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Heidelberg Historic
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Am Steuer eines Audi 100 voller Erinnerungen

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Unterwegs auf der Heidelberg Historic. Die Fahrt legt Erinnerungen an die Zeit im Fond eines solchen Fahrzeugs vor 40 Jahren frei. Und ähnliche Erinnerungen teilen erstaunlich viele Menschen entlang der Strecke.

So sieht er aus, der Audi 100 Avant von 1980. Audi Tradition hat das Fahrzeug erst im vergangenen Jahr erstanden.
So sieht er aus, der Audi 100 Avant von 1980. Audi Tradition hat das Fahrzeug erst im vergangenen Jahr erstanden.  Foto: Gleichauf, Christian

Es ist ein Audi 100 Avant. Das Traumauto meines Vaters. Die Tür geht auf, und mit dem Geruch sind auch die ersten Erinnerungen an die Zeit vor 40 Jahren da. 1978 bekamen wir unseren geliefert, in Silber, und ließen erst einmal einen breiten blauen Streifen auf die Seiten lackieren. Damit sah er mit dem sportlich-schrägen Heck aus wie ein "Rennwagen". Und so sind die Heidelberg Historic in diesem Jahr eine ganz persönliche Fahrt in die Vergangenheit. Und natürlich eine spannende Herausforderung, denn es gibt wie bei jeder Rallye etwas zu gewinnen.

Nur nicht zu schnell...

Der Gewinn ist schnell abgehakt. Wir fahren um unsere Ehre. "Fünf, vier, drei, zwei, eins", zählt Co-Pilotin Ulla Wiesentheit herunter - und ich versuche, pünktlich die Lichtschranke zu durchbrechen. Endlich haben wir es geschafft, eine Prüfung so zu beenden, wie wir es wollten. Vom Start weg heißt das nämlich, auf die vorgegebene Durchschnittsgeschwindigkeit zu achten. Schneller auf der Geraden, langsamer durch die Kurven, damit sich der Kühler exakt zur richtigen Sekunde durchs Ziel schiebt.


Zudem sind bis zu sechs Timer auf drei Stoppuhren gestellt. Die Co-Pilotin muss beobachten und mitteilen, wann der eine auf Null läuft, am Beginn des nächsten Wertungsabschnitts den nächsten starten, abgelaufene umschalten. Schilder und Posten müssen wir im Blick behalten. Bei geübten Rallye-Fahrern geht es dann um hundertstel Sekunden. Als Anfänger sind wir froh, wenn am Ende nicht komplette Konfusion herrscht. Für uns zählt der Spaß. Manch anderem Teilnehmer ist es da etwas ernster.

15 Minuten Ruhm? Wir haben fünf davon

Ulla Wiesentheit und Christian Gleichauf vor dem Start am ersten Rallyetag.
Ulla Wiesentheit und Christian Gleichauf vor dem Start am ersten Rallyetag.  Foto: Gleichauf, Christian

Für die lang ersehnte Neuauflage der Heidelberg Historic - nachdem Corona zwei Jahre in Folge keine Ausfahrt zuließ - hatte sich Fahrtleiter Michael Steiner vom ADAC besonders viel Mühe mit der Streckenauswahl gegeben. Sogar ans Heidelberger Schloss sollte es diesmal gehen. Schon der Weg dorthin ist an vielen Stellen spektakulär schön.

Die Straßen sind gesäumt von kleinen und großen Fotografen und jeder Menge begeisterter Menschen. Manche haben es sich mit Bänken und Stühlen gemütlich gemacht. Und in dem kleinen Ort Spechbach scheint die ganze Dorfjugend nur auf diesen einen Tag im Jahr gewartet zu haben. Ulla Wiesentheit wird von den halbwüchsigen Autogrammjägern instruiert, wo sie im Begleitheft zur Rally zu unterschreiben hat. Sollen das jetzt die 15 Minuten Ruhm sein, die Andy Warhol einst jedem von uns gegönnt hat? Na, fünf vielleicht. Immerhin.

Merkwürdig vertraute Details

Ich sitze also am Steuer des Audi Avant "Typ 43" aus dem Jahr 1980. Gebaut natürlich in Neckarsulm. Das Team der Audi Tradition und Ulla Wiesentheit, die Leiterin des Audi-Forums in Neckarsulm, haben es möglich gemacht. So vieles erinnert an das Auto, wo ich so viele Stunden im Fond verbrachte, auf dem ich meine ersten Fahrversuche unternehmen durfte.

Es fühlt sich merkwürdig vertraut und doch ungewohnt an: das dünne, große Lenkrad, das sich nur widerwillig drehen lässt, die Schieber für die Luftzufuhr, die Handbremse, die man als Kind so faszinierend findet. "Finger weg!", klingt es mir noch im Ohr. Der große Fünfzylindermotor brummt tief und satt, mit 2,2 Liter Hubraum und durchzugsstarken 136 PS.

