"Mord und Totschlag waren schon immer mein Ding"
Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, spricht im Interview über seinen Traumberuf Polizist und die Rolle von Bewegung in seinem Leben.

Bevor das Interview beginnt, ist Andreas Stenger schon mitten im Thema. Er schwärmt von seinen morgendlichen Radfahrten von seinem Wohnort Heddesheim zum Bahnhof nach Mannheim. Es sei so schön zu beobachten, wie der Nebel sich langsam über den Feldern lichtet und die Sonne aufgeht − "herrlich". Früh um 5.15 Uhr bricht er mit dem Rad auf. Wenn er um 8.30 Uhr am Schreibtisch im vierten Stock des Landeskriminalamts Baden-Württemberg in Stuttgart sitzt, hat er bereits zwei Sporteinheiten hinter sich.
Herr Stenger, welche Rolle spielt Sport in Ihrem Leben?
Andreas Stenger: Es macht mir einfach Spaß, meinen Körper zu spüren, und je älter man wird, desto wichtiger ist es, dass man sich selbst fordert (lacht). Den körperlichen Verfall kann man nicht stoppen, aber man kann ihn verlangsamen. Man kann Sport gut in den Alltag einbauen, finde ich. Fehlende Gelegenheiten gibt es für mich nicht, es gibt nur Ausreden. Also fahre ich mit dem Rad die 14 Kilometer zum Bahnhof und gehe zweimal am Tag in den Kraftraum.
Sind Sie ein Sportfreak?
Stenger: Nein, also das soll jetzt nicht so rüberkommen als würde ich mich immer total verausgaben. Wir haben hier beim LKA einen kleinen Raum, da mache ich morgens so 20 oder 30 Minuten lang was, das ist nicht so wild. Abends auf dem Heimweg mache ich dasselbe im Polizeipräsidium Mannheim, wo ich mein Fahrrad tagsüber parke. Danach radle ich wieder heim. Ich bin auch schon manchmal mit einem Kollegen die Strecke von Stuttgart nach Mannheim an einem Freitagnachmittag zurückgefahren. Dabei habe ich gemerkt, dass Kraichgau und Zabergäu durchaus Anstiege zu bieten haben.
Sie haben als Präsident des Landeskriminalamts große Verantwortung. Welche Rolle spielt der Sport für den Stressabbau?
Stenger: Mein Job bringt in vielerlei Hinsicht besondere Belastungssituationen mit sich. Das kompensiere ich durch Sport, das ist für mich der totale Ausgleich. Mich zu bewegen war schon immer Teil meines Wesens. Früher habe ich Fußball gespielt, war auch in der Leichtathletik aktiv und habe sogar Triathlon-Wettkämpfe bestritten. Ich kann alles ein bisschen, aber eigentlich bin ich talentfrei, sage ich immer. Und natürlich gehört die richtige Ernährung dazu.
Erzählen Sie.
Stenger: Bei der Einstellung in den Polizeidienst hatte ich ein Gewicht von 86 Kilo bei 1,98 Meter. Da wollte ich vor ein paar Jahren wieder hin. Also habe ich die Ernährung umgestellt und vor allem Eiweiß gegessen − Hüttenkäse und diesen anderen Käse, wie heißt er, Harzer Roller.
Oh je!
Stenger: Ja, das war schlimm. Ich musste einen Tropfen Honig dazu essen, sonst hätte ich den nicht runterbekommen. Aber die 86 Kilo habe ich erreicht.
Sie sprechen sehr offen, auch über die Privatperson Andreas Stenger. Und Sie posten auf Facebook gelegentlich Ihre sportlichen Aktivitäten. Sind Sie ein nahbarer Mensch?
Stenger: Facebook oder Instagram sind für mich eine Möglichkeit, meine Bekannten an meinem Alltag teilhaben zu lassen. Aber man darf den Bogen nicht überspannen. Wenn man sich exponiert, nutzen manche Leute das für destruktive Kommentare. Eine ganz schlechte Entwicklung. Es muss unser gesellschaftliches Ziel sein zu verhindern, dass Menschen sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen aus Angst vor solchen extremen Reaktionen. Sonst nehmen wir uns Substanz aus dem Diskurs. Dann hätten nur noch radikale Stimmen das Sagen. Das müssen wir in unserer freiheitlichen Demokratie verhindern. Deshalb habe ich mir das Thema Hass und Hetze im Internet auch dienstlich auf die Fahne geschrieben und leite die gleichnamige Task Force im LKA.
