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Wenn die Abschiebung von Straftätern zum Puzzlespiel wird

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Wie der Sonderstab "Gefährliche Ausländer" arbeitet und warum es so schwer ist, Schwerkriminelle oder Terrorverdächtige abzuschieben.

Von Ulrike Bäuerlein
Bis ein Gefährder abgeschoben werden kann, müssen viele Teile eines Puzzles zusammenpassen. Das erfordert akribische Kleinarbeit. Foto: dpa
Bis ein Gefährder abgeschoben werden kann, müssen viele Teile eines Puzzles zusammenpassen. Das erfordert akribische Kleinarbeit. Foto: dpa  Foto: Julian Stratenschulte

Sie sind Schwerkriminelle oder Terrorverdächtige, sie sind keine deutschen Staatsbürger, nicht asylberechtigt oder ohnehin illegal im Land und verschleiern ihre Identität: Wer in den Fokus des Sonderstabs "Gefährliche Ausländer" in Baden-Württemberg gerät, hat in der Regel eine Menge auf dem Kerbholz und ist eine Gefahr für die Sicherheit.

Das Land will diese Leute schnellstmöglich loswerden und in ihre Heimatländer abschieben. Aber so einfach ist das nicht. Es kann Jahre dauern, die Identität und das Herkunftsland von Jemandem festzustellen, der ständig falsche Angaben macht, keinen Pass hat und nirgendwo registriert ist.

200 Fälle seit 2018 abgewickelt

51 Fälle hat der beim Ministerium für Justiz und Migration angesiedelte Sonderstab im Jahr 2021 abgeschlossen, damit sind es seit Einrichtung des Sonderstabs im Jahr 2018 insgesamt 200 erledigte Fälle. 156 dieser Täter wurden abgeschoben, andere sitzen in Strafhaft oder in Abschiebehaft. Eine mittlere dreistellige Zahl von Fällen kommt jedes Jahr über das Innenministerium und das Landeskriminalamt (LKA) auf den Tisch des Sonderstabs. Die Jahresbilanz stellten Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) und Sonderstab-Leiter Falk Fritzsch unserer Zeitung jetzt in Stuttgart vor.

Im Sonderstab arbeitet ein kleines, hoch spezialisiertes Team aus Juristen, Verwaltungsexperten, Polizeibeamten und einem Mitarbeiter der EU-Grenzagentur Frontex eng zusammen. Fast alles dreht sich um die Identitätsfeststellung der kriminellen Ausländer. Bundesweit legen nur 49 Prozent der Asylbewerber einen Pass vor beim Antrag. Aber bevor nicht amtlich geklärt ist, wer jemand ist, gibt es kein Herkunftsland, das ihn im Falle einer Abschiebung aufnehmen muss.

Abschiebestopp für manche Länder

In manche Länder darf derzeit überhaupt nicht abgeschoben werden - etwa ins Bürgerkriegsland Syrien. Aber gerade syrische Staatsangehörige - oder die, die sich als solche ausgeben - stehen mit ganz oben auf der Liste der Fälle. Solange aber der Abschiebestopp gilt, müssen diese Fälle zur Seite gelegt werden. Die meisten Rückführungen aus Baden-Württemberg gehen nach Afghanistan, Algerien, Serbien, Gambia, Pakistan, Tunesien, Albanien, Marokko und in die Türkei.


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Und manche Staaten wie etwa Gambia, dessen Staatsangehörige bei den Drogendelikten ganz oben stehen, nehmen gar niemanden zurück. Bis ein Fall geklärt ist und ein Gefährder abgeschoben werden kann, müssen daher viele Teile eines Puzzles zusammenpassen. Das erfordert Beharrungsvermögen, akribische Kleinarbeit, internationale Zusammenarbeit und unendlich viel Geduld.

Aufwendige Rekonstruktion

Sonderstab-Leiter Fritzsch hat zwei Fälle aus der Praxis mitgebracht. Etwa den Fall eines 1992 geborenen Salafisten, eng vernetzt im IS, aus dem Raum Bodensee. Er wurde in Deutschland geboren, war aber nie legal hier, weil schon seine Eltern sich fälschlich als Libanesen ausgegeben hatten. Der Sonderstab rekonstruierte aus einer Fülle von Daten den Stammbaum und den Herkunftsort der Familie in der Türkei und besorgte ihm einen türkischen Pass, Voraussetzung für seine Abschiebung.

Oder den Fall eines im Raum Aalen angesiedelten Straftäters, 2016 verurteilt wegen Vergewaltigung. Er war nach Verbüßung der Haftstrafe zwar ausreisepflichtig, konnte aber mangels Pass nirgendwohin abgeschoben werden. Der Mann kam auf freien Fuß. Neue Straftaten kamen hinzu, und erst im Zuge der Arbeit des Sonderstabs und neuer technischer Möglichkeiten konnte auf seinem beschlagnahmten Mobiltelefon ein gelöschtes Dokument mit Daten seines Original-Passes wiederhergestellt werden.

Lorek legt Wert auf die Feststellung: "Es handelt sich hier um eine sehr kleine, besonders problematische Gruppe von Personen, die dafür verantwortlich sind, dass es vor Ort schwierige Stimmung gegenüber Migranten gibt, die sich nichts zu Schulden kommen lassen."

 

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