Der kleine Prinz hupt sich direkt in die Herzen

Die Hupe ist eine Fanfare, mit der man die Fans am Straßenrand lieber nicht erschrecken möchte. Da tut sich der kleine NSU Prinz leichter, mit seinem niedlichen Hörnchen erreicht er sofort die Herzen der Menschen. Und der dritte Teilnehmer aus den Audi-Sammlungen, der Ro 80 mit seinem Wankelmotor, ist für Oldtimer-Fans immer ein Traum.

Doch wider Erwarten teilen sehr viele meine eigenen Erinnerungen an diese zweite Baureihe des Audi 100. "Wir fahren seit 40 Jahren Audi", erzählt eine Frau, als wir kurz anhalten. "So einen hatten wir auch", rufen mindestens zwei auf dem pickepackevollen Heidelberger Marktplatz durchs Fenster.

Viele hatten einen, doch wenige haben noch einen. "Gerade die Fünfzylinder sind selten in einem guten Zustand zu bekommen", erzählt Timo Witt, der Leiter der historischen Fahrzeugsammlung bei Audi Tradition. Vor gut einem Jahr habe sich aber ein älterer Herr gemeldet, der sich von einigen seiner Schätze trennen wollte. "Erstbesitz, Garagenwagen, in diesem Zustand ein sehr seltenes Fahrzeug."

Einfach das Dach durchgerostet

Eine Erklärung dafür habe auch ich parat. Denn auch unseren Audi von 1978 gibt es sicher nicht mehr. Er war erst wenige Jahre alt, da stützte sich mein Vater locker mit dem Ellbogen auf dem Dach ab - und brach durch. Der Rost hatte sich schon durchgefressen.

Kulanzhalber gab es ein neues Dach mit freundlicher Unterstützung der Audi AG. Solche Vorkommnisse waren wohl auch der Grund, warum die Karosserien ab 1980 besser geschützt wurden, später sogar "vollverzinkt" - ein wirklicher Meilenstein.

700 Fahrzeuge im Bestand, davon 200 Motorräder

Ob so selten wie dieser Audi 100, so schnuckelig wie der NSU Prinz von 1971 oder so sensibel wie der Ro 80 von 1975, auch Liebhaberstücke sollten bewegt werden, betont Witt. 500 Autos und 200 Motorräder umfasst der Bestand der Audi Tradition.

Der Großteil der Raritäten ist für Ausstellungen vorgesehen. Daneben gibt es aber eine Reihe von Fahrzeugen, die auch für Rallyes oder andere Fahrten eingesetzt werden. Mehrere Monate Vorlauf kann das bedeuten. Rechtzeitig erfolgt die Inspektion, werden Flüssigkeiten gewechselt. "Und dann fahren wir natürlich einige Kilometer, um herauszufinden, ob noch etwas zu tun ist", erzählt Witt.

Nicht zuletzt die Stoßdämpfer sollten bei der Rallye in gutem Zustand sein, obwohl die Kurven nicht mit quietschenden Reifen genommen werden sollten. Bei der Heidelberg Historic handelt es sich um eine sogenannte Gleichmäßigkeitsfahrt. Sowohl bei der Fahrt über Land als auch bei den Wertungsprüfungen geht es nicht darum, besonders schnell zu sein, sondern exakt zu fahren. Geschwindigkeitsübertretungen werden nicht nur von der Polizei geahndet.

Ein Highlight: Kissen passend zum Sitzbezug

Immer wieder sind Routenanweisungen im dicken Bordbuch nicht auf Anhieb zu verstehen. Im badischen Weingarten etwa muss jemand das Schild abgehängt haben, das auf den Abzweig hinweisen sollte. Zweimal fahren wir die Strecke ab, bevor wir die nächste Durchfahrtskontrolle ohne Umweg ansteuern.

Dort begrüßt uns der Sprecher besonders herzlich. Auch er habe einst so einen Audi 100 gefahren, allerdings mit gehobener Ausstattung, erzählt er stolz übers Mikrofon. "Da waren Kissen passend zum Sitzbezug dabei." Ich reiche ihm eines der Kissen vom Rücksitz und zeige damit: Ja, auch hier gibt es die gehobene Ausstattung. Das macht Eindruck und wird mit großem Applaus gefeiert. Erinnerungen überall.


Info: Die Heidelberg Historic wird vom ADAC Nordbaden veranstaltet und führte in diesem Jahr an zwei Tagen über 530 Kilometer durch das nördliche Baden und Württemberg. Rund 180 Fahrzeuge nahmen teil, darunter mehr als ein Dutzend Vorkriegsmodelle. Eine Teilnahme kostet ab 890 Euro für zwei Personen. Audi Tradition ist Sponsor der Heidelberg Historic, verbunden mit dem Vertrag ist die Teilnahme mit bis zu vier Fahrzeugen.

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