Warum der Westen Putin kaum zur Rechenschaft ziehen kann
Wie der Westen angemessen reagieren soll, wird seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hitzig diskutiert. Bei einem Vortrag in Stuttgart erklärte die Heidelberger Völkerrechtlerin Anne Peters, was geht und was schwierig ist.

Wie wirksam ist das Völkerrecht, wenn es wie von Russland mit dem Überfall auf die Ukraine einfach gebrochen werden kann? Diese und weitere Fragen beantwortet die Heidelberger Völkerrechtlerin Anne Peters am Montagabend bei einer Vortragsreihe der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart.
Dabei wirft die 57-Jährige erstmal einen Blick auf die Geschichte des Konflikts: von der Unabhängigkeit der Ukraine, die den Zerfall der Sowjetunion einläutete, dem Budapester Memorandum, bei dem Russland und die USA der Ukraine Schutz und den Respekt ihrer Grenzen zusicherten bis hin zu den pro-europäischen Maidan-Protesten und dem russischen Überfall auf die Krim 2014. „In dieser Phase begann die russische Destabilisierung, zunächst völlig verdeckt, im Osten der Ukraine“, erklärt Peters. Der russische Angriffskrieg sei nun der Höhepunkt der Eskalation.
Dass Putin das Völkerrecht verletzt hat, steht aus Sicht der Expertin außer Frage. „Schon der Einmarsch seit dem 24. Februar ist eine Verletzung des Gewaltverbots.“ Auch die Annexion ukrainischer Gebiete verletze die territoriale Unversehrtheit des Landes. Der russische Bruch mit dem Völkerrecht habe jedoch auch für andere Länder Folgen. „Alle anderen Staaten sind verpflichtet, zusammenzuarbeiten, um auf eine rechtmäßige Art und Weise diese schwere Verletzung des Völkerrechts zu beenden.“
Militärischer Gegenschlag anderer Staaten ist quasi ausgeschlossen
Durch das sogenannte „Recht auf kollektive Selbstverteidigung“ dürften andere Staaten die Ukraine unterstützen, nicht nur durch Waffenlieferungen, sagt Peters. „Die USA und andere, dürften auch auf russischem Territorium zurückschlagen. Jedenfalls dürften sie militärisch reagieren, solange und soweit wie erforderlich, um einen russischen Angriff zurückzuschlagen.“
Aus Sicht der Expertin sei das jedoch ausgeschlossen, aus Angst vor einem russischen Gegenschlag mit Atomwaffen. „Es sind die Nuklearwaffen und nicht das Völkerrecht, das stärkeres Agieren verhindert.“
Russische Gerichte müssten russische Kriegsverbrecher bestrafen

Doch nicht nur das Völkerrecht sei von Russland gebrochen worden. Peters sieht es als gesichert, dass russische Soldaten Kriegsverbrechen und wahrscheinlich auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben.
Das Problem: Russische Gerichte wären in der Verantwortung, diese Taten zu bestrafen. Das gleiche gilt für Putin, er könne nur im eigenen Land zur Rechenschaft gezogen werden, weil Russland keine Vertragspartei des internationalen Strafgerichtshofs ist.
Völkerrecht droht, unterminiert zu werden - wenn sein Bruch nicht sanktioniert wird
Positiv bewertet die Völkerrechtlerin, dass wichtige Staaten wie China, Indien und Südafrika sich enthalten haben, als die Vereinten Nationen den Überfall auf die Ukraine verurteilt haben. Allerdings beteiligten sich diese Staaten nicht an den Sanktionen.
Generell ist Peters überzeugt, dass das Völkerrecht wirkt. Weltweit seien die Staatsgrenzen stabil. „Es ist nicht so, dass ständig einer der 193 Staaten einen anderen überfällt.“ Umso wichtiger sei es, zu reagieren, wenn das Völkerrecht gebrochen wird. „Die Gefahr der Unterminierung ist schon gegeben.“


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