Scholz wäre für die SPD gesichtswahrend

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Die SPD steckt im Umfragetief. Bleibt das bis zur Wahl so, verlieren viele Abgeordnete ihr Mandat und hunderte Mitarbeiter ihren Job. Deshalb braucht es eine Entscheidung, kommentiert unser Gastautor.

Von Uwe Wagschal

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Die kommende Bundestagswahl am 23. Februar 2025 verunsichert zunehmend die Lenker und Denker der SPD. Während die Führungsspitze der SPD hinter Olaf Scholz steht, mehren sich Stimmen von Regionalpolitikern und Bundestags-Hinterbänklern, das Pferd zu wechseln und den Kanzlerkandidaten zu ersetzen.

Boris Pistorius, der beliebteste Politiker im Land, soll es richten. Hauptargument ist die große Popularität des Verteidigungsministers im Vergleich zum Bundeskanzler, der nur im grauen Mittelfeld der Umfragerankings der Politikerpopularität dümpelt.

SPD im Umfragetief: Olaf Scholz wird nicht mehr Kanzler werden

Neben der Beliebtheit von Pistorius sprechen jedoch weitere Argumente für einen Wechsel des SPD-Spitzenkandidaten. Nach Stand der Dinge wird Olaf Scholz nicht mehr der neuen Bundesregierung angehören. Zu klein ist die Chance, noch einmal stärkste Partei zu werden und damit den Bundeskanzler zu stellen. Daran glaubt selbst innerhalb der SPD kaum noch jemand.

 

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Es geht also nur um Platz und nicht um Sieg. Plätze zwei bis vier, um die man in Konkurrenz zur AfD und den Grünen steht, sind möglich. Zumindest die Grünen mit dem am Wochenende gekürten Spitzenkandidaten Habeck sollte man auf Distanz halten, um als Juniorpartner in eine dann „verzwergte“ Große Koalition einzutreten, die wohl nicht einmal mehr 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen wird, wie übrigens schon 2021 nicht (49,8 Prozent zusammen). Vorbei die Zeiten, als beide einstigen Volksparteien noch über 90 Prozent der Stimmen bei Wahlen einsammelten (1972 und 1976).

Pistorius könnte die SPD zu neuer Stärke führen

Wie andere Wahlverlierer vor ihm, zuletzt Martin Schulz 2017, wird Scholz außerdem keine Spitzenposition mehr in der Regierung einnehmen, sondern sein parlamentarisches Gnadenbrot im Bundestag erhalten. Ein abgehalfterter Scholz im neuen „Rennstall“ eines Kanzlers Merz – unvorstellbar für alle Beteiligten. Ein gutes Ergebnis könnte jedoch den neuen starken Mann der SPD, Boris Pistorius, mit einem größeren und stärkeren Mandat ausstatten. Die SPD könnte dann auch besser nach der Wahl verhandeln.

Das wichtigste Argument für einen Wechsel des SPD-Jockeys sind jedoch die zahlreichen SPD-Abgeordneten und ihre Beschäftigten im Bundestag, denen die Arbeits- und Perspektivlosigkeit droht. Nicht nur, dass der Bundestag von 735 auf 630 Abgeordneten verkleinert wird: Der vermutliche Rückgang des SPD-Stimmanteils um acht bis zehn Prozentpunkte führt dazu, dass im neuen Bundestag nicht mehr 207 SPD-Abgeordnete vertreten sein werden, sondern nur etwa 110 Abgeordnete, wenn die Umfragen so bleiben wie sie sind.

Wenn es so weiter geht, droht 600 SPD-Mitarbeitern der Jobverlust

Damit wird die SPD-Fraktion fast halbiert werden. Hinzu kommen rund 600 Mitarbeiter der Parlamentarier, die dann ebenfalls ihren Job verlieren. Da jeder Abgeordnete im Durchschnitt sechs Mitarbeiter beschäftigt, kommt hier eine Entlassungswelle auf den Parlamentsapparat zu, wahrscheinlich auch auf Partei und Fraktion.

Ein Blick in die Geschichte der SPD zeigt, dass gescheiterte Kandidaten und Vorsitzende schnell entsorgt werden können. Martin Schulz sattelte 2018 nach der verlorenen Bundestagswahl und dem schlechtesten SPD-Bundestagswahlergebnis ganz schnell ab. Andrea Nahles trat im Juni 2019 nach schlechten Wahlergebnissen der SPD bei der Europawahl und sinkendem Rückhalt in der Partei zurück.

Spitzenkandidaten können schnell von der Bildfläche verschwinden

Rudolf Scharping ging vom Hof, nachdem er Gerhard Schröder in einem parteiinternen Machtkampf unterlegen war. Helmut Schmidt bekam 1982 von Willy Brandt deutlich signalisiert, dass man mit ihm nach den parteiinternen Querelen nicht weitermachen will. Und auch Franz Müntefering trat 2005 als Parteivorsitzender zurück, als er seinen Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs nicht durchsetzen konnte. Auch die Erfahrungen dieses Sommers in den USA zeigen, dass Spitzenkandidaten ganz schnell verschwinden können.

Ein Kandidatenwechsel würde aber auch ein gewisses Risiko für die SPD bergen. So ist Scholz ein erfahrener Wahlkämpfer und hat die SPD bei der letzten Wahl aus einem Umfragetief herausgeführt. Auch die Zeitnot und der enge Terminkalender sprechen für die Kandidatur von Scholz. Zudem hat sich Pistorius bisher mehr als zurückgehalten und lässt keine Ambitionen auf das Kanzleramt und die Spitzenkandidatur erkennen.

Mit Franz Müntefering hat sich am Wochenende nun erstmals ein ehemaliger Spitzenpolitiker der SPD geäußert, dass die Kanzlerkandidatur von Scholz „kein Selbstläufer“ sei. Je länger die SPD im Umfragetief verharrt, desto eher könnte es beim Nominierungsparteitag der SPD, der wohl im Januar stattfinden wird, zum Wechsel kommen. Am ehesten gesichtswahrend wäre ein freiwilliger Rückzug von Scholz, wie ihn Schulz 2018 praktizierte. Womöglich könnte die SPD dann ein erneut schlechtestes Ergebnis vermeiden.

Zur Person

Uwe Wagschal ist Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er hat in Heidelberg Politische Wissenschaft und VWL studiert. Seine Forschungsgebiete sind Steuerpolitik, direkte Demokratie und Konfliktforschung. Er ist in Lauffen geboren, in Schwaigern aufgewachsen und hat in Eppingen Abitur gemacht.

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