Warum Baden-Württemberg Schlusslicht beim Impf-Ranking in Deutschland ist
Gemessen an der Bevölkerung liegt Baden-Württemberg bundesweit bei den Corona-Impfungen auf dem letzten Platz - im Südwesten wurde bislang nur ein Prozent der Bevölkerung geimpft. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) verteidigt die Impfstrategie.
Warum wurden bislang in Baden-Württemberg gemessen an der Gesamtbevölkerung bundesweit am wenigsten Menschen gegen das Coronavirus geimpft? Diese Frage erhöht den Druck auf Baden-Württemberg Sozialminister Manne Lucha (Grüne) - und die Opposition im Stuttgarter Landtag übt gleichzeitig heftige Kritik.
"Minister Lucha unternimmt nichts, um an mehr Impfstoff zu kommen. Außerdem funktioniert die Organisation nicht. Dieser Minister ist überfordert und muss dringend von der Impforganisation abgezogen werden", poltert FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke. "Baden-Württemberg muss beim Impfen endlich mehr Dampf machen, so kann es nicht weitergehen", fordert auch SPD-Landtagsfraktionschef Andreas Stoch. Lucha müsse nun erklären, warum der Südwesten "beim Impfen allen anderen Bundesländern hinterherläuft".
Nur 50 Prozent des Impfstoffes werden sofort eingesetzt
Nachfrage beim Stuttgarter Sozialministerium. Dort verweist man weiter auf die spezielle Impfstrategie des Landes. "Die Impfzentren sollten ca. 50 Prozent der Impfstoffe zurückhalten, um die Zweitimpfung sicherzustellen. Darüber hinaus sind sie angehalten, den verfügbaren Impfstoff bis zur nächsten Lieferung zu verimpfen", erklärt ein Sprecher Luchas. Durch regionale Unterschiede oder wegen Terminabsagen könne es zwischen den Impfzentren zu Unterschieden in der Auslastung kommen.
Land sieht Verantwortung beim Bund
"Unser Hauptproblem zurzeit ist, dass der Bund uns noch wenig Impfstoff zur Verfügung stellt", so der Sprecher weiter. Zuletzt hatten der Mainzer Impfstoff-Hersteller Biontech und sein US-Partner Pfizer erklärt, in dieser Woche die Liefermengen zu reduzieren - und ab dem 25. Januar wieder zur ursprünglichen Menge zurückzukehren.
Momentan können laut dem Sprecher in Baden-Württemberg täglich rund 7000 Menschen geimpft werden. Dabei waren in den zehn Zentralen Impfzentren im Südwesten eigentlich pro Tag zusammen rund 15.000 Impfungen vorgesehen. Und die Zeit drängt, denn alleine die Über-80-Jährigen und das medizinische Personal, die zuerst geimpft werden sollen, machen im Land rund eine Million Menschen aus.
Lucha setzt auf Absicherung
Lucha selbst sieht sich weiter auf dem richtigen Weg. "Baden-Württemberg hat sich bewusst dazu entschieden, die Hälfte der Lieferungen für die Zweitimpfung zurückzuhalten. Unser Ziel ist es, dass jeder, der einen Termin vereinbart, auch wirklich die notwendige Erst- und Zweitimpfung erhält, obwohl unsere Impf-Infrastruktur deutlich mehr zulässt", sagt er.
Zuletzt erklärte das Sozialministerium, zwar liege Baden-Württemberg in der Statistik weit hinten. Aber man sei bei den über 80-Jährigen am erfolgreichsten. Dies stimmt jedoch so nicht. Richtig ist, dass der Südwesten laut RKI in absoluten Zahlen in dieser Altersgruppe am meisten Impfungen durchgeführt hat. Setzt man die Zahl aber in Relation zu allen bislang Geimpften, liegen Berlin und das Saarland bundesweit vorne.
Kreisimpfzentren gehen bald an den Start
Die Impfungen verlaufen schleppend - und am kommenden Freitag gehen die landesweit 50 regionalen Kreisimpfzentren an den Start.In diesen - so lauteten die ursprünglichen Planungen - sollen pro Standort bis zu 800 Personen täglich geimpft werden. Doch auch hier fährt das Sozialministerium die Strategie, zunächst nur 50 Prozent des Impfstoffes zu verabreichen - wegen drastischen Impfstoffmangels.
In einer ersten Lieferung erhält jedes Kreisimpfzentrum zunächst 1170 Impfdosen, von denen pro Woche knapp 600 verimpft werden können. "Auch für die Kreisimpfzentren bedeutet der Lieferausfall von Biontech/Pfizer, dass sie in den ersten Wochen wahrscheinlich mit noch weniger Impfstoffdosen auskommen müssen als gedacht", kündigt der Sprecher Luchas bereits an.
Wie es mit den Impfungen weitergeht, dazu will das Sozialministerium am 29. Januar in einem Schreiben informieren, das an sechs Millionen Haushalte in Baden-Württemberg versandt wird. Laut der Kabinettsvorlage Luchas, die unserer Zeitung vorliegt, kostet die Erstellung und Übersendung des Bürgerbriefes mehr als eine Million Euro. In dem Brief bittet Lucha die Bevölkerung um Geduld - und verspricht schriftlich: "Jeder in Baden-Württemberg eintreffende Impfstoff wird sofort der Bevölkerung zur Verfügung gestellt."
Kommentar: Zu zögerlich
Das Land hält an seinem vorsichtigen Kurs bei den Corona-Impfungen fest. Nur 50 Prozent der Impfdosen, die in Baden-Württemberg ankommen, werden sofort verimpft. Wegen aktueller Lieferengpässe wird gebunkert, um abzusichern, dass die zweite Impfung einer Person zwei bis drei Wochen später nicht gefährdet ist. Die Folge des Ganzen ist, dass der Südwesten im Vergleich mit anderen Bundesländern hinterherhinkt: Hier wurde bislang genau ein Prozent der Bevölkerung geimpft. So wenig wie nirgendwo sonst in der Republik.
Mit Blick auf die Marktsituation scheint die Strategie zwar vernünftig zu sein. Sie richtet sich nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission, laut der in Deutschland das vom Hersteller und den Zulassungsbehörden vorgesehene Zeitfenster zwischen beiden Impfungen eingehalten werden soll. Trotzdem: Baden-Württemberg ist übervorsichtig. So sind in Mecklenburg-Vorpommern gemessen an der Bevölkerung bereits mehr als doppelt so viele Menschen geimpft wie im Südwesten. Auch in Bayern ist die Quote 60 Prozent höher. Der Südwesten geht hier so vor, als wären in den nächsten Wochen keine neuen Lieferungen zu erwarten – ein zu düsteres Szenario.
Neben der Impfstoff-Frage gibt es vielerorts noch große organisatorische Probleme. Wer vergeblich versucht hat, einen Impftermin zu bekommen, kann davon ein Lied singen. Damit steht zudem der Start der landesweit 50 Kreisimpfzentren am kommenden Freitag unter keinem guten Stern. Auch dort werden sich viele Impfberechtigte zunächst in Geduld üben müssen.