Jetzt klingen Sie wie ein Politiker.
Stenger: Finden Sie?
Schon. Wie wichtig ist gute, angemessene Kommunikation für Ihren Job?
Stenger: Gute, auf Empathie beruhende Kommunikation ist die Grundfertigkeit, die man braucht, um in diesem Job erfolgreich zu sein. Man muss sich auf seinen Gesprächspartner einstellen können und ihn mit Respekt behandeln. Mir persönlich ist es wichtig, authentisch und nahbar zu sein. Auch wenn Distanz manchmal vielleicht die einfachere Lösung wäre.
Sie meinen im Hinblick auf Widerspruch?
Stenger: Widerspruch sehe ich als wichtiges Korrektiv, auch wenn ich natürlich letztlich die Entscheidungen treffe. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Vor einigen Jahren hat man das Kriminaltechnische Institut beim LKA neu aufgestellt − nach dem Wattestäbchen-Vorfall in Zusammenhang mit der NSU-Mordserie. Ich übernahm die Leitung, war der erste Kriminalbeamte in diesem Job und hatte lauter Top-Spezialisten in meinem Team: Wissenschaftler, Forensiker, Psychologen. Sie arbeiten gemeinsam mit einem multikulturellen Team an komplexen Fällen. Da können Sie nicht durch Amtsautorität führen.
Worauf kommt es dann als guter Vorgesetzter an?
Stenger: Man muss nicht der Obersachverständige für alles sein, aber sich interessieren und auf einem gewissen Niveau mitreden können. Mich inspiriert es extrem, jeden Tag etwas Neues zu lernen. Zum Beispiel der Bereich Cyberabwehr, die digitale Transformation bietet irre Entwicklungen, auch für Ermittler. Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, eine Trillion Byte an Daten zu haben?
Klingt verrückt.
Stenger: Ja, deshalb hat es mich nach den zwei Jahren als Polizeipräsident in Mannheim auch gereizt, ins LKA zurückzukommen, wo ich ja schon Vizepräsident gewesen bin. Ich hatte da jemanden vom Bereich Cybercrime am Telefon, und als der mir erzählt hat, was sie gerade machen, habe ich gedacht: Wahnsinn! Da will ich auch wieder dabei sein.
Ist Polizist Ihr Traumjob?
Stenger: Wir hatten in der Verwandtschaft einen Polizeibeamten, den habe ich immer bewundert, auch seine Uniform. Also ja, ich war da schon früh festgelegt und habe es nie bereut. Der Polizeiberuf bietet so viele Facetten! Im November 1981 wurde ich beim Bundesgrenzschutz eingestellt, heute ist das die Bundespolizei. Die ersten Jahre war ich bei Fulda an der Grenze zur DDR − an der Schnittstelle zweier politischer Systeme. Das hat mich stark geprägt, das Surreale war so greifbar. Zu merken, die sprechen auch Deutsch auf der anderen Seite, aber wir können nicht ins Gespräch kommen. Ich habe schnell erkannt, dass mir das nicht so liegt. Später war ich an der Grenze zu Frankreich, die war schon damals sehr durchlässig, und ich habe den europäischen Integrationsprozess hautnah miterlebt. Das hat mir schon besser gefallen.
Und dann sind Sie als Saarländer nach Baden-Württemberg zur Polizei gewechselt.
Stenger: Das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Für Grenzschützer werden in den Ländern Kapazitäten freigehalten. Ich war dann noch Referent für internationale Zusammenarbeit in Brüssel und auf zig anderen Stationen. Ehrgeizig bin ich ja irgendwie auch. Und ich war Chef der Mordkommission in Heidelberg, Mord und Totschlag waren schon immer mein Ding, da wollte ich immer hin. Das waren mit die aufregendsten Jahre mit irren Fällen. Dass ich irgendwann Polizeipräsident werde, hätte ich nie gedacht.
Zur Person
Andreas Stenger (59) ist in Homburg/Saar geboren und in Neunkirchen aufgewachsen. Nach seiner Zeit beim damaligen Bundesgrenzschutz, zunächst an der innerdeutschen Grenze, dann an der Grenze zu Frankreich, wechselte er in den Polizeidienst nach Baden-Württemberg, wo er eine steile Karriere gemacht hat. Seit einem Jahr ist er Präsident des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Andreas Stenger ist verheiratet und Vater eines Sohnes. Er hat ein besonderes Faible für historische Kriminalfälle und hält dazu auch Vorträge.