Ministerin Hoffmeister-Krauth fordert Erhöhung der Regelsätze
Bezieher von Transferleistungen sollen nach dem Willen der baden-württembergischen Arbeitsministerin wegen der Inflation mehr Geld bekommen
Der Bund muss die Regelsätze für Leistungsempfänger anpassen, damit extreme Preissteigerungen abgedeckt werden. Das fordert die Baden Württembergische Arbeits- und Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Krauth auf Anfrage unserer Redaktion angesichts des aktuellen Armutsberichts des Paritätischen Gesamtverbands. Einmalzahlungen seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. "Wir brauchen eine schnelle Anpassung statt staatlicher Lebensmittelausgabestellen."
Besonders armutsgefährdet sind kinderreiche Haushalte
Denn die Armut steigt so stark wie seit der Wiedervereinigung nicht, heißt es im Bericht des Sozialverbands: von 15,9 auf 16,6 Prozent. Überproportional betroffen sind Haushalte mit drei und mehr Kindern und Alleinerziehende. "Bei den Unter-18-Jährigen ist in Baden-Württemberg fast jeder und jede Fünfte armutsgefährdet", sagt ein Sprecher des Sozialministeriums in Stuttgart. Bei Menschen mit Migrationshintergrund liegt das Armutsrisiko bei 25,5 Prozent.
Eine Entwicklung, die Karl Friedrich Bretz, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands Heilbronn bestätigt. "Immer öfter hören wir, dass Familien genau rechnen müssen." Oft werde an Lebensmitteln gespart. Kindertageseinrichtungen melden, dass Kinder zunehmend vom Mittagessen abgemeldet werden, selbst wenn Eltern berufstätig sind. So versuchten die Familien Geld zu sparen. "Sie können sich das Leben und die Teilhabe nicht mehr leisten."
In der Sozialberatung nehmen Anfragen zu
Stark betroffen seien auch Menschen an der Einkommensgrenze, ohne Transferleistungen. In der Sozialberatung nehmen die Anfragen nach einer Unterstützung bei Antragsstellungen zu. "Alle versuchen, noch irgendwoher Geld zu bekommen", so Bretz.
Mit dem Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut will das Land gegensteuern, es ist in 24 Städten in Baden-Württemberg aktiv, auch in Neckarsulm und im Mehrgenerationenhaus in der Heilbronner Nordstadt. Bildung und Sprache sollen als Sprungbrett aus der Armut dienen, ein Fokus liegt auf Nachhilfe.
Derzeit laufen Förderprojekte in Höhe von 1,7 Millionen Euro
In Baden-Württemberg laufen dafür Förderprojekte in Höhe von 1,7 Millionen Euro. Bis 2030 soll es in allen 44 Stadt- und Landkreisen etabliert werden, so das Sozialministerium. "Gut, dass das Thema auf dem Schirm ist. Es war lang ein Tabu in einem so reichen Bundesland", so Stefan Schneider, Vorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege Heilbronn.
Viele ältere Menschen (17,4 Prozent), darunter vor allem Frauen (17,9 Prozent), rutschen verstärkt in die Bedürftigkeit, belegt der Armutsbericht des Paritätischen. Auch sie melden sich verstärkt bei der Diakonie in der Region. Oftmals lebten sie in einer zu teuren Wohnung, weil der Partner verstorben ist, die Rente zu knapp und ein Umzug mangels Alternativen unmöglich, sagt Kreisdiakoniegeschäftsführer Bretz. Eine Quote für geförderten Wohnraum in der Region von 30, besser 50 Prozent fordert Aufbaugilde-Geschäftsführer Hannes Finkbeiner. 244 geförderte Wohnungen in 44 Landkreisgemeinden seien zu wenig.
Was mit den steigenden Wohnnebenkosten passiert, ist noch offen
Ein Problem sind die steigenden Wohnnebenkosten. Ob sie bei Transferleistungsbeziehern kommunal voll übernommen werden, bleibt offen. "Wir teilen die Sorge einer zunehmenden Alters- und Kinderarmut und sehen es als Aufgabe des Gesetzgebers, auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu reagieren und die Leistungen anzupassen", sagt die Heilbronner Sozialbürgermeisterin Agnes Christner. Dass die Kostensteigerungen seit Jahresbeginn berücksichtigt werden, heißt es beim Landratsamt.
Weiteres Problem: Die Nachfrage der Tafeln in Stadt- und Landkreis hat sich um die Hälfte erhöht, Lebensmittel sind knapp. "Eine städtische Essensausgabe in Heilbronn ist bislang nicht geplant", sagt Sozialamtsleiter Achim Bocher. Sein Amt registriert keine verstärkten Anfragen nach Spenden.
Im Vergleich der Armutsquote schneidet Baden Württemberg (13,9 Prozent) mit Bayern, Brandenburg und Schleswig-Holstein am besten ab. Schlusslicht ist Bremen mit 28 Prozent. Als arm gilt, wer mit seinem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt, wobei es sich hier nicht um das Durchschnittseinkommen handelt, bei dem alle Haushaltseinkommen addiert und durch deren Anzahl geteilt werden. Stattdessen wird der Median errechnet: Alle Haushalte werden nach ihrem Einkommen der Reihe nach geordnet, das des Haushalts in der Mitte stellt den Median dar.