Kommentar: Wunschdenken
Wer den Ministerpräsidenten am Dienstagabend bei "Markus Lanz" erlebte, konnte sich nur wundern. Schreiend verteidigte Winfried Kretschmann auf hartnäckiges Nachfragen des Moderators sein Vorhaben, Grundschulen und Kitas im Land ab Montag schrittweise zu öffnen.
Eine nachvollziehbare Begründung für sein Vorgehen, das im Gegensatz zur Linie steht, die von Kanzlerin Merkel zeitgleich verkündet wurde, blieb er schuldig. Kretschmann verwies nebulös auf Konsultationen mit Experten und eine Studie vom Frühjahr 2020, um zu begründen, dass von Kindern ein geringes Infektionsrisiko ausgehe.
Entweder hat dem Ministerpräsidenten niemand gesagt, dass es in den sieben Monaten, die seitdem vergangen sind, eine Reihe von Studien gegeben hat, die belegen, dass Kinder einen deutlich höheren Anteil am Infektionsgeschehen haben, als zu Anfang der Pandemie von manchen Experten angenommen. Oder – und das ist wahrscheinlicher – es handelt sich bei dem Vorhaben um eine rein politische Entscheidung, die wissenschaftliche Ratschläge bewusst ignoriert.
Sicher, die Infektionszahlen im Land sinken. Gleichzeitig sind Wissenschaftler und die Bundesregierung aber in höchster Alarmbereitschaft wegen der britischen Mutante, die sich auf der Insel offenbar auch unter Schulkindern in rasender Geschwindigkeit verbreitet hat. Bei den Überlegungen in Stuttgart scheint das keine Rolle zu spielen.
Nun haben unter anderem Ausbrüche der Variante B.1.1.7 in Kitas die Öffnungsversuche vorläufig gestoppt. Man könnte auch sagen: Die Realität hat dem politischen Wunschdenken ein Ende gesetzt.

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